Wenn ein ambitionierter Bundesligist wie Borussia Mönchengladbach gegen einen unterdurchschnittlichen Bundesligisten wie Hertha BSC über 90 Minuten kaum eine wirklich zwingende Torchance herausspielt und letztlich nicht unverdient 0:1 verliert, dann ist dies ohne Zweifel peinlich und unwürdig. Nach den ebenso unnötigen Punktverlusten gegen Augsburg und Stuttgart bereitet es da fast schon Sorgen, dass in den kommenden Wochen fast ausschließlich weitere Teams der gleichen Kategorie auf Borussia warten. Einzige Ausnahme: Die Pokalpartie am Mittwoch gegen den FC Bayern München, die unter deutlich anderen Vorzeichen stattfinden wird.

Nach neun Spieltagen, elf Punkten und Platz zwölf stellt sich fast automatisch die Frage, ob die Qualität der Mannschaft doch nicht so hoch ist wie die Experten dies bislang bewertet haben. Dem steht allerdings entgegen, dass im letzten Jahr mit ähnlichem Personal Real Madrid und Inter Mailand erfolgreich Paroli geboten wurde und noch in den vergangenen Wochen Wolfsburg, Dortmund sowie den Bayern. Gerade gegen den Kontrahenten vom Mittwoch fällt die Statistik in den letzten Jahren bemerkenswert gut aus: Von den letzten neun Begegnungen konnte der FC Bayern nur vier gewinnen. Es stellt sich also zunächst die Frage, ob Borussia diese gute Serie im DFB-Pokal fortsetzen kann. Wichtiger wird aber das Auftreten in den Wochen darauf gegen die vermeintlich schwächeren Gegner.

Die Teams aus Bochum, Mainz, Fürth, Köln und Freiburg werden genau hingeschaut haben, wie sich individuelle Qualitätsdefizite gegenüber Borussia wettmachen lassen. Bedingungsloser Kampf bis an die Grenzen des Erlaubten, und teilweise darüber hinaus, verhalfen selbst der nach acht Spieltagen schlechtesten Defensive der Liga (21 Gegentore) zu einem Sieg. Ja, die zerfahrene Spielleitung von Schiedsrichter Cortus kam den Berlinern bei ihrer Strategie nicht unwesentlich zugute. Ja, ihre teils arg übertriebene Schauspielerei war manchmal nur schwer zu ertragen. Dies sind aber die üblichen Ausreden bei scheinbar unerklärlichen Niederlagen, die nicht über die eigentlichen Defizite hinwegtäuschen dürfen. Diese liegen allein bei Borussia selbst.

Planlosigkeit im Offensivspiel

Borussia fand wieder einmal über 90 Minuten hinweg keine Mittel, ihre spielerische Überlegenheit effizient zu nutzen. Mit Stindl, Neuhaus und Hofmann verfügt die Mannschaft über drei deutsche Nationalspieler der jüngeren Vergangenheit. Mit Plea über einen weiteren der französischen Equipe tricolore. Sie alle haben in den vergangenen Jahren zudem ihre Torgefahr – mehr oder weniger stark – nachgewiesen, sodass der Ruf nach einem „Knipser“ unnötig ist. Borussia hat das Personal und ist zudem mit denselben Spielern in der Vergangenheit ganz anders aufgetreten. Noch vor knapp einem Jahr hatte die Mannschaft die nötige Selbstverständlichkeit einer Spitzenmannschaft entwickelt, um solche undankbaren Partien gegen defensiv kompakt stehende Mannschaften regelmäßig zu gewinnen. Davon ist seit einigen Monaten überhaupt nichts mehr zu sehen.

Harmlose Standards

Im Grunde trauert die Gladbacher Fangemeinde bereits seit 2014 dem Abgang von Juan Arango hinterher. Dies natürlich auch wegen seines genialen Spielverständnisses und seines überragenden linken Fußes. Speziell bei Freistößen macht sich der Verlust aber bemerkbar, da Borussia seitdem keinen echten Standard-Experten mehr in ihren Reihen hat. Dennoch hat es in den letzten Jahren immer wieder einmal direkte Freistoßtore sowie Treffer nach vorheriger Ecke gegeben. In dieser Saison sind die Standards von Borussia dagegen erschreckend harmlos, was nicht nur an den Ausfällen von Bensebaini, Ginter oder Thuram liegt. Lucien Favre möge dem kommenden Satz bitte überlesen. Aber wenn es spielerisch nicht läuft, sollte man wenigstens auf diesem Wege in der Lage sein, das eine oder andere Tor erzielen zu können, um evtl. auch mal ein schwächeres Spiel für sich zu entscheiden.

Geschrumpfte Breite

Frei nach Berti Vogts: Die Spitze in der Breite ist in der letzten Zeit weniger dicht geworden. Noch vor einigen Jahren konnte der Verein auf einen Kader mit 18-20 tauglichen Spielern setzen. Inzwischen sind die Einwechselmöglichkeiten für Adi Hütter arg begrenzt. Der Trainer scheint anders als sein Vorgänger immerhin erkannt zu haben, dass Hannes Wolf keine gleichwertige Alternative ist. Eingewechselt wird zuletzt eher Patrick Herrmann, der dies im Rahmen seiner Möglichkeiten ordentlich erledigt. In Berlin war er in der Schlussphase der einzige, der überhaupt noch so etwas wie Torgefahr ausstrahlte. Seine Leistungen sind aber zu selten gut genug, als dass er noch ernsthaft in der Lage wäre, ein Spiel zu drehen. Besser wäre es, wenn bei einem Rückstand ein echter Stürmer in die Partie kommen könnte. Dies ist aber schon bei einem einzigen Ausfall nicht mehr möglich. Gegen die Bayern wird Thuram zwar in den Kader zurückkehren. Perspektivisch wären hier weitere Alternativen für die Breite aber dringend erforderlich.

Mischung im Kader

Nach den Siegen über Dortmund und Wolfsburg hatte man geglaubt, Adi Hütter habe so langsam seine Stammelf gefunden und diese auf sein System eingeschworen. Zuletzt nahm er pro Partie jeweils nur maximal ein bis zwei Änderungen in der Startelf vor. Doch die letzten Auftritte zeigten, dass dem Team eine personelle Auffrischung guttäte und dass die Mischung noch immer nicht stimmt.

Da mindestens bis zum Winter aber keine Kaderveränderung erfolgen wird, muss Hütter das vorhandene Personal nutzen. Mit Sommer, Ginter, Kramer, Zakaria oder Stindl verfügt der Kader über einige potentielle Führungsspieler, die in dieser schwierigen Situation jetzt gefragt sind. Auch Hofmann und Neuhaus sollten dieses Selbstverständnis eigentlich für sich beanspruchen. Hier kommt aber zum Tragen, was Joachim Schwerin vor einigen Wochen so treffend analysierte. Borussias Kader lässt sich grob in drei Gruppen einteilen. Gruppe 1 (z. B. Scally, Netz, Kone) besteht aus jungen Talenten, die ihre Sache bislang in dieser Saison noch am besten machen. Gruppe 2 (z. B. Kramer, Stindl, Sommer) besteht aus den alteingesessenen Borussen, die sich mit dem Verein identifizieren und mit Sicherheit ihr Bestes geben möchten, um ihn wieder nach oben zu führen. Bei allen Verdiensten fehlt es ihnen aber an der nötigen Mentalität, um dies auf den Rest der Mannschaft zu übertragen. Gruppe 3 (z. B. Plea, Hofmann, Neuhaus) sieht Borussia als Sprungbrett zu einem größeren Verein. Dies ist im modernen Fußball grundsätzlich kein Hindernis, um trotzdem für den aktuellen Verein die bestmögliche Leistung abzuliefern. Es sollte einigen in dieser Gruppe aber zu denken geben, dass trotz mehr oder weniger offensichtlicher Wechselwilligkeit im letzten Sommer kein adäquates Angebot für sie eingegangen ist. Wer ggf. zu einem besseren Verein wechseln möchte, der sollte zunächst einmal konstant bessere Leistungen abrufen. Dies gelingt aber allerhöchstens Jonas Hofmann und Ramy Bensebaini. Alle anderen sollten mit ihrer Leistung der letzten 12 Monate froh und dankbar sein, bei einem Verein der Kategorie Borussia Mönchengladbach spielen zu dürfen.

Hütter könnte gegen die Bayern etwas mehr wechseln als zuletzt, was eine Chance für Florian Neuhaus bedeuten könnte. In der zweiten Halbzeit in Berlin wusste er diese allerdings nicht zu nutzen. Der Ex-Löwe fremdelt noch ganz offensichtlich mit dem System Hütter und steht daher wie kein anderer exemplarisch für die derzeit ungenutzten Potentiale.

Für die Partie am Mittwoch gibt es zwei realistische Szenarien: Entweder die Mannschaft spielt ähnlich planlos wie in Berlin und wird von einem stärkeren Gegner hoch besiegt – erinnert sei an das triste 0:6 im Mai dieses Jahres. Oder aber es gelingt der Mannschaft mal wieder, sich am starken Gegner aufzurichten und diesem einen echten Pokalfight zu liefern. Selbst ein Sieg über den Rekordmeister wäre aber für die Entwicklung des Teams nicht viel wert, wenn der Erfolg nicht in den kommenden Wochen gegen die nominell kleineren Gegner bestätigt würde. Die Lage in der Liga ist zu kritisch, als dass sich die Mannschaft nur an solchen Topspielen berauschen darf. Ein Spiel gegen die Bayern ist immer wichtig. Wichtiger aber wird es am kommenden Sonntag, wenn der VfL Bochum erstmals seit der legendären Relegation wieder zu einem Pflichtspiel in den Borussia-Park reist. Dort wo er in der Liga zuletzt sieben Mal in Folge nicht verloren hat.

Mögliche Aufstellungen

Borussia: Sommer – Scally, Ginter, Elvedi, Bensebaini – Zakaria, Koné, Hofmann, Neuhaus, Plea – Stindl

Bayern: Neuer – Pavard, Süle, Upamecano, Davies – Kimmich, Goretzka – Gnabry, Müller, Sane – Lewandowski

SEITENWAHL-TIPPS

Michael Heinen: Borussia wehrt sich tapfer. Am langen Ende sind die Bayern aber zu stark und siegen letztlich verdient mit 3:1.

Uwe Pirl: Gegen Bayern sehen wir immer gut aus. Trotzdem reicht es nur zu einem 2:2 nach Verlängerung. Im Elfmeterschießen hält Yann Sommer dann vier Elfmeter und verwandelt seinen eigenen Schuss sicher.

Claus-Dieter Mayer: Die Borussia hält gut mit, verliert aber letztendlich unglücklich mit 1:2 in der Verlängerung.

Thomas Häcki: Gegen große Mannschaften zeigt sich die Borussia meist verbessert. Leider reicht es nicht gegen eine wirklich starke Bayern Mannschaft. Das 2:3 ist zwar ehrenvoll, aber leider auch das Aus.

Christian Spoo: Auch der letzte Strohhalm bricht. Borussia kann ihre Serie guter Spiele gegen vermeintlich mächtigere Gegner nicht fortsetzen. Das Stadion leert sich beim 1:4 gegen Bayern früh.

Christian Grünewald: Auch ein „Highlight-Spiel“ kann diesmal nicht helfen. Die Bayern sind auch im Borussia-Park mal die Bayern – 0:4.