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Manchmal fühlt sich selbst der Bruchteil einer Sekunde lang an. So zu beobachten am Sonntagabend gegen 19 Uhr 20. Nach dem Abpfiff der Bundesligapartie zwischen Borussia Mönchengladbach und dem VfL Bochum brauchten viele Fans offenbar einen kurzen Moment, um sich zu schütteln. Erst dann gab es den erleichterten Jubel. Ein im Grunde wenig aufregendes Fußballspiel war vorher in einm ungeahnten und vor allen Dingen vollständig unnötigen Herzschlagfinale geendet. Die letzten sechzig Sekunden bestanden aus einer hundertprozentigen Chance zum Ausgleich für den Aufsteiger und einem Freistoß aus in etwa der Position, aus der acht Minuten vorher der Anschlusstreffer gefallen war. Die Stimmung Borussia-Park, der gegen 19 Uhr noch kollektiv wegzudämmern drohte, war vor dem Schlusspfiff in den Panik-Modus umgeschlagen.

Woran aber lag es, dass den Pokalhelden vom Mittwoch der so sicher geglaubte Sieg gegen den Relegationsgegner von 2011 am Ende fast noch aus den Händen geglitten wäre? Borussia war die Partie mit allem gebotenen Ernst angegangen. Auf nur einer Position verändert, und das sinnvoll und erfolgreich, legte die Mannschaft von Adi Hütter vom Start weg die notwendige Einstellung an den Tag. Die Aggressivität war der vom Pokalfight gegen die Bayern vergleichbar. Erneut eroberten die Borussen die Bälle früh, spielten vertikal und fanden immer mal wieder Lücken in der im Großen und Ganzen sehr soliden Bochumer Defensive. Die machte in der zwölften Spielminute einen entscheidenden Fehler und ließ Alassane Plea im Strafraum allein stehen. Der verwertete eine feine Scally-Flanke zum beruhigenden 1:0.

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Borussia spielte seriös weiter, kreierte zwar nicht viele große Chancen, hatte beim Kombinieren ihre Probleme mit dem nassen und damit sehr schnellen Rasen, dominierte das Spiel aber deutlich und machte durch ein sehenswertes Tor von Hofmann fünf Minuten vor der Pause scheinbar schon alles klar. Bochum hatte bis dahin zwar agil, aber wenig zielstrebig gespielt. Allein die schnelle Holtmann und Asano machten Dampf. Wenn es über die linke Bochumer Angriffsseite ging, zeigte sich Borussia verwundbar, Scally hatte nicht seinen besten Tag. Bochum schloss dennoch keinen seiner wenige Angriffe gefährlich ab. Borussia hatte die Sache im Griff.

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Entsprechend ging die Mannschaft nach der Pause zu Werk. Ob auf Ansage des Trainers oder einfach, weil sie es zu können glaubte: Borussia schaltete in der zweiten Halbzeit erkennbar in den Verwaltungsmodus. Und warum auch nicht. Die Rechnung schien ja aufzugehen. Bochum blieb nach vorne harmlos, trotz reduzierten Einsatzes gab es die eine oder andere Möglichkeit, die Partie mit dem dritten Tor endgültig zu entscheiden. Hofmann hatte den Sack-zu-Moment auf dem Fuß. Danach schlief der Borussia-Park ein. Während die mitgereisten Bochumer Anhängerinnen und Anhänger trotz des Rückstands weiter von sich hören ließen, starb der Support von den Ränden mehr und mehr. Das Lauteste eine zehn Minuten vor Ende der regulären Spielzeit war die Stille. Ein Publikum, das doch monatelang auf Fußball-Entzug war ging in den freiwilligen Lockdown. Analog dazu tat Borussia immer weniger für das Spiel. Es schlichen sich Nachlässigkeiten ein. Und dann wechselte Adi Hütter, in bester Absicht, Florian Neuhaus und Hannes Wolf ein. Das war der Startschuss für die Bochumer Schlussoffensive. Wolf schenkte dem Aufsteiger einen Freistoß an der Strafraumkante, der den Anschluss brachte. Und nachdem Borussia den Gegner zunächst dank einer Eckballserie inklusive Pfostentreffer und einem Abseitstor vom eigenen Tor fernhalten konnte, gab es dann das erwähnte Herzschlagfinale. Die Offensive, allen voran erneut Wolf, konnte vorne die Bälle nicht mehr festmachen. Pantovics Riesenchance, bei der Yann Sommer dankenswerterweise am richtigen Platz stand und der Freistoß am Ende sorgen für zitternde Knie. Man sah Spieler und Publikum nach einem Sieg schon ausgelassener feiern.

 

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Wir lernen: Borussia ist noch nicht stabil genug, um Spiele zu verwalten. Nimmt das Team die Aggressivität heraus, reicht die Substanz ganz offenbar nicht aus. Borussia kann nicht lässig. Borussia kann im Moment nur ganz oder gar nicht. Was in der Konsequenz heißen muss: Borussia muss immer ganz. Inwieweit die Personaldecke das in den kommenden Wochen hergibt, wird spannend zu sehen sein. Schon am Sonntag hatte Adi Hütter keinen echten Verteidiger mehr auf der Bank. Mit Spielern wie Neuhaus, Wolf und vermutlich weiteren, die im Moment nicht zum Zug kommen, ist das gewünschte intensive und aggressive Spiel ganz offenbar derzeit nicht machbar. Diesen Spielern fehlen wahlweise die Fähigkeit oder der Wille, die die erste Elf vom Mittwoch und Sonntag auf den Platz bringt. Alassane Plea dagegen scheint sich angepasst zu haben, der Franzose machte in jeder Hinsicht ein gutes Spiel. Dass Marcus Thuram wieder da ist, macht zusätzlich Hoffnung. Viel hängt nun davon ab, dass Zakaria und Koné, Ginter und Elvedi fit bleiben. Das Spiel bei den zurzeit beeindruckend starken Mainzern am Freitag wird den Weg weisen. Besteht Borussia dort, kann sie den Blick langsam nach oben richten. Dass sie das Potenzial hat, hat sie gegen Bochum durchaus bewiesen. Ebenso aber, dass sie jederzeit anfällig ist und eine Spielzeit jenseits von Gut und Böse weiterhin ein nicht unwahrscheinliches Szenario ist.