Die Schatten der Vergangenheit, wo ich auch geh, da sind sie nicht weit. So schaut es immer noch aus im Borussia-Park. Neben den Wochen der offenen Tür, die das Team in den ersten Monaten des Jahres auf dem Platz veranstaltet hat, lässt der Abgang von Max Eberl den Verein nicht los. Von Ruhe im Umfeld ist man weit entfernt. Immer wieder neue Geschichten über die letzten Monate der Ära Eberl finden ihren Weg an die Öffentlichkeit via Flüsterpost oder, wie in dieser Woche, Springerpresse. Der jeweilige Wahrheitsgehalt ist meist unüberprüfbar. Phantomschmerz quält so manchen Mitarbeiter, wie man Steffen Korell im hörenswerten Gespräch mit den Kollegen von MitgedachtBlock deutlich anmerken konnte.

Wir wollen das nicht en Detail bewerten. Es wächst die Erkenntnis, dass die ganze Angelegenheit eine lange Vorgeschichte, viele mehr oder weniger unschöne Details und allerlei Aspekte hat, zu denen man sich allenfalls subjektiv verhalten kann. Die Geschichte, wie sie uns öffentlich erzählt wurde, ist nicht die richtige bzw. nicht die ganze. Die Ganze werden wir vermutlich nicht erfahren, entscheidend für Borussia wird sein, wie schnell man sie hinter sich lassen kann, wie lange es dauert, bis der Phantomschmerz abklingt und vor allem, ob die Mannschaft trotz allem endlich wieder nachhaltig in die Spur findet. Dort ist sie auch nach dem 2:2 gegen Wolfsburg noch lange nicht wieder angelangt. Ein Sieg in Stuttgart wäre ein sehr großer Schritt. Schlimmer als Relegation könnte es danach nach menschlichem Ermessen nicht mehr kommen.

Hört man Stuttgarts Trainer Pellegrino Matarazzo über die Lage beim VfB und die letzten Spiele – neunmal ohne Sieg - philosophieren, fällt auf: Wäre der US-Amerikaner Trainer bei Borussia Mönchengladbach, er müsste sein „Wording“ nicht ändern. Matarazzo beklagt Pech, führt Charakter und Cleverness ins Feld, wenn es um Punktverluste in letzter Minute geht, will das Team in die Lage bringen, zu gewinnen und betont ein ums andere Mal, dass seine Mannschaft lebe. Es sei Kopfsache, es fehle das rechte Maß zwischen Lockerheit und Härte und gelegentlich vermisse er die Emotionalität. Und, natürlich, man arbeite fokussiert.

Was man halt so sagt, wenn es nicht läuft wie gewünscht und man als Trainer den Hebel (noch) nicht gefunden hat, den man umlegen kann, damit der Trend sich wendet. So weit, so Mönchengladbach. Anders als bei der Borussia hat der VfB in dieser Saison zwar viele Niederlagen, selten aber echte Klatschen kassiert, wie Borussia gegen Leverkusen, Freiburg, Dortmund. Eine einzige wirklich deftige Niederlage gegen Bayern haben die Stuttgarter erlitten, ansonsten war es enorm oft knapp, haderte der VfB mit dem Schicksal, verkaufte sich teuer und fing späte Gegentreffer. Zuletzt lag man gegen Hoffenheim bis zur 85. Minute vorne, bevor der ungeliebte Südwest-Rivale das Spiel noch drehte. „Zu Unrecht“ stünden die Schwaben im Tabellenkeller, sagt auch Gladbachs Trainer Adi Hütter. Nun: Recht oder Unrecht zählen im Fußball leider weniger als Tore und Gegentore, deswegen steht am Ende vermutlich doch jede Mannschaft in der Tabelle genau dort, wo sie hingehört.

Das Problem der immer wieder weit offenen Abwehr hat Borussia im Vergleich mit dem VfB exklusiv. Stuttgart spielt mit einer Viererkette zuletzt meist mit nur einem klaren Sechser davor. Mit Linksverteidiger Borna Sosa kehrt zudem ein zuletzt verletzter Defensivspieler zurück, vermutlich auch schon in die Startelf. Vorne ruht die Hoffnung auf Sasa Kalajdzic. Der Torjäger der vergangenen Saison konnte in dieser Spielzeit erst sechsmal eingreifen, scheint aber jetzt wieder im Vollbesitz seiner Kräfte zu sein. Das ist keine gute Nachricht für die bei Standards notorisch anfällige Borussen-Abwehr. Wer den enorm kopfballstarken Österreicher einhegen kann, mag man sich angesichts der Formschwäche aller zur Verfügung stehender Innenverteidiger nicht vorstellen.

Zu diesen Innenverteidigern gehört Marvin Friedrich erneut nicht. Der Neuzugang ist weiterhin krank. Dafür kehrt Tony Jantschke in den Kader zurück. Ein Kandidat für die erste Elf wäre der Routinier vermutlich nicht, wäre nicht der etatmäßige Friedrich-Ersatz Jordan Beyer gelbgesperrt. So rückt also nun entweder Jantschke an die Seite der zuletzt so schwachen Elvedi und Ginter, oder Ramy Bensebaini rückt in die Dreierkette und wird auf der linken Seite von Luca Netz vertreten. Dass die viel und aus Seitenwahl-Sicht zu Recht kritisierte Dreierkette weiter die Ausrichtung der Wahl für Adi Hütter ist, darf man als gegeben voraussetzen, zumal gegen Wolfsburg auch die Umstellung auf eine Viererreihe keine größere Sicherheit brachte. Laut überlegte Hütter zuletzt, ob er im defensiven Mittelfeld Christoph Kramer und Manu Koné gemeinsam starten lässt und Florian Neuhaus wieder ins offensive Mittelfeld vorzieht. Dann allerdings müsste entweder Jonas Hofmann weichen oder der zuletzt mit einigem Abstand beste Borusse Alassane Plea die Position räumen, auf der er zuletzt glänzte.

SEITENWAHL-Prognose

Christian Spoo: Die gute Nachricht: Borussia kassiert nur ein Gegentor. Die schlechte, erneut lässt man hochkarätige Chancen liegen und muss sich in Stuttgart mit einem 1:1 begnügen. Den VfB hält man damit auf Distanz, die Klasse hält man damit aber noch lange nicht.

Michael Heinen: Für Stuttgart steht am Samstag noch mehr auf dem Spiel als für Borussia. Daher wird es eine schwierige Aufgabe, bei der voller Einsatz nötig sein wird. Am Ende reicht es für ein 1:1, mit dem Borussia weit besser leben kann.

Uwe Pirl: Mir ist immer noch nicht nach Tippen, angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine. Dennoch denke ich, dass Borussia in Stuttgart Tore schießt. Leider kassieren wir auch welche, weil unsere Abwehr löchrig bleibt. 2:2.

Volkhard Patten: Die üblichen zwei Gegentreffer kann unsere Abteilung Attacke nicht kompensieren. Nach der 1:2-Niederlage beu den Schwaben wird unsere Not noch größer.

Thomas Häcki: Kein Spiel für Feinschmecker. Die Borussia müht sich, aber viel läuft nicht zusammen. Da sich beide Seiten defensive Patzer erlauben geht man mit 1:1 auseinander.

Claus-Dieter Mayer: 85 Minuten Zeit hat Gladbach, um den frühen Stuttgarter Führungstreffer auszugleichen. Trotz einiger Chancen und hohem Ballbesitz gelingt das aber nicht, sodass die Borussia den Relegationsrängen noch ein Stück näher rückt.