Manchmal scheint sich die Geschichte eben doch zu wiederholen. In einem existenziell wichtigem Aufeinandertreffen zweier Abstiegskandidaten präsentiert sich die Borussia hellwach und geht früh mit 2:0 in Führung. Gelingt nun der erhoffte Befreiungsschlag? Weit gefehlt! Nach der Pause scheint eine vollkommen andere Mannschaft auf dem Platz zu stehen, die mit zahlreichen individuellen Fehlern den Gegner nahezu einlädt, ins Spiel zurückzukommen. In der Folge gleichen die Schwaben bereits kurz nach der Pause aus, kurz vor Schluss gelingt ihnen sogar der 3:2 Siegtreffer, welcher bei der Borussia lähmendes Entsetzen auslöst. Ob März 2022 oder Februar 2011, die Parallelen zwängen sich geradezu auf. An jenem 5. Februar dürften die meisten geahnt haben, dass Michael Frontzeck eine Wiederkehr in den Borussia-Park verwehrt bleiben würde. Eine Woche und Niederlage später war für ihn Schluss und das Gladbacher Comeback nach Europa nahm seinen Lauf.

Nun ist nicht zu erwarten, dass Adi Hütter bei einer Niederlage eine sofortige Entlassung droht. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass er in Mönchengladbach das Saisonende erleben wird, dürfte bei einer erneuten Niederlage rapide sinken. Zu stark klaffen Anspruch und Realität am Niederrhein mittlerweile auseinander und das er ein Teil des Problems ist, erscheint immer offensichtlicher. Auch in Stuttgart präsentierte sich die Defensive erneut nicht einmal zweitligatauglich, und dies, obwohl sie trotz verschiedener Ausfälle immer noch namhaft besetzt ist. Schlimmer noch. Die Schwaben genügten lange Bällen um Borussias Verteidigung von einer Verlegenheit in die nächste zu stürzen, deren Außenverteidiger zudem jeweils einen völlig gebrauchten Tag erwischten. Die Reaktion von der Bank hierauf? Null! Und so kam es, wie es kommen musste. Kurz vor Schluss erzielte der Tabellenvorletzte den verdienten Siegestreffer und schöpfte neue Kraft im Abstiegskampf, während die Borussia deprimiert immer tiefer im Sumpf versinkt. Natürlich erscheinen späte Gegentreffer immer unglücklich, doch ändert dies nichts an der Tatsache, dass die mittlerweile zwölfte Saisonniederlage vornehmlich hausgemacht war. Sportdirektor Virkus beeilte sich auch, zu versichern, dass der Trainer nicht zur Disposition stünde und es keinen Plan B gäbe. Es wäre allerdings fahrlässig und nahezu realitätsverweigernd sich damit nicht zu beschäftigen. Spätestens bei einer Niederlage würde die Trainerfrage eine ungeheure Dynamik entwickeln, nach einem Spiel, in dem eigentlich schon ein Unentschieden deutlich zu wenig wäre. Ein Sieg ist Pflicht, auch für die Zukunft von Adi Hütter.

Gleiches könnte man eigentlich auch über die Hertha sagen. Wie sich die Bilder doch gleichen. Anspruch und Realität klaffen weit auseinander. Am vergangenen Wochenende wurden alle, die auf einen Befreiungsschlag hofften, bitter enttäuscht. Frustrierte Spieler suchten nach Gründen und appellieren an den Zusammenhalt der Mannschaft, dessen Teil sie wiederum sind. Lediglich Oliver Kempfs kreative Kritik an den Zuschauern weicht vielleicht ein wenig ab. Ansonsten erscheint der Frust deckungsgleich, nur eben in blau-weiß statt in grün-weiß-schwarz. Und doch ist man in der Weltstadt des Fußballs natürlich bereits einen Schritt weiter. Zur Anfang der Woche bat der Geschäftsführer Sport Fredi Bobic die Mannschaft zu einer Aussprache. Ohne Trainer Korkut. Ohne den Sportdirektor Arne Friedrich. Letzterer warf kurz darauf das Handtuch, da sein eigener Einfluss nicht mehr gegeben sei. Dies lässt tief blicken in einen Verein, gegen den Schalke, Köln oder der HSV mittlerweile wie Horte der Harmonie wirken. Ob Bobic, Friedrich, Trainer Korkut, Investor Windhorst oder Präsident Gegenbauer – bei der Hertha scheint mittlerweile jeder gegen jeden zu kämpfen, nur eben nicht auf dem Platz. Das Ergebnis dieser hausgemachten Unruhe lässt sich an der Tabelle ablesen. Die Spieler hätten mittlerweile erkannt, dass sie das Problem seien, resümierte Bobic das Ergebnis der Aussprache und lässt dabei wohlweislich die internen Querelen außen vor. Doch was ist das für ein Zeichen, wenn eine Aussprache ohne Sportdirektor und Trainer stattfindet? Tayfun Korkuts Ansehen dürfte damit einen weiteren Riss bekommen haben, so dass es mehr als wahrscheinlich ist, dass eine Niederlage seine letzte Amtshandlung als Trainer bei der Alten Dame wäre.

Inwieweit die Berliner Gardinenpredigt am Samstag Wirkung zeigt, muss ebenso abgewartet werden, wie ihre Nachhaltigkeit. Wenn Nachwuchstalente wie Luca Netz oder zuletzt Marcel Lotka keine Perspektiven mehr bei der ambitionierten Hertha sehen, spricht das Bände über eine Mannschaft, in der viel zusammenkommt, was nicht zusammen passt. Zumindest scheint man sich in Berlin aber nun dem Ernst der Lage vollkommen bewusst zu sein und es wäre eine Überraschung, wenn der Gast nicht mit höchstem Engagement beginnen würde. Gleiches möchte man sich auch von der Borussia wünschen. Die emotionalen Statements von Yann Sommer und Christoph Kramer nach dem Spiel in Stuttgart lassen zumindest vermuten, dass auch hier innerhalb der Mannschaft klare Worte gefallen sein dürften – ohne die Mediation eines Sportverantwortlichen. Ein griffiges Spielsystem fällt aber auch am Niederrhein nicht über Nacht vom Himmel und so wird der Mannschaft nichts anderes übrigbleiben, als dagegenzuhalten und sich über den Kampf selbst aus dem Sumpf zu ziehen. Abstiegskampf ist eben auch eine Frage des Willens. Beim Engagement dürfte noch Luft nach oben vorhanden sein, in den vergangenen Wochen gehörte man bei den Laufleistungen zu den schlechtesten Teams der Bundesliga. Da trifft es sich gut, dass voraussichtlich Stefan Lainer auf der rechten Seite zurückkehrt und den zuletzt glücklosen Scally ersetzt. Mit Marvin Friedrich und Jordan Beyer stehen zudem wieder Alternativen für die wacklige Defensive bereit. Fehlen wird allerdings Adi Hütter aufgrund einer Erkrankung. Für ihn steht Co-Trainer Peintinger an der Linie.

Doch nicht einzelne Personen, sondern eine geschlossene Mannschaftsleistung wird ausschlaggebend dafür sein, wo die Reise hingehen wird. Die Nerven liegen blank. Umso wichtiger ist es, dass nicht jeder für sich in Schockstarre verfällt sondern sich die Spieler auch wieder aneinander aufrichten. Helfen könnte dabei, dass man im Borussia-Park endlich wieder vor fast vollen Rängen spielt. Welchen Anteil das Publikum hat, konnte man letzten Samstag erleben, als 25.000 Zuschauer die Schwaben wieder nach vorne peitschten. Die Psyche wird entscheidend sein, auch für die finalen Saisonspiele. Ein Erfolgserlebnis wird dringend benötigt, will man sich vorzeitig aus dem Abstiegsstrudel befreien können. Eine Niederlage könnte hingegen für beide Teams ein Schritt in den Abgrund sein.

 

SEITENWAHL-Prognose:

Michael Heinen: „Wenn wir gegen diese Mannschaft nicht gewinnen, gegen wen denn dann?“ das fragen sich vor dem offiziellen „Topspiel“ am Samstag die Fans beider Vereine. Sie werden es sich auch anschließend noch fragen, denn mit dem 2:2 kann am Ende keiner so recht etwas anfangen.

Christian Spoo: Borussia gewinnt 3:2. Schaut euch diese Punkte gut an, es werden die letzten für lange Zeit sein.

Uwe Pirl: Wieder schießt Borussia 2 Tore. Der Unterschied diesmal: Der Gegner ist genauso desolat. Deshalb reicht es zu einem erzitterten 2:2.

Claus-Dieter-Meyer: Irgendwie schafft es die Borussia, diesmal nur ein Gegentor zu kassieren und den knappen 2:1 Sieg über die Zeit zu retten. Die Boulevard-Presse hat damit mal wieder einen Helden für 15 Minuten (vgl Warhol et al) und fragt sofort: „Übernimmt Peintinger jetzt bei Gladbach?“.

Volkhard  Patten: Das Team brüskiert den Trainer und gewinnt mit 3:2, denn selbst Hertha schafft es, gegen unseren Porenbeton doppelt zu treffen.

Thomas Häcki: Der Name Max Schautzer geistert durch den Borussia-Park, nachdem Pleiten, Pech und Pannen eine neue Aufführung erlebt. Auf die Trainerbank wird der 81jährige Max aber vorerst verzichten müssen, weil die Borussia am Ende mit 4:2 gewinnt.