union berlin neuJeden Tag ein Mann weniger – den Eindruck konnte bekommen, wer in den letzten Tagen die Berichterstattung über Borussia Mönchengladbach verfolgt hat. Koné gesperrt, Lainer Corona-Infiziert, Elvedi umgeknickt, dazu die bekannten Langzeitverletzten Sommer, Itakura, Neuhaus und Hofmann. Was als Delegation von Borussia Mönchengladbach am Sonntag in Berlin auflaufen wird, fühlt sich schon ein wenig wie das letzte Aufgebot an. Auch in anderer Hinsicht waren die Vorzeichen schon mal besser. Die letzte Woche mit dem vergebenen Sieg in Wolfsburg, dem Pokal-Aus in Darmstadt (eine Mannschaft, die in ihrer Spielweise gewisse Parallelen zu Union Berlin aufweist) und der vollkommen verdienten Heimniederlage gegen Frankfurt war nicht gerade ermutigend. Dazu kommt erneute Unruhe im Umfeld, ausgelöst durch ein im wahrsten Sinne des Wortes weinerliches Interview von Max Eberl sowie Transfergerüchte um Thuram und Bensebaini.

Trotzdem findet am Sonntag in Berlin ein Bundesligaspiel statt, bei dem Borussia Mönchengladbach auf den Überraschungsspitzenreiter Union Berlin trifft. Die Entwicklung der Eisernen ist in der Tat extrem erstaunlich. Im dritten Bundesligajahr ungeachtet der Abgänge der Schlüsselspieler Luthe und Awoniyi nicht mehr als Abstiegskandidat gehandelt, hatte den Berlinern wohl trotzdem kaum jemand zugetraut, nach 11 Spieltagen die Tabelle anzuführen, im Achtelfinale des DFB-Pokals zu stehen und auch noch alle Chancen zu haben, in der Europa-League zu überwintern. Schaut man genauer hin, ist die Entwicklung nicht unlogisch. Zwar hat man in der Tat Schlüsselspieler abgegeben, jedoch spielt Union Berlin unter Anleitung von Urs Fischer einen Fußball, der auf Ordnung und Disziplin beruht und weniger die individuellen Qualitäten einzelner Profis hervorhebt. Deshalb blieb der prognostizierte Einbruch nach dem Abgang von Max Kruse im letzten Winter aus, deshalb gelingt es der Mannschaft auch in dieser Saison, sich in der Bundesliga weiter nach vorn zu entwickeln. Solange das Kollektiv diesen Fußball verinnerlicht und bereit ist, den dafür erforderlichen Aufwand zu treiben, spricht nichts für einen Einbruch (auch wenn Union Berlin am Ende vermutlich weder Meister noch sich für die Champions League qualifizieren wird). Dabei hilft es natürlich, dass man die Abgänge gut ersetzen konnte. Dass Union auf dem Transfermarkt mittlerweile in der Hierarchie aufgerückt ist, zeigen Neuzugänge wie Leweling, den dem Vernehmen nach auch Borussia Mönchengladbach auf dem Zettel potentieller Neuzugänge hatte, oder Haberer, der zwar in Freiburg für einiges Vertrags-Hickhack sorgte und verletzungsbedingt dort nur Ergänzungsspieler war, in Berlin jedoch glänzend eingeschlagen hat. Und natürlich hilft es auch, dass ein starker Konterstürmer wie Sheraldo Becker gerade in der Form seines Lebens zu sein schein.

Wer Müdigkeit aufgrund der Europa League erwartet, dürfte auch enttäuscht werden, bisher zählen die Eisernen aus der Wuhlheide zu den laufstärksten und robustesten Mannschaften der Liga. Wahrscheinlicher ist, dass der Erfolg und die Aussicht auf ein internationales Überwintern so etwas wie Euphorie auslöst. Zudem kann eine Mannschaft wie Union mit potenziell wenigen WM-Teilnehmern ohne Rücksicht auf Ermüdung jetzt alles rausblasen, was sie hat, zum Regenerieren steht ja den meisten eine üppige Winterpause zur Verfügung.

Borussia Mönchengladbach erwartet also ein extrem schweres Spiel bei einem Gegner, der in letzter Zeit nicht unbedingt ein Lieblingsgegner war. Wie eingangs erwähnt, stellt sich die Mannschaft von selbst auf. Sofern Elvedi spielen kann, wird die Viererkette unverändert bleiben. Kann Elvedi nicht spielen, ist der Auftritt von Bensebaini innen und Netz als Linksverteidiger wohl die wahrscheinliche Variante. Alternativ könnte Kramer nach hinten rutschen, aber dann fehlt dem Autor dieser Zeilen jede Phantasie, wer Kramer neben Weigl auf der Sechs ersetzen könnte. Offensiv dürften Plea, Stindl und Thuram gesetzt sein. Für die letzte offene Position dürfte sich Daniel Farke zwischen Erfahrung (Herrmann) und Potenzial (Ngoumou) entscheiden.

Welche Marschroute sollte man einschlagen? Bochum hatte Erfolg damit, Union das Spiel zu überlassen. Selbst das Spiel machen kann Union nicht besonders gut, was eine der wenigen Schwächen der Mannschaft ist. Allerdings ist diese Marschroute für Borussia Mönchengladbach wenig erfolgversprechend, weil die Mannschaft nun mal darauf ausgerichtet ist, Fußball spielen zu wollen. Trotzdem kann man wohl Ansätze übernehmen: Das Vermeiden schneller Konter z.B. wäre eine gute Idee, auch das Verdichten des defensiven Mittelfeldes. Gelingt das und schafft man es endlich mal, die eigenen Angriffe mit Präzision zu versehen, könnte auch in Berlin was drin sein.

Der SEITENWAHL-Tipp:

Uwe Pirl: 2:2. Weil es Borussia zwar gelingt, schöne Spielzüge mit Toren zu veredeln, jedoch defensiv nach wie vor einiges im Argen liegt. Unangenehme Begleiterscheinung: Borussia verhilft Bayern zur Tabellenführung.

Michael Heinen: Die ersten beiden Partien bei einem Tabellenführer endeten in dieser Saison Unentschieden. Die beiden folgenden leider nicht. In Berlin verliert Borussia mit 3:1.

Christian Spoo: Die Fast-Spitzenmannschaft aus Berlin ist zu gut für das Mittelmaß-Team vom Niederrhein. Dank eines nie gefährdeten 2:0-Sieges bleibt Union Berlin Tabellenführer.

Volkhard Patten: Berlin ist müde, aber für eine ersatzgeschwächte Borussia reicht es alle male. Nach dem 0:3 stellt sich immer mehr die Frage, ob und wie der Kader in der Winterpause optimiert werden muss.

Thomas Häcki: Es gibt eigentlich keinen Grund, warum Union nicht gewinnen sollte. Nach der 2:0 Führung schalten die Eisernen in den Energiesparmodus und bringen es über die Zeit.

Michael Oehm: Ich halte eisern zur Borussia. Und rechne als unverbesserlicher Optimist allen Widrigkeiten zum Trotz mit einem unverhofften Punkt. 1-1.