Aus Sicht des Niederrheiners war das 1:1 von Borussia bei Eintracht Frankfurt „weder Fich noch Fleich“. Positiv: In den ersten 40 Minuten lieferte die Mannschaft eines der besten Auswärtsspiele dieser Saison ab und ging verdient mit 1:0 in Führung. Zum vierten Mal in Folge blieb der Verein ungeschlagen und kann mit jetzt 36 Punkten planungssicher die neue Saison vorbereiten. Negativ: Die minimale Chance, doch noch ins Rennen um die europäischen Plätze einzugreifen, wurde durch den späten Gegentreffer nahezu vernichtet. Wieder einmal war in der 2. Halbzeit ein deutlicher Leistungsabfall zu beobachten, sodass das Endergebnis am Ende sogar noch schmeichelhaft war. Wie so oft gelang es der Elf von Daniel Farke nicht, eine ordentliche Leistung über 90 Minuten durchzuziehen.

Ballbesitzfußball erfordert, dass die Defensive möglichst sicher und fehlerfrei agiert. Dies ist bei Borussia leider zu selten gegeben. Insbesondere die Außenverteidiger sind viel zu anfällig, unabhängig davon ob rechts Scally oder Lainer und ob links Bensebaini oder Netz aufgeboten werden. Innen hat sich dagegen speziell Nico Elvedi in den letzten Wochen stabilisiert. Der Schweizer gehörte in den letzten sechs Partien stets zu den besten Borussen und hat seine vorherigen Unsicherheiten abgelegt. Von daher besteht inzwischen kein Handlungsbedarf mehr für einen Wechsel, was bei Marvin Friedrich für Unmut sorgt. So verständlich dieser ist, so gibt es bessere Wege, als dies im Boulevard breitzutreten. Etwas übertrieben wirkte aber die Reaktion des Trainers, der seinen Spieler auf der Pressekonferenz gehörig einfarkte. Richtig ist, dass Friedrich bislang überschaubare Leistungen für Borussia abgeliefert hat, die nicht besser waren als jene von Elvedi und Itakura in den letzten Wochen. Dennoch können wir nur hoffen, dass Farke seine personellen Entscheidungen nicht auf Basis solch statistisch höchst fragwürdiger Zahlen trifft wie in der Pressekonferenz vorgerechnet. Der Verweis auf die höhere Anzahl Gegentoren in Partien mit Beteiligung des einstigen Berliner Abwehrchefs dürfte schon aufgrund der sehr geringen Untersuchungseinheiten (Spiele) statistisch kaum signifikant sein. Von einem typischen Ausreißer wie dem 1:5 in Bremen einmal ganz zu schweigen.

Ballbesitzfußball erfordert in der Offensive, dass die Mannschaft mit diesem auch etwas Brauchbares anzufangen weiß. Beim Führungstreffer war dies der Fall. Hier spielte Borussia ihre individuelle Qualität aus, über die sie insbesondere in der Offensive zu genüge verfügt. Neuhaus, Thuram, Hofmann sind wie geschaffen für solch überfallartige Angriffe, die für jeden Gegner fast unmöglich zu verteidigen sind. Wenn die Mannschaft schnell und überraschend spielt und so ihren Ballbesitz effektiv einsetzt, führt dies automatisch zu klaren Torchancen. Leider setzt Borussia dieses Stilmittel aber viel zu selten ein. Viel zu oft verkommt der Ballbesitz zum Selbstzweck, um sich den Ball gemächlich zuzupassen und allein die Statistik aufzuhübschen. So blieb die Situation zum 1:0 die einzig wirklich zwingende Torchance in der gesamten Partie, was angesichts der offensichtlichen Möglichkeiten sehr bedenklich ist.

Wer den Ball oft hat, der hat zum einen eine größere Chance, sich klare Torchancen herauszuspielen. Er trägt zum anderen aber auch das höhere Risiko, Fehler zu machen. Die aktuelle Mannschaft hat inzwischen oft genug bewiesen, dass sie nicht in der Lage ist, das von Farke präferierte System gut oder gar optimal umzusetzen. Für die neue Saison wird sich der Trainer Spieler suchen müssen, die dazu fähiger sind. An deren Umsetzung seiner Spielidee wird er sich dann messen lassen müssen.

Allzu lange sollte dies aber besser nicht dauern, um nicht frühzeitig in der neuen Saison eine Trainerdiskussion heraufzubeschwören. Farke wird leider mit einer gewissen Hypothek in die neue Spielzeit gehen, da es ihm nicht gelungen ist, aus der aktuellen Mannschaft das Optimum herauszuholen. Auftritte wie in der ersten Halbzeit gegen Frankfurt lassen erahnen, was mit etwas mehr (taktischer) Flexibilität auch schon in dieser Spielzeit hätte möglich sein können. Den oft genannten Vorwurf, Farke würde zu spät wechseln und seinen Ersatzleuten damit zu wenig Chancen geben, teile ich dagegen nur bedingt. Eine (frühzeitige) Einwechselung von Spielern wie Wolf, Netz oder Herrmann hätte die Mannschaft qualitativ alles andere als verstärkt und daher kaum zu einem besseren Ergebnis geführt. Nathan Ngoumou wurde dagegen relativ früh ins Spiel gebracht und damit für seinen ordentlichen Auftritt gegen Wolfsburg belohnt. Als die Hessen nach einer guten Stunde den Druck wieder etwas erhöhten, sollte der junge Franzose mit seiner Schnelligkeit für Entlastung – und im Idealfall für das zweite Tor – sorgen. Ein verständliches Vorhaben, das aber leider misslang, da es der Mannschaft nicht gelang, Ngoumou entsprechend in Szene zu setzen.

Gegen den Wolfsburger Werksklub deutete der 23jährige erstmals an, mit seinen Qualitäten auch in der Bundesliga erfolgreich sein zu können. Insgesamt waren seine Leistungen bislang aber zu schwach, als dass er Ansprüche auf einen Stammplatz stellen dürfte. Einen solchen wird er sich durch hohes Engagement verdienen müssen. Es sei darauf verwiesen, dass er auch schon in Toulouse zwei Jahre Anlaufzeit benötigte, um sich in der französischen Ligue 2 durchzusetzen. Zum Vergleich: Der um ein Jahr jüngere Manu Koné konnte sich mit 18 Jahren im selben Verein und sogar in der Ligue 1 auf Anhieb durchsetzen und direkt einen Stammplatz erkämpfen. Dies war Ngoumou erst im Alter von 21 – nach zwei Spielzeiten mit insgesamt lediglich 285 Spielminuten – vergönnt. Es ist daher nicht überraschend, dass er auch in der Bundesliga eine entsprechende Eingewöhnungszeit benötigt, um hoffentlich ab der nächsten Saison seine Stärken konstant ausspielen zu können.

Dies möchte auch Julian Weigl gerne tun, der in Frankfurt nach seiner langen Verletzung ein ordentliches Comeback feierte. Der Ex-Dortmunder ist nicht der klassische Fanliebling, da seine Leistung meist unauffällig und für den Laien nur schwer zu würdigen ist. Seine Trainer schätzen ihn aber zumeist für seine Passsicherheit und seine Präsenz im Mittelfeld, die für Farkes präferierten Spielstil sehr wichtig ist. Zum Pressing-System von Benficas Trainer Roger Schmidt passt Weigl hingegen zum Glück nicht, sodass ein Wechsel grundsätzlich eine Win-Win-Win-Situation für beide Vereine und den Spieler darstellen würde. Die im Raum stehende Kaufoption in Höhe von 15 Mio. Euro ist allerdings deutlich zu hoch angesetzt und sollte von Borussias Verantwortlichen noch entsprechend runtergehandelt werden.

Dass er verhandeln kann, bewies Roland Virkus im vergangenen Winter beim Torhütertausch, der sich nach der vergangenen Woche immer mehr als Win-Lose-Lose-Geschäft entpuppt. Der Gewinner war dabei zum Glück Borussia, die mit Jonas Omlin einen sportlich wie charakterlich überragenden Sommer-Nachfolger verpflichtet hat. Yann Sommer dagegen wird sich zunehmend fragen, ob sein Traum von Ruhm und Titeln nicht etwas zu kurz gedacht war. Für eine Leistung wie zuletzt in Manchester wäre er bei Borussia gefeiert worden, weil er mit seinen Weltklasse-Paraden eine noch höhere Niederlage abgewendet hat. Bei den Bayern mit ihrer Vielzahl an Möchtegern-Experten sind die Ansprüche dagegen andere. Dort wird er stets an seinem Vorgänger gemessen – und zwar an dessen Leistungen bis 2016. Dass Manuel Neuer nach zahlreichen Verletzungen und dank zunehmenden Alters mit inzwischen 37 Jahren schon lange nicht mehr der überragende Torhüter vergangener Tage ist, sondern zuletzt durch drei echte Torwartfehler höchst aktiv zum deutschen WM-Vorrunden-Aus beitrug, wird nostalgisch verklärt. Dies führt zu einer höchst unfairen und respektlosen Behandlung des Schweizer Nationaltorwarts. Mitleid hat Sommer aber nicht nötig, da er genau dies hätte vorhersehen können. Ein fairer Zweikampf mit dem „Jahrhunderttorhüter“ wäre allerhöchstens dann vorstellbar gewesen, wenn der Schweizer mit seinen Paraden zu einem Champions-League-Sieg der Bayern beigetragen hätte.

Borussia kann über die Skiaktivitäten des einstigen Welttorhüters letztlich froh sein, da sie so einen weiteren ablösefreien Abgang eines Top-Spielers verhindern und stattdessen einen jüngeren und sportlich ebenfalls hochklassigen Torhüter langfristig binden konnte. Neben Ko Itakura ist Omlin der zweite Top-Transfer der Virkus-Ära, was Hoffnung für die kommende Transferperiode macht. Roland Virkus kann genau wie sein Vorgänger auf dasselbe erfolgreiche Scouting-Team vertrauen, das in den kommenden Monaten vor seiner größten Herausforderung steht. Anders als in den Vorjahren kann der Verein Spieler nicht mehr mit europäischer Perspektive locken. Stattdessen ist der Verein in dieser Saison endgültig auch in der öffentlichen Wahrnehmung im Mittelmaß angekommen.

In den verbleibenden sechs Partien wird es darum gehen, die Saison respektabel zu Ende zu spielen und mindestens noch den aktuellen Platz 10 zu halten. Spätestens seit dem Ausgleichstreffer von Kolo Muani ist klar, dass diese Saison kein Fisch, und erst recht kein Fleisch mehr werden wird, sondern lediglich eine nahtlose Fortsetzung der enttäuschenden Vorsaison.