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Die Offensive

Auf, auf, auf geht´s in die historische erste Champions League Saison der Vereinsgeschichte. Für die Defensive wurde bereits analysiert, dass Favre eine Vielzahl vielversprechender Optionen mit guten Zukunftsperspektiven zur Verfügung steht, die dem Verein bei guter Entwicklung in den kommenden Jahren eine Menge Freude bereiten werden. Für die anstehende Spielzeit erscheint aber fraglich, ob sich dies unbedingt schon so kurzfristig auszahlen wird. Qualitativ erscheint der Kader defensiv durch den Wegfall des etablierten Christoph Kramer eher etwas schwächer aufgestellt als zuletzt. Wie sieht es aber in der Offensive aus, mit der sich Favre zuletzt nicht immer zu 100% zufrieden zeigte. Gilt hier für Kruse das gleiche wie bei Kramer oder sind die Vorzeichen anders zu deuten?

Offensive Außenbahnen

In Hannover bot Lars Stindl seine mit Abstand besten Partien im offensiven Mittelfeld. Gut möglich, dass er dort auch in Gladbach in den Konkurrenzkampf mit eintritt, der allerdings auch schon ohne ihn gewaltig ist. Patrick Herrmann wird nach der vorigen Saison mit einem gewissen Vorsprung in die neue Spielzeit starten. Fabian Johnson könnte diesen durch seine Abwesenheit in der Vorbereitung verlieren, da er den gesamten Juli noch mit den USA beim Gold-Cup verweilt. Aus der Vergangenheit ist bekannt, welch großen Wert Favre darauf legt, dass sich seine Spieler in der Vorbereitung gezielt auf sein System einspielen. Nicht zuletzt wegen der durch den Kruse-Abgang notwendigen Veränderungen im Angriff könnte es für Johnson zu Saisonbeginn eng werden. Andererseits hat er in der Rückrunde dermaßen überragend mit Oscar Wendt auf der linken Seite harmoniert, dass er mit ziemlicher Sicherheit seine Chancen erhalten wird. Der Schwede hat sich defensiv zwar in der Vorsaison enorm gesteigert. Er kann seine offensiven Stärken aber nach bisherigen Erfahrungen nur dann optimal einbringen, wenn ihm eine defensiv mitdenkende Kraft auf der linken, offensiven Außenbahn zur Seite gestellt wird. Hier bietet sich bislang keiner mehr an als der US-Amerikaner.

Neben Johnson werden aber auch 8 Mio-Neueinkauf Thorgan Hazard, Ibrahima Traoré und André Hahn wieder mit voller Kraft angreifen, um mehr Einsatzzeiten zu erhalten. Dem Guineer könnte entgegenkommen, dass nunmehr mit Drmic ein echter Knipser zur Verfügung steht, der seine Flanken zu verwerten wissen sollte. Solange Borussia europäisch unterwegs ist, darf damit gerechnet werden, dass Favre an seinem Rotationsmodell aus dem Vorjahr festhält. Selbst wenn dies bedeutet, gegen hochkarätige Gegner aus der Champions League auf einigen Positionen mit der vermeintlichen B-Besetzung aufzulaufen, erscheint dieser Weg alternativlos, um die harten Belastungen über die ganze Saison hinweg zu meistern. Anders wäre es im Vorjahr kaum vorstellbar gewesen, trotz der Doppelbelastung gerade in der Saisonendphase noch so einen überzeugenden Lauf hinzulegen. Wie auch immer es Favre aber dieses Jahr handhaben wird: Auf den offensiven Außenbahnen ist für die bevorstehende Spielzeit, sowie auf absehbare Zeit, ausreichende Qualität und Quantität vorhanden.

Angriff

Raffael ist als verlässliche Offensivstütze derart unverzichtbar, dass Eberl selbst bei einem unmoralischen Angebot der Bayern kaum schwach werden würde. Der Brasilianer hat aber schon in der abgelaufenen Saison Phasen eingelegt, in denen er von seiner Topform relativ weit entfernt war. Phasen, in denen zeitweilig auch das Offensivspiel der Borussia stockte. Mittelfristig erhofft sich der Verein von Thorgan Hazard einen Entwicklungsschub, der ihn – möglichst schon in dieser Saison – zu einer ernsthaften Raffael-Alternative etabliert. Bislang fehlte dem Belgier hierzu noch das gewisse Etwas, aber mit seinen 22 Jahren sollte ihm dies durchaus zuzutrauen sein. Je nach Spielsystem könnten auch Xhaka oder Stindl in die offensivere Position vorrücken, so dass sich grundsätzlich genügend Optionen auftun.

Spannender wird die Frage, wer den zweiten, offensiveren Platz im Angriff einnehmen wird. Vorrangig ist hier Neuzugang Josip Drmic vorgesehen, für den immerhin fast 10 Mio. Euro ausgegeben worden sind. Ein stolzer Betrag für einen in Leverkusen gescheiterten Stürmer mit zuvor nur einer erfolgreichen Saison in der Bundesliga. Aber auch der Schweizer hat mit seinen 22 Jahren noch Entwicklungspotential, das offensichtlich von Favre und Eberl als sehr hoch eingeschätzt wird. Den gemeinen Fan freut es ohnehin, dass endlich mal wieder ein echter Knipser verpflichtet wurde, dem bei gutem Saisonverlauf 15 Tore oder mehr zuzutrauen sind. In Nürnberg waren es 17 und selbst in Leverkusen kam er bei sehr geringer Spieldauer immerhin auf 6 Ligatreffer. Bedenklich stimmt seine schwache Zweikampfquote von 26 %, die angeblich die schwächste der gesamten Liga gewesen sein soll. Lucien Favre ist aber bekannt dafür, Spieler tatsächlich besser zu machen und wird an dieser Schwäche mit Sicherheit arbeiten. Da sich der Coach vorab für die Verpflichtung seines Landsmanns eingesetzt hat, ist der Vergleich mit Luuk de Jong unzureichend. Der Holländer hatte bei Favre einst von Beginn an einen schweren Stand, da er nicht ins geplante Spielsystem passte. In diesem Jahr wiederum war es ein ausdrücklicher Wunsch des Trainers, einen torgefährlichen Spieler zu holen, der vor dem Tor die nötige Entschlossenheit mitbringt. In diesem Punkt hatte Favre zuletzt noch das größte Verbesserungspotential seiner Mannschaft gesehen, die in einigen Spielen zu viele Chancen ungenutzt ließ und nicht immer zwingend genug agierte.

Sollte das „Experiment“ Drmic scheitern, müsste Favre kreative Lösungen finden. Dies könnte in einer Systemumstellung „ohne echten Stürmer“ liegen, also z. B. mit einem Doppelpack bestehend aus Hazard, Raffael, Herrmann, Hahn und/oder Stindl. Oder aber es schlägt doch noch die Stunde von Branimir Hrgota. Dieser wurde zuletzt mit Hannover 96 in Verbindung gebracht, dürfte aber nur abgegeben werden, wenn Borussia noch einen mindestens ebenbürtigen Angreifer findet. Der Schwede hatte im Vorjahr eine beachtliche Torquote, die er sich vornehmlich gegen schwächere Gegner verdiente. In allzu vielen Spielen tauchte er unter und wirkte oftmals wie ein Fremdkörper im ansonsten so brillanten Offensivspiel der Borussia. Auch ihm sei noch die Möglichkeit einer entsprechenden Entwicklung zugestanden. Die Tatsache, dass Borussia bislang wenige Anstalten macht, seinen 2016 auslaufenden Vertrag zu verlängern, spricht aber dafür, dass auch der Verein sein Potential eher für begrenzt hält. Unter diesen Voraussetzungen sollte ein potentieller Transfer in diesem Sommer durchaus überdacht werden, zumal auf dem aufgehitzten Markt horrende Summen zu erzielen sind. Wenn ein Joselu 8 Mio. Euro, ein Drmic und Okazaki rund 10 Mio. einbringen, dann sollte auch ein Hrgota keinesfalls für unter 4 Mio. abgegeben werden. Entscheidend ist in dieser Frage eh, welchen Spieler Eberl möglichst kostenneutral an seiner Stelle verpflichten könnte.

Fazit

Insgesamt scheint Borussia schon jetzt ordentlich aufgestellt für die neue Saison. Gerade defensiv wurde die Breite mit talentierten Jungspielern gestärkt. Die Qualität des Kaders scheint aber durch die Neuzugänge nicht zwingend erhöht worden zu sein. Ob ein Stindl das Niveau von Kramer erreicht und dies idealerweise sogar auf dessen Position oder ob der zuletzt gescheiterte Drmic wieder an alte Nürnberger Zeiten anknüpft und damit Kruse vergessen macht, ist mit einigen Risiken behaftet. Die größte Hoffnung für einen tatsächlichen Qualitätszuwachs bietet somit eher das Entwicklungspotential der vielfach noch sehr jungen Spieler. Dem gegenüber steht lediglich das zunehmende Alter der bisherigen Abwehrstützen Stranzl und Brouwers. Wer darauf gehofft hatte, dass Borussia mit den sicheren Champions-League-Millionen einen Großangriff auf diverse Topstars initiiert, wurde - zum Glück - enttäuscht. Spieler, wie Eto´o oder Llorente, die auf einigen windigen Internet-Portalen als Kandidaten gehandelt wurden, wären innerhalb des bestehenden Gehaltsgefüges nicht zu vermitteln und dürften daher niemals ernsthaft Thema gewesen sein im Verein. Max Eberl hat schon bei Kruse offenbart, dass er selbst für einen etablierten Top-Stürmer nicht bereit ist, die Messlatte allzu weit nach oben zu verschieben. Borussia zahlt lieber die eine oder andere Millionen mehr an Ablösen für Spieler, die bereit sind, sich in die relativ bescheidenen Gladbacher Verhältnisse einzufügen. So klingen fast 10 Mio. Euro für Drmic und 4 Mio. Euro für Elvedi für den Außenstehenden nach sehr viel Geld. Über die Vertragslaufzeit der Spieler kann sich dies aber wieder rechnen. Und der nicht zu unterschätzenden Gehaltshygiene im Team tut es sowieso gut.  Man frage nach bei den Herren Drygalski und Effenberg.

Noch ist die aktuelle Transferperiode für fast 2 weitere Monate geöffnet und Eberl deutete an, dass noch Geld vorhanden sei, um bei Bedarf zuzuschlagen. Aus jetziger Sicht würde dies am ehesten im defensiven Mittelfeld Sinn machen, wo noch die größte Unsicherheit besteht, wie der Kramer-Abgang zu kompensieren sein wird. Ein potentieller Verkauf von Hrgota würde zudem die Verpflichtung eines weiteren Hochkaräters im Angriff erzwingen, um auch hier die Optionen zu erhöhen und zudem Rotationsmöglichkeiten für die Champions League zu bieten.

Trotz der teilweise kritischen Anmerkungen ist Borussia alles in allem auf einem ordentlichen Weg, um auch in der bevorstehenden Champions-League-Debütsaison erfolgreich zu agieren. Schon zu Beginn der letzten Spieljahre wurde regelmäßig hinterfragt, ob der grandiose Erfolg noch einmal wiederholt werden könne, was die Mannschaft jedes Mal kräftig bejahte, wobei sie sich in den meisten Fällen sogar noch zu steigern verstand. Seit der Inthronisierung von Lucien Favre am 14. Februar 2011 ist eine kontinuierliche Entwicklung dieser Mannschaft erkennbar, die durch den Verlust des legendären "Rückgrats" einen kurzen Dämpfer erhielt, die aber selbst davon nicht aufzuhalten war. Es muss nicht als unbescheiden gelten darauf zu setzen, dass sich diese positive Entwicklung auch in der kommenden Saison fortsetzen wird. Dies muss nicht zwingend eine Wiederholung des überragenden 3. Tabellenplatzes bedeuten. Diese Borussia bringt aber alle Voraussetzungen mit, um wieder erfolgreich um die Plätze 2-6 mitzuspielen und sich damit endgültig als deutsches Spitzenteam zu etablieren.