Eintracht FrankfurtEs liegt an den Verletzten. Punkt. Aus. Basta. Das wäre die Kurzversion. Sie spiegelt sich in den öffentlichen Äußerungen der Borussen nach und teilweise auch vor dem Spiel. Meist wird sie mit einigen verbalen Schleifen und Redundanzen verziert, damit es nicht ganz so kurz wird. Im Kern aber ist es nicht mehr als dieses: Es liegt an den Verletzten. Punkt. Aus. Basta.

Max Eberl betont ja, man dürfe nicht vergessen, wo Borussia herkommt. Vergessen wir es also nicht und werfen den Blick auf die jüngere Gladbacher Vergangenheit: Wir schreiben das Jahr 2010. Der Kader ist erheblich schwächer als anno 2016. Die Verletztenliste ist lang, die tabellarische Lage dramatisch. Borussia verliert Spiel um Spiel, kassiert im Schnitt drei Gegentore und droht, im Abstiegskampf vorzeitig den Anschluss zu verlieren. Von Woche zu Woche gleichen sich Leistungen und Spielverläufe. Von Woche zu Woche glichen sich die Ergebnisse. Von Woche zu Woche gleichen sich auch die Interviews: Es liegt an den Verletzten. Punkt. Aus. Basta. Die Rhetorik ist also bekannt.

Sie war aber unbekannter geworden: Eine der Veränderungen, die den Wechsel von Michael Frontzeck zu Lucien Favre markierten, lag darin, dass man sich diese Erklärung versagte. Zu besichtigen war diese Kulturveränderung z.B. vor Favres erstem Heimspiel gegen Borussia Dortmund, am 31. Spieltag der Saison 2010/11. Es traf der Letzte auf den Ersten. Beim Letzten fehlten Dante und de Camargo verletzt und Hanke mit gelb-rot-Sperre. Angesichts einer damals sehr viel begrenzteren Qualität des Kaders in der Breite wahrlich genug Grund zu hadern. Auf der Bank saßen neben Heimeroth die Spieler Matmour, Levels, Fink, Schachten, Marx und Bäcker. Der Letzte aber haderte nicht, sondern besiegte den Ersten mit 1:0 und blickte auf das nächste Spiel. Grundhaltung des Trainers damals, benannt und vorgelebt: Es bringt nichts, über Verletzungen zu sprechen. Wir können es nicht ändern. Es ist meine Aufgabe, trotzdem Lösungen zu finden. Als er meinte, sie nicht mehr zu finden, zog er zum Entsetzen der Verantwortlichen und vieler Anhänger von sich aus endgültige Konsequenzen. Man kann das bedauern, aber auch hier gilt: Wir können es nicht ändern.

Ändern kann man aber die Kultur. Niemand wird bestreiten, dass der Ausfall von Raffael und Hazard der Borussia weh tut. Aber mit der Grundhaltung „Es bringt nichts, darüber zu sprechen. Wir können es nicht ändern. Es ist unsere (des Trainers, der Spieler) Aufgabe, trotzdem Lösungen zu finden“ ist die Borussia lange sehr gut gefahren. Der Kader ist inzwischen so viel besser besetzt als im Jahr 2010, dass man schon fragen kann, ob die verbleibenden Zutaten im Offensivspiel nicht für ein schmackhafteres und nährreicheres Hauptgericht ausreichen könnten als die am Freitagabend verabreichte Magerkost: mit einem Weltmeister Christoph Kramer und dem von zahlreichen Spitzenvereinen umworbenen Mo Dahoud im Mittelfeldzentrum. Mit dem aktuellen US-Nationalspieler Fabian Johnson, über den man angeblich sogar in Barcelona schon nachgedacht haben soll. Mit dem mit gutem Grund immer wieder mit der Nationalelf in Verbindung gebrachten Lars Stindl und mit zwei Spielern, die von Jogi Löw immerhin schon berufen wurden: André Hahn und Patrick Herrmann. Mit einem Oscar Wendt, der seine offensiven Fähigkeiten schon vielfach unter Beweis gestellt hat. Mit dem millionenschweren Jonas Hofmann, dessen Anlagen ihm wie Nico Schulz immerhin zu Einsätzen in der deutschen U21-Nationalelf verhalfen. Und in der Hinterhand ein Djibril Sow, dessen Leistungen in der Vorbereitung zu größeren Hoffnungen Anlass gaben.

Ist es wirklich so unmäßig, wenn man fragt, ob sich damit nicht mehr als vier torlose Bundesligaspiele in Folge zustande bringen ließen? Mehr als eine einzige Großchance zuhause gegen Eintracht Frankfurt? Einem, bei allem gebührenden Respekt angesichts der Entwicklung unter Kovac, zwar bissigen und gut sortiertem Gegner, der letztlich aber doch eher dem Mittelfeld der Liga zuzuordnen ist? Max Eberl hat ja völlig Recht: Es wäre für einen Verein wie Borussia kein Weltuntergang, auch mal eine Saison auf Platz 10 zu beenden. Aber der Tabellenplatz ist das eine, das andere ist die Art, wie er zustande kommt.

Aktuell gibt es eine Tendenz der Verantwortlichen, das Spiel gegen den Hamburger SV rückwirkend zum offensiven Feuerwerk zu verklären, dem allein außerordentliches Pech im Abschluss die Krönung versorgte. So war es nicht. Borussia bekam zwei Elfmeter zugesprochen, von denen der erste eher der Ungeschicklichkeit des Gegners als einer eigenen zwingenden Offensivaktion entsprang und der zweite sehr fragwürdig war. Darüber hinaus ergaben sich in einige Großchancen vor allem in der Schlussphase und insbesondere in den Momenten, in denen die Borussen ihre Überzahl schnell und präzise ausspielten. Unter dem Strich waren diese Augenblicke aber zu selten, um das Glück zu erzwingen. Und das gegen einen Gegner, der sich seit Wochen in zweitklassiger Verfassung präsentiert und im Borussiapark mehr als eine Stunde lang in Unterzahl spielte. Besseres Ergebnis, aber ähnlich uninspiriertes Bild im Pokal gegen einen zweitklassigen Gegner. Und wenige Tage später wieder Ideenarmut gegen einen mittelklassigen Bundesligisten. Es ist dieses Muster, das Sorgen macht.

Noch ist wenig geschehen. Ein Mittelfeld-Platz allein ist kein Grund für größere Panik. Der Kader ist inzwischen so stark, dass ein Abrutschen in noch tiefere Gefilde nicht zu erwarten ist. Raffael ist wieder im Mannschaftstraining; seine Rückkehr sollte in der Tat vieles erleichtern. Zugleich stehen unangenehme Aufgaben in der Liga an. Zu Hause heißen die nächsten Gegner Köln und Hoffenheim, auswärts Berlin und Dortmund. Von diesen bleiben aktuell nur die Dortmunder hinter den Erwartungen zurück. Köln, Berlin und Hoffenheim schöpfen ihre Möglichkeiten in beeindruckender Weise aus. Ihnen wird man mit einer Neuauflage von „Es liegt an den Verletzten. Punkt. Aus. Basta“ nicht beikommen.