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VfL BochumDie Erfahrung hat jeder Fußballbegeisterte schon gemacht: Man sehnt den Schlusspfiff herbei. Immer wieder der Blick zur Uhr. Quälend langsam müht sich der Sekundenzeiger voran, als habe ihm eine üble Macht Blei in die Schuhe gegossen. Jede kleine Unterbrechung verschafft Erleichterung. Jeder Ballverlust nährt die Angst, es könne in letzter Sekunde doch noch schiefgehen. Warum pfeifst du nicht endlich ab, warum nicht? Wieder der Blick zur Stadionuhr. Immer noch nicht vorbei. Die Uhr ist kaputt, warum merkt das denn keiner? Pfeif ab, pfeif endlich ab. Und dann die Katastrophe. Um einen herum bricht ein Tohuwabohu gellender Begeisterung aus, während sich im eigenen Inneren Verzweiflung mit Wut mischt. Keine Frage, Friedhelm Funkels Ausbruch war verständlich. Berechtigt, freilich, war er nicht.

 

Die aktuell gültigen Fußballregeln sind auf der Homepage des DFB nachzulesen. Regel 7 samt Erläuterungen gibt klare Auskunft darüber, welche Bedeutung die vom vierten Offiziellen angezeigte Nachspielzeit hat. Sie zeigt die Zeit an, die „nach Ansicht des Schiedsrichters mindestens nachgespielt“ werden soll, ist aber „keine exakte Angabe der nachzuspielenden Zeit“. Der Schiedsrichter darf sie nicht verkürzen, nach eigenem Ermessen aber sehr wohl verlängern, was auch oft geschieht. Kaum eine Nachspielzeit wird sekundengenau abgepfiffen. In diesem Spiel war die angezeigte Nachspielzeit angesichts mehrerer Verletzungsunterbrechungen ohnehin überraschend kurz ausgefallen, zumal die Bochumer – verständlicherweise – jede Gelegenheit zur Spielverzögerung genutzt hatten. Insbesondere in Gestalt Paul Freiers taten sie das auch noch in der Nachspielzeit.

 

Natürlich kann man es den Bochumern dennoch nicht verdenken, dass sie wüteten und protestierten. Die Borussen wären es im umgekehrten Falle schwerlich anders verfahren. Wenig überraschend war auch die marktschreierische Reaktion eines notorisch desinformierenden Boulevardblatts. Als allerdings selbst ein ARD-Reporter Christoph Dabrowski die reißerische Suggestivfrage „Fühlen Sie sich betrogen?“ stellte, da vermisste man jenes Mehr an journalistischer Seriosität, das doch die Gebühren der öffentlich rechtlichen Sender rechtfertigen soll. Ist es wirklich zu viel verlangt, wenn man sich wünscht, dass ein Reporter mit den Details des Regelwerks vertraut sein möge? Man mag bei der ARD argumentieren, man habe nur die Seelenlage des Gegenübers ergründen wollen. Aber natürlich lenkt der Journalist das Gespräch durch die Art der Frage mit und in diesem Fall lieferte sie Dabrowski eine Steilvorlage, um von der eigenen missglückten Kopfballabwehr abzulenken, die das Gegentor erst ermöglichte.

 

Der Bochumer nahm dankbar an. Wer ein so wichtiges Spiel in allerletzter Sekunde noch verliert, für den liegt die zentrale Aufgabe bis zum Rückspiel in der psychologischen Aufbauarbeit. Sie fällt wohl leichter, wenn man sich eigenes Missgeschick zur fremden Schandtat umdeutet. Natürlich wird man aber beim Zweitligisten wissen, dass die Sekunden, als Dabrowski den Ball zu Arango verlängerte, Luthe nur nach vorne abwehrte und niemand bei de Camargo war, Borussias Ausgangslage vor dem Rückspiel erheblich verbessert.

 

Sie tut es psychologisch, weil es immer brustverbreiternd wirkt, wenn langes Anrennen schließlich doch belohnt wird, weil die vielzitierte Serie von fünfzehn sieglosen Jahren gegen Bochum Geschichte ist und weil man in Bochum nicht mehr unter dem unbedingten Druck steht, ein Tor erzielen zu müssen. Sie tut es, weil ein einziger erfolgreicher Konter schon eine Vorentscheidung brächte: Dank der Auswärtstorregelung bräuchte der Zweitligist dann drei Tore, und so viele hat seit Lucien Favre Trainer in Gladbach ist, noch niemand gegen die Borussia erzielt: Dortmund nicht, Bayern nicht, Hannover nicht, Mainz nicht, Freiburg nicht, der HSV nicht und die anderen sechs Gegner seit Favres Amtsübernahme auch nicht.

 

Knapp genug, um während der längsten Halbzeitpause der Saison die Spannung hochzuhalten, ist das Ergebnis allemal. Wie kompliziert das Hinspiel war, kam ohnehin nur für die überraschend, die den Unsinn vom Klassenunterschied geglaubt hatten. Man stellt sich das untere Tabellendrittel der ersten Liga und das obere der zweite am besten als überlappendes Kontinuum vor, in dem sich Teams annähernd auf Augenhöhe begegnen. Man brauchte gar nicht viele Bochumer Spiele gesehen zu haben, um auch vorher zu wissen, dass das Mittelfeld dem Gegner wenige Räume gewährt und selbst gefällig den Ball laufen lässt und hinten kopfballstarke und Innenverteidiger und ein uneingeschränkt bundesligatauglicher Torhüter stehen. Borussia selbst machte sich das Leben dadurch schwer, dass man teilweise zu hektisch den Führungstreffer erzwingen wollte, dadurch oft zu schnell und ungenau in die Spitze spielte und zahlreiche Bälle verlor. Dass man dennoch und obwohl Marco Reus schon früh angeschlagen war, in der zweiten Halbzeit zu zahlreichen guten Chancen kam, spricht für den Charakter und die offensive Qualität dieser Mannschaft.