Der Sommer 2016 wird vielen Fuβballfreunden weniger wegen der mittelmäβigen Europameisterschaft in Erinnerung bleiben als vielmehr als der Zeitpunkt an dem einst astronomisch erscheinende zweistellige Millionentransfers in der Bundesliga auf einmal „normal“ wurden. Allein unsere Borussia war  in 3 solche Transfers in dieser Sommerpause involviert, darunter sowohl der teuerste Verkauf als auch Einkauf der Vereinsgeschichte. Man kann solch hohe Ablösesummen auf verschiedenen Ebenen diskutieren: z.B. aus ethischer Sicht mag es fragwürdig wirken, wie man eine Ablöse rechtfertigen kann, für die man auch 1000 Dialysepatienten ein ganzes Jahr behandeln könnte. Auch den Aspekt der Chancengleichheit könnte man thematisieren, denn je weiter der exponentielle Anstieg der  Ablösesummen anhält umso mehr verlieren die Clubs an Boden, die weder hohe Championsleague-Einnahmen noch einen reichen Mäzen haben und sich diese Spielereinkäufe einfach nicht leisten können. So diskussionswürdig diese Themen auch sein mögen sind sie nicht der Fokus dieses Artikels. Vielmehr wollen wir, wie es sich für eine Fanseite gehört, die neue schöne Welt der hohen Ablösen pur aus Vereinssicht betrachten. 

 Die Frage „Ist er das denn Wert?“ wurde in den letzten Monaten nicht nur unter Borussia-Fans (z.B. bei der Verpflichtung  Vestergaards) heiss diskutiert sondern vermutlich gab es in London bei Arsenals Verpflichtung von Xhaka oder in Dortmund beim Kauf von Schürrle ganz ähnliche Diskussionen. Auch stellen nicht nur Fans solche Fragen, sondern auch in der Fachpresse debattiert man darüber; so startete z.B. Kicker online vor einigen Wochen eine Umfrage ob Leroy Sané denn die kolportieren Summen jenseits der 50 Millionenmarke wert sei. Es geht in diesem Artikel nicht um die Beurteilung eines Einzelfalles sondern eher um die Frage, ob und wann es für einen Verein Sinn macht solche teilweise absurd erscheinenden Summen für einen Spieler auszugeben. Meiner Ansicht nach gibt es zwei Punkte, die man verinnerlichen  muss, um die Logik hinter dem scheinbaren Wahnsinn besser zu verstehen: 

Ging für 43 Millionen zu Arsenal

 

Punkt 1: Fussballclubs sind keine üblichen Wirtschaftsunternehmen

Hätte man diesen Satz in den 50er, 60er oder auch noch 70er Jahren in den Raum gestellt, hätte es ob seiner Offensichtlichkeit vermutlich eine genauso teilnahmslose Reaktion gegeben wie auf die Behauptung „Mähdrescher sind keine Zahnbürsten“. Der Verein als solcher hat in Deutschland seine typische Struktur und ein ein Fuβballclub unterschied sich darin über Jahrzehnte nicht viel vom örtlichen Männergesangsverein oder dem Kaninchenzüchterverein. Die Funktionäre waren typischerweise ehrenamtliche Mitarbeiter mit zu viel Zeit und/oder Geld, die gern etwas in einem Verein rumklüngelten. Gerüchtehalber gibt es heute noch einige Bundesligaclubs die auf diese Weise funktionieren (oder eben nicht). Mit der Einführung der Bundesliga und des professionellen Fuβballs in Deutschland begann ein Wandel, aber erst in den 90er Jahren etablierte sich ein anderes Bild der Vereine: angesichts der gestiegenen Fernsehgelder, des Millionenumsatzes durch Merchandising und der Tatsache, dass die ersten Clubs an die Börse gingen schien es so, dass nur komplett naive Fuβballromantiker noch leugnen konnten, dass der moderne Proficlub nichts anderes als ein Wirtschaftsunternehmen ist. Doch so offensichtlich diese Behauptung angesichts der vielen Parallelen zwischen Wirtschaft und Profisport zu sein scheint, ist sie doch falsch. Der fundamentale Unterschied ist die Zielsetzung. Ein Wirtschaftsunternehmen will Gewinn machen, den es dann an seine Inhaber, Aktionäre, manchmal gar die Beschäftigten weiterleitet. McDonalds ist nicht sonderlich daran interessiert Preise für die besten Burger oder andere Auszeichnungen einzuheimsen, sondern will in erster Linie Profit machen. Das ist bei einem Fussballverein gänzlich anders; dort ist sportlicher Erfolg das Hauptziel, erwirtschaftetes Geld ist lediglich ein Mittel zum Zweck, diesen Erfolg zu maximiseren. Stellen wir uns zwei Vereine vor, von denen Verein A einen Reingewinn von 50 Millionen Euro in einer Saison erzielt, aber nur Tabellenzehnter wird, während Verein B alle Einnahmen auch wieder ausgegeben hat, dafür aber Meisterschaft und Champions League gewinnt. Wirtschaftlich gesehen hat Team A alles richtig gemacht, fussballerisch ist aber Team B der klare Sieger.

Diese unterschiedliche Zielsetzung hat entscheidenden Einfluss auf die Strategien von Vereinen bei Transferverhandlungen. Nehmen wir an es gibt diesen einen Spieler bei dem man sicher ist, dass er der entscheidende Faktor sein kann um die sportlichen Ziele der nächsten Saison zu erreichen. Der Verein hat 25 Millionen Euro zur Verfügung, der „Marktwert“ (zu dem weiter unten noch ein bisschen mehr) beträgt 10 Millionen, aber der verkaufende Verein fordert genau die verfügbaren 25 Millionen. Rein wirtschaftlich gesehen ein unsinniger Transfer, sportlich gesehen aber unter Umständen goldrichtig. Die 25 Millionen auf einem Bankkonto nämlich werden kaum im CL-Viertelfinale das entscheidende Tor markieren!

Geld sparen macht also im Fussball wenig Sinn. Die Autoren Kuper und Szymanski gehen in ihrem lesenswerten Buch Soccernomics (die Erstauflage hatte den viel charmanteren Titel „Why England loses“) noch ein gutes Stück weiter, in dem sie auf leicht zynische Weise behaupten, dass selbst Verschuldung in gröβerem Umfang eine gute Strategie für einen Verein sei, solange die realen Konsequenzen/Strafen so gering seien wie sie es in den meisten Ligen bislang sind. Dieser Ansicht kann ich mich nicht so ganz anschliessen: Z.B. bezweifle ich dass es viele Glasgow Rangers Fans gibt, welche die Neugründung des Vereins und die jahrelangen demütigenden Reisen zu Provinzvereinen der vierten bis zweiten schottischen Liga als angemessenen Preis für ein paar Meisterschaften in den Jahren zuvor ansehen. Aber die Erkenntnis, dass falsche Sparsamkeit und Geld horten im Fussball eher schadet, ist sicher richtig und wen man die Transferpolitik der deutschen Topclubs diesen Sommer ansieht hat sich diese Erkenntnis auch verbreitet.

 

Punkt 2: Fuβballer sind keine üblich Ware 

Der würde im Supermarkt verhungern, weil er sich nicht zwischen Wurst und Käse entscheiden könnte.” So äuβerte sich Dieter Hoeness dereinst über Lucien Favre in Bezug auf dessen Zögern bei der Verpflichtung von Spielern. Wir wollen hier nicht diskutieren, was dieser Satz über Favre oder Hoeness oder vor allem der Beziehung zwischen den beiden aussagt, sondern nur feststellen, dass der ehemalige Hertha-Macher hier ganz offensichtlich eine Parallele zwischen einem Spielerkauf und der alltäglichen Einkaufssituation im Supermarkt herstellt und sehr viele Fussballfans tun das gleiche, weil das ihre persönliche Erfahrung vom Kaufen und Verkaufen ist. Leider ist dieser Vergleich auf diversen Ebenen völlig falsch.

 Gehe ich in einen Supermarkt um z.B. einen Schokoriegel kaufen zu wollen, so habe ich sofort die Möglichkeit ein anderes Geschäft aufzusuchen falls mir der Riegel zu teuer erscheint. Ich werde dort ein so gut wie identisches Produkt vorfinden, wie auch bei zig Anbietern online, so dass es einfach ist, das biligste Angebot zu finden ohne aber Abstriche bei meinen Forderungen machen zu müssen. Beim Fussball funktioniert das nicht so: Wenn Arsenal Granit Xhaka kaufen will, so gibt/gab es nur einen einzigen Club wo das möglich war: unsere Borussia. Natürlich hatten auch andere Clubs defensive Mittelfeldspieler, aber nicht unbedingt mit genau diesen Spezifikationen. Das „rumshoppen“ ist auf diesem Niveau kaum möglich, die Spieler sind einmalig und man wird nicht anderswo eine günstigere Kopie finden. In gewisser Hinsicht ähnelt der Transfermarkt vielmehr einer Auktion als dem Kauf im Supermarkt. Auf einer Auktion werden auch Einzelstücke verkauft, deren Preis vorneweg unklar ist. Bloss weil Elvis Presleys Unterhosen 2 Millionen erbracht haben, kann es sein dass John Lennons Socken für ein Schnäppchen von 100 Tausend weggehen.

Kam für 15 Millionen von Leverkusen

 Es gibt zahlreiche Faktoren, die den Preis eines Spielers bestimmen, die nichts mit seinem eigentlichen Vermögen zu tun haben: dazugehoren die finanzielle Situation sowohl des kaufenden als verkaufenden Vereins, die Vertragsdauer, mögliche Vertragsklauseln, kürzliche Erfolge oder Misserfolge des Spielers, seine Krankheitsgeschichte. Während es für den Schokoriegel einen ziemlich festen Preis gibt so kann die Ablösesummer für einen Fussballspieler sich um einen Faktor von 2 bis 5 verschieben abhängig von ein paar Kleinigkeiten. Dieses Variabilität macht auch das Konzept des „Marktwertes“, welchen gewisse Webpages  propagieren, so paradox: Es gibt keinen Markt für den diese Zahlen irgendeinen Wert hätten.

Insofern ist auch die Frage „Ist er das denn wert?“ unsinnig.  Das setzt vorraus, dass es eine objektive Skala gibt auf der der Wert eines Spielers festgelegt werden kann. So sehr sich einfach gestrickte Transfermarkt-Anhänger die Existenz solch einer Skala wünschen mögen, so ist sie eine Illusion: ein Raffael z.B. ist für Gladbach unersetzlich. Bei Schalke oder Dynamo Kiew war er durchaus verzichtbar. Im Nachhinein wäre aus Gladbacher Sicht auch eine erheblich höhere Ablöse für diesen Spieler sinnvoll gewesen, auch wenn dieser sich nirgendwo so ganz gross durchgesetzt hatte. Zur Borussia passt er perfekt.

 Fazit:

Nimmt man Punkt 1 und 2 zusammen, so erkennt man schnell dass es durchaus Situationen geben kann wo ein Verein einen Spieler  mit angeblichem  „Marktwert“ von 10 Millionen für das dreifache kauft und dies rational völlig der richtige Schritt ist. Dass so etwas sinnvoll sein kann, heisst natürlich längst noch nicht, dass es das jedesmal auch ist, aber als Fan sollte man den Reflex immer gleich „Wahnsinn“ oder „Schwachsinn“ zu deklamieren wenn solch ein Transfer auftritt doch unterdrücken und sich die Umstände genau anschauen.

 Wir wollen hier keineswegs propagieren, dass ein Verein nur noch solche Megatransfers tätigen soll. Das kann sich auβer der handvoll ganz groβen (Real, Barca, Bayern, Man City,…) eh niemand leisten. Mit Transfers wie  Stindl, Traore, Johnson oder Strobl zeigen die Gladbacher ja auch seit Jahren wie man den Kader durchaus günstig verstärken kann. Andererseits sollten zweistellige Millionen Einkäufe auch kein Tabu sein, sofern das Geld dafür da ist. Und da ist es erfreulich wie Max Eberl über den in Möchengladbach lange Jahre anhaltenden Sparsamkeitsschatten gesprungen ist und mit Kramer und Vestergaard insgesamt fast 30 Millionen investiert hat. Die Frage „Ist er das denn wert?“ kam im Zusammenhang  mit Vestergaard immer wieder in Fankreisen auf und wie schon gesagt, ist es die falsche Frage. Sollte Vestergaard (selbst wenn er nicht Stammspieler wird) uns im Abwehrbereich das Stück mehr Stabilität und Flexibilität geben, die wir brauchen um in Europa zu überwintern und erneut in die CL zu kommen, dann war sein Transfer auf jeden Fall 14 Millionen wert… ob er selbst als Spieler soviel wert ist, interessiert da weniger.

 Wie auch immer, Gott sei Dank sind all die Transferspielchen nun vorerst vorbei und Sportdirektoren, Trainer wie Fans müssen nun bang zusehen ob all die groβen Pläne des Sommers sich auch in der Realität behaupten. Denn immer noch gilt: Die Wahrheit is aufm Platz und nicht aufm Transfermarkt!