Es gibt ein Wochenende im Jahr, das würden Borussen-Fans am liebsten aus dem Kalender streichen lassen. Immer dann, wenn Gladbach auswärts beim SC Freiburg antritt, ist Enttäuschung und Tristesse vorprogrammiert. Fast immer, denn so zufrieden, wie nach dem 0:0 an diesem Sonntag, konnten Borussias Fans seit Dezember 2007 nicht mehr aus Freiburg abreisen, als Sascha Rösler den letzten Auswärtssieg herausköpfte. Dank einer couragierten Leistung präsentierte sich die Elf von Daniel Farke auf Augenhöhe mit dem Tabellenführer und konnte sich so für die unglückliche Niederlage der Vorwoche rehabilitieren.

Die gute Stimmung nach dem Punktgewinn verflog aber am darauffolgenden Tag durch eine Pressemeldung des Vereins: Florian Neuhaus, der während der Partie früh ausgewechselt werden musste, wird in den kommenden Wochen wegen einer Teilruptur des hinteren Kreuzbands ebenso fehlen wie der im Training verletzte Ko Itakura (Teilruptur im Innenband). Während der Japaner bis zur WM-Pause Mitte November nicht mehr für Borussia auflaufen kann, besteht für den deutschen Nationalspieler je nach Behandlungsverlauf noch eine Resthoffnung auf einen Einsatz in den letzten Partien des Jahres.

Schon in Freiburg musste Borussia somit auf vier Stammspieler verzichten. Sehr früh in der Saison zeigt sich, wie wichtig die späten Transfers von Weigl und Ngoumou waren, um die Breite im Kader zu stärken. Noch bieten sich Farke Optionen, um die Ausfälle zu kompensieren. Das Spiel im Breisgau sollte Mut machen, dass die Mannschaft auch ersatzgeschwächt auf Top-Niveau mithalten kann.

Weitere Ausfälle sollten sich aber nicht zu den bisherigen dazugesellen, denn schon jetzt sollte sich die Mannschaft in der kommenden Woche fast von selbst aufstellen. Je nach Heilungsverlauf von Nico Elvedi bieten sich dem Trainer vornehmlich folgende Optionen:

Variante 1: Falls Nico Elvedi bis Samstag fit werden sollte, könnte er neben Friedrich ins Team zurückkehren. Ggf. könnte das auch bei einer Genesung von Tony Jantschke gelten. Kramer und Kone würden dann jeweils eine Position nach vorne rücken.

Variante 2: Wie von vielen Fans bereits in Freiburg erwartet, könnte Farke Bensebaini in die Innenverteidigung neben Friedrich beordern. Kramer und Kone rücken je eine Position vor. Netz oder Wolf kämen in der linken Defensive zum Einsatz.

Variante 3: Farke vertraut weitgehend der in Freiburg erfolgreichen Mannschaft und ersetzt Neuhaus durch Hannes Wolf, der nach seiner Einwechselung erneut ordentlich agierte und gegen RB schon einmal erfolgreich aufgetreten ist.

Keine Option für die Startelf dürfte dagegen Nathan Ngoumou sein, obwohl dieser in Freiburg für Neuhaus eingewechselt worden ist. Gleich zu Beginn hatte der Franzose eine starke Aktion. Danach trat er aber kaum noch in Erscheinung. Sehr auffällig war, dass er bislang noch nicht wirklich in das Team eingebunden war und von seinen Kollegen des Öfteren in aussichtsreicher Position übersehen wurde. Genau das meinte Daniel Farke in der Vorwoche, als er davon sprach, den Neuzugängen lieber ein paar Wochen Zeit geben zu wollen, um sich in der Mannschaft zu akklimatisieren. Dies gilt für einen Spieler aus der zweiten französischen Liga selbstredend stärker als für einen erfahrenen Nationalspieler wie Weigl.

Vom 22 Jahre jungen Franzosen sollte in seiner ersten Saison nicht erwartet werden, innerhalb weniger Wochen den Sprung von der Ligue 2 in die 1. Bundesiga zu vollziehen. Auch in Toulouse brauchte er zwei Jahre, bis er sich durchsetzen konnte. Ob es für sein Selbstbewusstsein förderlich war, dass Farke ihn nach seiner Einwechselung später auswechselte, darf hinterfragt werden. Allerdings hat sich Ngoumou in der Vergangenheit als selbstkritischer, reflektierter Kicker erwiesen, der gelernt hat, für den Erfolg hart arbeiten zu müssen. Es kann davon ausgegangen werden, dass Farke ihm seine Entscheidung nachvollziehbar erklärt haben wird.

Für den Franzosen kam mit Yvandro Borges Sanches Borussias größtes Offensivtalent ins Spiel. Der 18jährige konnte verständlicherweise in seinen knapp 10 Minuten noch keine wesentlichen Akzente setzen. Es ist aber ein deutliches Signal, dass Farke ihm einiges zutraut und den jungen Talenten eine faire Chance bieten möchte. Ein Signal war die Einwechselung auch an Patrick Herrmann, der es trotz der angespannten Personallage vorerst schwer haben wird, zu Einsätzen zu kommen.

Dabei bietet die Offensive grundsätzlich noch Raum für Verbesserungen. Borussia erspielt sich in dieser Saison ausreichend Torchancen, insbesondere in Person von Marcus Thuram. Gerade der Franzose agierte zuletzt aber etwas glücklos im Abschluss, der auch nicht zu seinen allergrößten Stärken gehört. Thuram kann zwar Tore erzielen – mehr als 10 waren es bislang aber noch in keiner Spielzeit. Dafür ist er fast ebenso gut darin, mit seiner Schnelligkeit und Dribbelstärke Tore vorzubereiten. Etwas überraschend daher, dass Farke ihn so eindeutig in der Sturmmitte sieht.

Ein echter Vollblut-Torjäger, der die zahlreich herausgespielten Torchancen konsequenter verwertet, würde der Mannschaft guttun. Da dieser im Kader nicht zu finden ist, wird es mindestens bis zum Winter über die kollektive Offensivqualität gehen müssen. Mit Thuram, Plea, Stindl und Hofmann stehen einige Spieler zur Verfügung, die ihre Torgefahr bereits unter Beweis gestellt haben.

Während Plea in der kommenden Woche hoffentlich zum letzten Mal ausfällt und sich Stindl nach seiner Verletzung erst noch in Bestform bringen muss, könnte von Jonas Hofmann ein wenig mehr kommen. Im Vergleich zu seinen starken letzten Jahren spielt der Nationalspieler derzeit etwas unauffällig.

Ganz und gar nicht unauffällig präsentiert sich dagegen in dieser Saison bislang Christoph Kramer, der auch in ungewohnter Rolle als Innenverteidiger höchst souverän agierte. In der Form der letzten Wochen muss der meinungsfreudige Weltmeister auch die starke Konkurrenz im defensiven Mittelfeld nicht fürchten.

Julian Weigl fügte sich dort fast schon erwartungsgemäß souverän ein und wurde seinem Ruf als „Ballmagnet“ gerecht. Der Ex-Löwe spielte so wie er fast immer spielt: Relativ unspektakulär, aber mit viel Präsenz, Ballkontakten und Pässen. Spieler wie Weigl sind bei ihren Trainern meist beliebter als bei den Fans, weil ihr Wert für die Mannschaft nicht immer auf den ersten Blick erkennbar ist. Sie sind aber gerade für das von Farke präferierte System des Ballbesitzfußballs wichtig, den die Mannschaft auch beim Tabellenführer erfolgreich durchsetzen konnte.

Gegen Freiburg blieb Borussia zum zweiten Mal in dieser Saison ohne Gegentor. 5 kassierte Treffer sind nach 6 Spielen eine Bilanz, die selbst einen Lucien Favre stolz machen würde. Ramy Bensebaini hatte zwar ein paar gefährliche Ballverluste, dafür aber auch einige starke Szenen. Joe Scally machte seine Sache ebenfalls nicht schlecht, ist insgesamt aber derzeit der größte Risikofaktor in Borussias Defensive. Es darf nicht vergessen werden, dass der Amerikaner immer noch erst 19 Jahre alt ist und daher noch über einiges an Entwicklungspotential verfügt. Gegen die offensiv starken und schnellen Leipziger könnte aber evtl. der erfahrenere Stefan Lainer eine denkbare Option sein.

Nach den ersten 6 Spieltagen steht Borussia mit 9 Punkten auf Platz 8. Auf den ersten Blick liest sich das wie ein durchschnittlicher Saisonstart. Spötter könnten sogar einwenden, Borussia habe in den letzten Spielen unter Adi Hütter erfolgreicher abgeschnitten. Und tatsächlich schmerzen die Ergebnisse gegen Mainz und auf Schalke, weil dort unglücklich bzw. unnötig wertvolle Punkte liegen gelassen wurden.

Wichtiger als die nackten Ergebnisse ist zum jetzigen Zeitpunkt aber die sportliche Perspektive, die sich unter dem neuen Führungsduo Farke/Virkus abzeichnet. Anders als in den vergangenen Jahren ist endlich wieder ein strukturierter Plan erkennbar, wie Borussia erfolgreich Fußball spielen möchte. Darum wird der Saisonstart bei den meisten Fans unabhängig von den Zahlen als höchst erfolgreich wahrgenommen. Und darum sollten die Hiobsbotschaften des Montags die Euphorie im Fanlager auch nur zu einem sehr kleinen Teil abreißen lassen. Präsentiert sich die Mannschaft weiter so geschlossen und engagiert wie in Freiburg, sollte sie auch die personellen Rückschläge verkraften und sich dauerhaft erfolgreicher präsentieren als in den vergangenen Spielzeiten.