frankfurt neu

“Will noch wer ein Stück Restsaison?“ fragten wir gleichermaßen missgelaunt und rhetorisch unsere Leser in unserem Vorbericht vor dem Spiel gegen Freiburg nicht lange nach dem peinlichen Pokalaus in Saarbrücken. Die in der Frage implizierte Prognose war, dass die Saison mit der Niederlage im saarländischen Freibad eigentlich beendet war, und der VFL nun irgendwie einem Platz im unteren Niemandsland der Tabelle entgegendümpeln würde. Borussia wäre aber nicht Borussia, wenn es dem Team nicht gelänge, die Erwartungen selbst dann noch zu unterbieten, wenn diese schon gar nicht mehr existieren. Zugegebenermaßen war eine Fehleinschätzung dabei, dass es ein Niemandsland in dieser Spielzeit überhaupt geben würde. 2 Spieltage vor Schluss kann noch jedes der 18 Teams entweder absteigen oder in den Europapokal kommen, für Wolfsburg ist sogar noch beides möglich (aber auch jeweils sehr unwahrscheinlich). Für die Borussia hingegen ist es nur noch die Vermeidung eins Relegationsspiels, um die es in den letzten beiden Spielen geht. Und dieses Horrorszenario ist nicht unrealistisch: Verliert man am Samstag gegen Frankfurt und gewinnen Mainz (daheim gegen Dortmund) und Union Berlin (in Köln) gleichzeitig ihre Spiele, so führe die Borussia die Woche darauf mit nur einem winzigen Pünktchen Vorsprung zu den bärenstarken Stuttgartern, die bislang daheim nur einmal in dieser Saison verloren. Eine verlockende Aussicht vielleicht für Adrenalinjunkies, aber das Gros der Gladbach-Fans wäre vermutlich froh, diese kardiologische Extrembelastung zu vermeiden. Ich kann mich nur zu gut noch an das Spiel in Hamburg am 34. Spieltag der Saison 2010/11 erinnern, als man während der 90 Minuten von Platz 16 auf 15 in die Sicherheit sprang, dann für einige Moment auf Platz 17 abgestiegen war, ehe man dann doch das Relegationsspiel gegen den VFL Bochum erreichte. Ja, war dann geil mit dem de Carmago-Tor etc. aber ähnlich wie Konfirmation, Hochzeit oder (eigene) Beerdigung sollte so ein Relegationsspiel ein einmaliges Erlebnis im Leben bleiben.

Kann ausgerechnet das chronisch pessimistische Seitenwahl-Portal seinen Lesern irgendwelche Hoffnung machen, dass die Saison noch irgendwie ohne Totalschaden enden kann? Nun ja, wir haben nach längerer mühsamer Suche immerhin ein paar mickrige Strohhälmchen gefunden, an die sich Gladbach-Fans vor dem Spiel gegen Frankfurt klammern können:

Wahrscheinlichkeitstheorie: Ja, es ist möglich, dass Mainz und Union ihre verbleibenden Spiele gewinnen und Borussia ihre verliert und gleichzeitig auch Bochum noch punktet. ABER: es ist unwahrscheinlich, dass all diese Dinge gleichzeitig eintreten, da (Unabhängigkeit der Ereignisse angenommen) Wahrscheinlichkeiten sich multiplizieren. Z. B. ist die Wahrscheinlichkeit mit einer Münze „Zahl“ zu werfen 1/2 (oder 50%), aber die Wahrscheinlichkeit mit 5 Münzen gleichzeitig „Zahl“ zu werfen ist kleiner als 0.1%. Selbst bei zwei Niederlagen des VFL, müsste Mainz beide noch verbliebenen Spiele (Dortmund (H), Wolfsburg (A)) gewinnen, Union noch 4 Punkte holen (Köln (A), Freiburg (H)) und Bochum noch einen (Leverkusen (H), Bremen(A)). Einzeln jeweils möglich, aber als Gesamtpaket nicht sehr wahrscheinlich. Allerdings ist eine kleine Warnung angebracht, wenn man auf die Wahrscheinlichkeiten hofft: Sobald gewisse Ereignisse eingetreten sind, ändern sich die Chancen. Sollte Mainz CL-müde Dortmunder am Samstag wegfiedeln, Bochum gleichzeitig ein Sensationssieg gegen Leverkusen gelingen und Union den FC in die wohlverdiente Zweitklassigkeit schießen, während die Borussia gegen Frankfurt verkackt, steigen die Chance auf die Relegation für uns drastisch. Das ist genauso wie die Chance auf 5-mal Zahl nach bereits 4 erfolgreichen Münzwürfen auf einmal wieder auf 50% klettert. Auch unwahrscheinliche Dinge passieren im Leben oder etwas profaner ausgedrückt: Shit happens!

Borussias Tore: Wir haben uns hier schon oft über die Gladbach Abwehr als „Gegentorfabrik“ lustig gemacht und ein Gegentorschnitt von 1.94 ist in der Tat katastrophal, aber die Kehrseite der Medaille ist, dass es nur 6 Mannschaften in der Liga gibt, die mehr Treffer erzielt haben als der VFL. Für den Abstiegskampf hat das zwei Konsequenzen: a) Wir haben mit Abstand das beste Torverhältnis aller noch gefährdeter Teams, weswegen es für Mainz oder Union vermutlich (irgendwelche Freak-Resultate mal ausgeklammert) nicht reicht nur die 4 bzw 3 Punkte aufzuholen, sondern sie diese Differenz übertreffen müssen; b) es zeigt auch, dass Borussia eigentlich immer in der Lage ist, zu treffen und in einem Spiel zurückzukommen, selbst wenn es nur durch einen schnöden Standard ist. Sollten wir in der 94. Minute in Stuttgart noch ein Tor benötigen und Honorat läuft zur Ecke an, gibt es zumindest noch ein bisschen Hoffnung.

Die Schwäche der anderen: Man hat als Fan die Tendenz, die Probleme der eigenen Mannschaft zu erhöhen und die der anderen Mannschaften zu übersehen. Ja, Mainz ist seit 7 Spielen ungeschlagen und spielt unter Bo Henriksen erheblich besser als unter seinen Vorgängern, aber gegen Köln und in Heidenheim hat man es verpasst, den entscheidenden Schritt aus dem Keller zu machen. Es kann sehr gut sein, dass es den Mainzern so ergeht wie dem VFB Stuttgart vor einem Jahr, der auch unter neuem Trainer einen respektablen Schlussspurt hinlegte, aber letztendlich trotzdem in die Relegation musste. Union Berlin ist DIE Krisenmannschaft überhaupt in der Liga mit nur 29 Toren in 32 Spielen (mehr als 10% davon erzielte man natürlich gegen Gladbach in der Hinrunde), sieglos seit 6 Spielen. Wie sich der Rauswurf des Trainers auswirkt, bleibt abzuwarten, aber die „Must-Win“ Konstellation in Köln liegt den eher defensiv ausgerichteten Köpenickern mit Sicherheit überhaupt nicht. Bleibt zu guter Letzt der VFL Bochum, der in den letzten beiden Spielen zwar überzeugen konnte, aber auch beide Male beinahe noch eine 3-Tore-Führung verspielt hätte und mit 65 Gegentoren einer von nur 2 Vereinen mit einer schwächeren Abwehr als die Borussia ist. Weder in gegen Leverkusen noch in Bremen geht der der VFL als Favorit ins Rennen.

Der Gegner am Samstag: Auf dem Papier kommt da natürlich ein Goliath zu Besuch in den Borussiapark: Tabellen-Sechster, Europa-League-Sieger von 2022 mit einem Kader gespickt mit Hochkarätern (Götze, Skhiri, Ekitiké, Ebimbe, Larsson…). Hört man sich aber mal in Frankfurt um, so herrscht wenig Euphorie, sondern es gibt sogar einige Parallelen zur Borussia. Zum einen wäre da die momentane Form mit nur einem Sieg in den letzten 6 Spielen. Zum anderen war da das Versprechen eines Umbruchs mit dem neuen Trainer Dino Toppmöller zu Saisonbeginn. Ja, die Eintracht spielt tatsächlich anders als in den Vorjahren, aber begeistert zeigt sich davon niemand. Aggression und Tempo sind Vorsicht und Ballbesitz gewichen. Sieht man von gelegentlichen Highlights wie dem 5:1 gegen Bayern in der Hinrunde ab, so liefert die Eintracht in dieser Saison meist biedere Hausmannskost statt des unterhaltsamen Hurra-Fußballs der Vorjahre. Man hat 2024 schon in Köln verloren, in Darmstadt nur 2:2 gespielt, dieses Frankfurt ist kein übermächtiger Gegner, nun ja theoretisch nicht…

Ok, das waren sie, die Stromhälmchen, die wir finden konnten. Regelmäßige Leser unserer Vorberichte, werden festgestellt haben, dass wir viel über die Konkurrenz geschrieben haben, aber herzlich wenig über die Borussia, die ja eigentlich gar nicht auf die anderen gucken müsste, sondern mit einem Sieg gegen die Eintracht den endgültigen Klassenerhalt ganz allein sicherstellen kann. Aber wie schreibt Kollege Spoo so schön in seinem Tipp weiter unten „Aus eigener Kraft schafft Borussia im Moment gar nix.“. Und so spare ich mir hier Spekulationen, ob wir mit Vierer oder Dreierkette antreten, ob Neuhaus vielleicht mal wieder eine Chance bekommt, ob Omlin ins Tor zurückkehrt usw. usf.  Keine dieser Nuancen wird in diesem Stadium der Saison noch einen großen Unterschied machen: Wer immer da spielt, wird Potenzial haben, eine gewisse individuelle Qualität mit sich bringen und auch motiviert sein und damit die Unterstützung des hoffentlich vibrierenden Stadions verdienen. Was fehlen wird, ist eine Mannschaftshierarchie und feste Strukturen, die dem Team die nötige Stabilität verleihen. Das war in den letzten 9 Monaten so und wird sich jetzt nicht plötzlich ändern. Die Hauptverantwortlichen für diese Mängel werden aber am Samstag nicht auf dem Platz stehen. Also hoffen wir auf Dortmund, den FC, Leverkusen und vielleicht auf den einen Geniestreich von Robin Hack oder Rocco Reitz, einen Patzer von Kevin Trapp und vor allem darauf, dass irgendwer im Verein erkennt, dass sich bei Borussia bald einiges ändern muss, selbst wenn man die Relegation vermeidet.

Seitenwahltipps:

Claus-Dieter Mayer: Borussia feiert den Klassenerhalt! Leider aber erst am Samstagabend, wenn Dortmund in Mainz der späte Ausgleich gelingt. Das Duell Kaninchen vs Schlange zuvor im Borussia-Park verliert man aber mit 0:3.

Christian Spoo: Aus eigener Kraft schafft Borussia im Moment gar nix. Deswegen gehen die Blicke am Samstag vor allem zur Anzeigentafel, wenn‘s wiehert. Aufm Platz gewinnt Eintracht Frankfurt derweil souverän mit 3:1.

Michael Oehm: Wie schrieb jüngst ein äußerst weitsichtiger junger Mann: „Es ist nicht schön, auf die Hilfe von Mannschaften wie Köln und vor allem Dortmund angewiesen zu sein.“ Ist man aber trotz oder besser wegen des 1:1.

Michael Heinen: Das Eichhörnchen hamstert weiter. Das 2:2 reicht, um nach diesem Wochenende den Klassenerhalt so gut wie sicher zu haben.

Kevin Schulte: Borussia hat vieles verlernt, aber letzte Heimspiele liefen zuletzt gut, so auch diesmal beim 3:1 gegen eine biedere SGE. Das Mini-Minimalziel ist geschafft