Kurz nach dem Abpfiff bahnte sich die Erleichterung ihren Weg. André Schubert hüpfte wie ein Känguru über den Platz und herzte jeden Spieler, dem er habhaft werden konnte. Schiedsrichter Benjamin Brand, der an diesem Abend viel Lehrgeld zahlen musste, beeilte sich in die Kabine zu kommen. Schubert hätte ihn in seiner Begeisterung vermutlich auf den Schultern durchs Stadion getragen. So mussten seine Jungs herhalten und vielleicht der eine oder andere Ordner. Man konnte förmlich sehen, wie ihm der Stein vom Herzen fiel. Hören konnte dies natürlich niemand, denn im brodelnden Borussia-Park verstand so mancher sein eigenes Wort nicht mehr. Überhaupt war es schwer zu verstehen, was an diesem Abend vorgegangen war. Die Borussia hatte ein Spektakel geboten. Wieder einmal. Während sie in den letzten beiden Heimspielen Brillanz und Harakiri präsentierte, stand diesmal Comeback auf dem Spielplan. Sich selbst niedergestreckt lag man auf dem Boden um sich mit einer nicht mehr für möglich gehaltenen Vehemenz zu erheben und den allerdings auch wie ein Absteiger agierenden Gegner niederzuringen. Respekt ist angebracht. Am Niederrhein freut man sich über die 3 Punkte auf dem Gabenteller. Und hoffentlich auch über die deutlichen Erkenntnisse, die dieses Spiel mit sich brachte.

 Neu dürften diese Erkenntnisse nicht sein. Schon die letzten drei Spiele hatten deutlich gemacht, dass die Borussia ein ausgeprägtes Defensivproblem hat. Man darf gerne auf die Defensivstärke zu Beginn von Schuberts Amtszeit hinweisen, auf die außerordentliche Belastung und das aktuelle Verletzungspech. Unterm Strich bleibt aber festzuhalten, dass 14 Gegentore in 280 Minuten (oder 15 in 4 Spielen) fast 4 Gegentore pro Spiel bedeuten und dies ist definitiv zu viel. Auch unter den gegebenen Umständen. Keiner der genannten Faktoren ist für sich aber der ausschlaggebende Grund. Vielmehr führt ein Mix dazu, dass man sich zuletzt offen wie ein Scheunentor präsentierte. Auch gegen offensivschwächere Teams, auch gegen Bremen und Darmstadt. Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, dem zu begegnen: Neues Personal und die Adjustierung der defensiven taktischen Ausrichtung. Beim ersten Punkt hat Xhaka nun Fakten geschaffen. Auch wenn der Kapitän mit seinem überaus dämlichen Tritt der Mannschaft einen Bärendienst erwiesen hat, mittelfristig könnte sich dies positiv auswirken. Max Eberl kommt kaum noch um die Verpflichtung eines neuen Sechsers herum. Nach der selbst auferlegten Auszeit wird die Luft nun dünn auf dieser Position. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sich Nordtveit oder Dahoud verletzen würden. Zumal der junge Newcomer zuletzt zunehmend überspielt wirkte und Pausen benötigte, will man ihn nicht verbrennen. Bislang profitierte man vom wiedererstarkten Nordtveit, doch der wird immer mehr zur Dauerlösung als zur Alternative. Entlastung auf dieser Position tut also Not.

Aus der Verteidigung kann sie hingegen nicht kommen. Die Ausfälle von Stranzl, Dominguez und Jantschke sind schlichtweg nicht zu kompensieren. Es ist erfreulich, dass Christensen besser eingeschlagen ist, als man erwarten durfte. Der Ausfall der drei Stammverteidiger reißt hingegen trotzdem eine Lücke, die nicht ohne weiteres zu schließen ist. Elvedi zeigte bislang sehr gute Ansätze, aber auch, dass die Bundesliga derzeit noch eine Stufe zu hoch für ihn ist. Es gilt ihn langsam heranzuführen, eine echte Alternative ist er aber derzeit ebenso wenig wie Marvin Schulz, der allenfalls andeuten konnte, einmal eine Alternative zu werden. Da man nicht damit rechnen kann, das Stranzl und Dominguez zeitnah wieder voll einsatzbereit sein werden, kommt man um den Bedarf nach einem Innenverteidiger nicht herum. Dies ist umso wichtiger, als das Martin Stranzl und Roel Brouwers beide voraussichtlich ihre letzte Saison spielen werden. Der Bedarf ist somit spätestens im Sommer akut. Angesichts der momentanen Situation erscheint es mehr als sinnvoll, die Verpflichtung vorzuziehen und wieder die Lufthoheit im eigenen Strafraum zurückzugewinnen. Bei hohen Bällen kann man schon länger nicht mehr beruhigt durchatmen.

Er gewinne lieber 3:2 als 1:0 sagte Schubert vor dem Spiel gegen Darmstadt. Die Stimmung nach dem Spiel weist darauf hin, dass die Erfüllung seines Wunsches  von der Mehrheit der Anhängerschaft begrüßt wurde. Dennoch ist es fraglich, ob Schubert mit dieser Taktik ein weiteres Weihnachtsfest unter dem Borussenbaum erleben darf. Klar ist, dass Schubert mit seinem Stil einen nicht für möglich gehaltenen Umbruch in Gang gesetzt hat. Platz 4 ist ganz eindeutig sein Verdienst. Klar ist aber auch, dass der Einbruch erwartet wurde. Schuberts Stil des offensiveren Pressing ist kräfteraubend. Da er es zudem versäumt hatte zu rotieren, musste es zu diesem Kräfteverschleiß kommen. Erschwerend kam hinzu, dass aufgrund der mangelnden Rochade Spieler wie Drmic oder Hazard bei ihrem Einsatz wie Fremdkörper wirkten. Doch man muss fair bleiben. Schubert hatte gute Gründe so zu handeln wie er es tat. Er traf auf ein völlig verunsichertes Team bei dem er zunächst wieder für Stabilität sorgen musste. Das er dies mit einem Basisteam tat ist völlig nachvollziehbar. Es ist müßig zu diskutieren ob er mit der Rochade ein bis zwei Spieler früher anfangen hätte müssen. Fakt ist, dass seine Optionen begrenzt waren und er in der Bundesliga fast das Optimum herausgeholt hat. Die Rückrunde wird nun zeigen, ob er ein Team auch oben halten kann. Bekanntlich gewinnt die Offensive Spiele, die defensive aber Meisterschaften. Ein bisschen mehr Sicherheit und Kräftehaushalt ist wünschenswert um die Saison erneut erfolgreich abzuschließen. Und für ein sicheres 1:0 verzichtet so mancher auch gerne auf ein bisschen Spektakel.