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Jahrelang haben Borussias Fans davon geträumt, noch einmal international zu spielen – und als es dann soweit war, war die Freude schnell getrübt. Die Saison läuft bisher so, wie es wohl nur die größten Pessimisten erwartet hatten und nach dem Verpassen der Champions League und den ersten beiden Spieltagen in der Europa League war die Euphrorie weitgehend dahin. „Zusatzbelastung im Existenzkampf in der Bundesliga“ sei das internationale Geschehen, diese Sichtweise konnte, wer sie nicht teilte, zumindest nachvollziehen.
Dann aber kam das Heimspiel gegen Olympique Marseille. Direkt nach der 0:4-Klatsche in Bremen hatten die meisten – Seitenwahl-Redakteure eingeschlossen – keinen Cent auf einen Borussen-Erfolg gesetzt und wurden auf wundervolle Weise eines besseren belehrt. Dank des 2:0 sind die Gladbacher noch bzw. wieder im Geschäft, wenn es um das Überwintern im internationalen Wettbewerb angeht. Um dort zu bleiben, muss allerdings auch in Marseille ein Erfolg her.


Dieser Erfolg kann, nüchtern betrachtet, nur ein Sieg sein. Denn bei einer Punkteteilung hätte Borussia den Malus des Punktverlustes auf Zypern zu tragen. Der Fehlschuss des Oscar Wendt vom Elfmeterpunkt in der 97. Minute im Stadion von Nikosia könnte immer noch das Ausscheiden aus der Europa League bedeuten. Zumindest könnte sich Borussia bei einem Unentschieden oder gar einer Niederlage am Donnerstag Abend keinen weiteren Punktverlust erlauben.
Nun sahen viele in Olympique Marseille nach der Gruppenauslosung den stärksten Gegner. Im Grunde fährt Borussia also trotz des Heimsieges eher als Außenseiter nach Südfrankreich, zumal sich Olympique zuletzt in der Liga in guter Verfassung zeigte. Am Wochenende in Ajacco auf Korsika schossen die beiden Abedi-Pelé-Söhne Dédé und Jordan Ayew einen 2:0-Sieg heraus, der Marseille punktgleich mit Paris Saint Germain an die Tabellenspitze der Ligue 1 hievte.

Was vom Marseiller Team bei Gladbachs Fans hängengeblieben ist, ist die extrem harte Spielweise, der es sich im Borussia-Park befleißigte. Die Gehirnerschütterung des Tony Jantschke und die folgenschwere Knieverletzung des Luuk de Jong zeugen vom grenzwertigen Einsteigen des Gegners.
An der Aufstellung von Olympique dürfte sich im Vergleich zur vorletzten Woche nur wenig ändern. Im Mittelfeld wird der in der Liga gesperrte Barton beginnen. Vorne vertraut Trainer Elie Baup nach der Verletzung von André-Pierre Gignac weiter auf Loic Rémy, der in der Liga noch gar nicht, in der Europa League aber schon zwei Mal getroffen hat. In der Abwehr könnte Baup wie in der Liga üblich auf Lucas Mendes verzichten und die eigentliche Stammkraft Jeremy Morel aufbieten.

Bei Borussia hat sich in den vergangenen Wochen endlich so etwas wie eine erste Elf herauskristallisiert. Die sieht allerdings etwas anders aus, als man sich das vor der Saison vorgestellt hätte. Die Renaissance des Thorben Marx und die Hochkonjunktur für Dauerläufer Lukas Rupp hatte vermutlich niemand erwartet. Mit der Prognose, dass sich Granit Xhaka einen Stammplatz auf der Ersatzbank erlabern würde, hätte man vermutlich hohe Wettgewinne einstreichen können.

Aber: die bitteren Erfahrungen aus den ersten Wochen in der Bundesliga haben – mit einiger Verzögerung - ein Umdenken bei Lucien Favre bewirkt. Seit einigen Wochen nun heißt die Devise: „erstmal muss die Abwehr stehen“ – was den erwähnten unerwarteten Aufstieg der defensiv starken Spieler Rupp und Marx zur Folge hatte. Die Abwehr stand auch gegen Marseille, sie stand – mit einer kurzen aber schmerzhaften Unterbrechung – in Hannover und sie stand gegen Freiburg.
Das 1:1 vom vergangenen Wochenende, weniger das reine Ergebnis, als der Spielverlauf, sollte den Fans als Indikator gelten, wo die Mannschaft sich derzeit realistischerweise einzusortieren hat: im Mittelfeld der Liga, auf Augenhöhe mit Teams wie Freiburg, Mainz und Hoffenheim. Da mögen vom Kater nach dem rauschhaften Beginn der Ära Favre geplagte Fans noch so laut über „Potenzial“ oder „30 Millionen“ klagen oder gar das Xhaka-Märchen von der fehlenden Siegermentalität nachplappern. Borussia 2012/13 ist vermutlich genauso gut, wie es der derzeitige Bundesliga-Tabellenstand wiedergibt. Ob das reicht, in der Europa League zu bestehen, wird in Marseille vor allem von der Tagesform abhängen.

Im Vergleich zum Freiburg-Spiel empfiehlt sich ein Wechsel auf der rechten Seite der Vierer-Abwehrkette. Martin Stranzl hatte am Samstag einen schweren Stand, er machte für seine Verhältnisse relativ viele Fehler, an Offensivgeist mangelt es ihm auf dieser Positin noch mehr als dem auch nicht gerade mit viel Zug nach vorne ausgestatteten etatmäßigen Rechtsverteidiger Tony Jantschke. Der ist wieder fit und wird aller Voraussicht nach auch von Beginn an spielen. Stranzl könnte wieder in die Innenverteidigung rücken, wenngleich Roel Brouwers wie gewohnt eigentlich keine Argumente dafür geliefert hat, ihn auf die Bank zu setzen. Alvaro Dominguez hat sich erfreulicherweise so weit stabilisiert, dass er gesetzt sein dürfte. Im Grunde aber hat Borussia drei etwa gleich gute Innenverteidiger, wer spielt, ist fast egal. Die strategischen Fähigkeiten des einstigen Abwehrchefs Dante aber gehen allen dreien fast vollständig ab. Links hinten wird Filip Daems wie schon gegen Freiburg ausfallen, Oscar Wendt hat in jenem Spiel aber deutlich gezeigt, dass das für Borussia verschmerzbar ist.

Im Mittelfeld wird alles bleiben, wie es zuletzt immer war, wobei Juan Arango sich im Vergleich zum Samstag ruhig etwas steigern darf. Vorne spricht einiges für einen erneuten Startelfeinsatz des Duos Herrmann/de Camargo. Ersterer ist als Spielertyp einzigartig, auch wenn er sich in der Rolle als Stürmer immer noch nicht ganz eingelebt hat. Zweiterer hat bei den Fans trotz aller wichtigen Tore aus der Vergangenheit offenbar wenig Kredit. Seine Leistung wird gerne besonders kritisch gesehen, wenngleich er gegen Freiburg ein ordentliches Spiel machte und beim Führungstreffer genau da war, wo ein Stürmer zu sein hat. Nüchtern betrachtet sieht in einer Mannschaft, in der acht Spieler vorwiegend mit der Sicherung des eigenen Tores befasst sind, ein Stürmer immer schlecht aus, weil sich nach vorne einfach wenig tut. De Camargo ist in Sachen Ballsicherung und –verarbeitung relativ sicher –im Vergleich zum verletzten Luuk de Jong legt er hier deutlich weniger Schwächen an den Tag. Spektakulär wird der Belgo-Brasilianer nie spielen, das Zusammenspiel mit Herrmann und das Verständnis für die Ideen eines Juan Arango sind sicher verbesserungsfähig. Dafür, dass aber einer der zwei anderen zur Verfügung stehenden Angreifern diese Rolle besser ausüben würde, spricht aber nicht viel. Nicht umsonst scheint Lucien Favre seine Offensivleute derzeit in feste Pärchen einzuordnen und auch entsprechend zu wechseln. Entweder es spielen Herrmann/de Camargo oder Hanke/Mlapa, im aktuell praktizierten Borussenspiel hat das erste Duo die Nase vorn.

Aufstellungen


Marseille: Mandana – Abdallah, N’Koulou, Fanni, Morel  Barton, Amalfitano, Kabore, Valbuena, Dédé – Remy
Borussia: ter Stegen – Jantschke, Stranzl, Dominguez, Wendt – Marx, Nordtveit – Rupp, Arango – Herrmann, de Camargo

Seitenwahl-Prognose

Christoph Clausen: In Marseille steht die Borussia hinten mit wenigen Abstrichen stabil. Im Spiel nach vorne sind Geistesblitze selten. Einer aber reicht, um ein 1:1 mitzunehmen.

Christian Grünewald
: Borussias Offensivspiel bleibt holprig, aber defensiv hat man de Gegner über weite Strecken gut im Griff - das reicht für ein 1:1 Unentschieden.

Thomas Häcki: Mit einem Sieg wäre die Borussia fast sicher weiter. Bei einem Unentschieden wäre alles offen. Und weil die Borussia die Borussia ist, setzt es nach durchwchsenem Auftritt ein 0:2, womit das Weiterkommen in weite Ferne rückt

Michael Heinen
: Borussia schlägt sich anfangs achtbar beim großen Favoriten aus Marseille. Am Ende sind die Franzosen aber zu stark und siegen deutlich mit 3:0.

Christian Spoo
: Auch in Marseille steht Borussia hinten durchweg sicher. Das einzige Tor des Tages kann aber auch die ordentlich gestaffelte Gladbacher Defensive nicht verhindern. Die knappe Niederlage beendet den Traum vom Überwintern im Europapokal.