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Für Gejammer ist bei den Bayern sonst vor allem Bastian Schweinsteiger zuständig. Für Misserfolge macht der Mittelfeldspieler wahlweise den Schiedsrichter, den ruppigen Gegner oder die Platzverhältnisse verantwortlich – immerhin: Außerirdische bis jetzt noch nicht. Diesmal sprang Matthias Sammer ein, ohnehin reimmäßig für diese Rolle prädestiniert. Sammer zürnte Schiedsrichter Welz gleich doppelt: für einen Strafstoß, den er gepfiffen hatte, und für einen, den nach Meinung Sammers hätte pfeifen sollen.

 

Der Ärger über den Handelfmeter, den Thorben Marx in der 21. Minute sicher zur Gladbacher Führung verwandelte, war dabei noch nachvollziehbar. Zwar war Welz‘ Pfiff keine Fehlentscheidung, denn zweifellos berührte Boateng den Ball mit der Hand und die Regel lässt den Schiedsrichtern bei der Frage „Absicht oder nicht?“ viel Ermessensspielraum. Hart war die Entscheidung aber in der Tat, denn weder eine klare Bewegung der Hand zum Ball noch eine unnatürliche Handhaltung war auszumachen. Eher in die Kategorie billige Ausrede fiel dagegen Sammers zweiter Ärger: Dass Martin Stranzls Ellenbogen Martinez im Gesicht traf, war unglücklich und für den Spanier sehr schmerzhaft. Elfmeterwürdig aber war die Szene nicht, schließlich hatten beim Hochspringen beide Spieler ihre Arme gleichermaßen vehement zum Schwungholen eingesetzt.

 

Trösten konnten sich die Münchner mit einer Ironie des Spiels: Ausgerechnet der für den verletzten Martinez eingewechselte Xerdan Shaqiri markierte den Ausgleich, und dies ausgerechnet nach einem Fehler gerade jenes Spielers, der den Gladbacher Elfmeter verwandelt hatte. Überhaupt gaben sich die Bayern, von Sammer und Boateng abgesehen, hinterher gelassen. Ob Uli Hoeneß, ob Karlheinz Rummenigge, ob Jupp Heynckes, sie alle verzichteten auf Schiedsrichterschelte und lobten die starke Leistung der Gladbacher Defensive im Allgemeinen und ihres Torwarts im Besonderen. In der Tat: Die Serie teils atemberaubender Glanzparaden, die Marc-André ter Stegen an diesem Tag gelangen, verdiente nur ein Wort: Weltklasse. Auch seine Vorderleute präsentierten sich im Spiel gegen den Ball laufstark, gut organisiert und hellwach. Glück kam auch dazu, zum Beispiel bei den zwei Kopfbällen, mit denen Dante das Tor jeweils nur knapp verfehlte. Aber ohne etwas Glück ist den Bayern in der Form dieser Spielzeit auch kaum beizukommen.

 

Das war vor elf Monaten noch anders, als Lucien Favres Team die Münchner mit 3:1 nach Hause schickte und in einigen Szenen wie eine Jugendmannschaft aussehen ließ. So tief saß damals der bajuwarische Frust, dass Bastian Schweinsteiger zu einer ausgiebigen Tirade auf den Gladbacher Rasen ansetzte. Auf demselben Rasen hatten die Gladbacher zwei wunderschöne Flachpasskombinationen mit Torerfolgen gekrönt. Von solch begeisternder Spielkunst war die Borussia in der gesamten Hinrunde 2012/13 weit entfernt und sie war es auch in München. Kurioserweise stehen am Ende dieser Halbserie dennoch exakt so viele erzielte Treffer zu Buche wie in der Winterpause der letzten Spielzeit. Marco Reus‘ Abgang wurde durch drei Elemente kompensiert: eine neu entdeckte Stärke nach Eckbällen, eine beinahe unheimliche Effizienz im Verwerten von Torchancen und regelmäßige Geniestreiche Juan Arangos.

 

Dass die Borussia in der Tabelle ein paar Plätze weiter unten rangiert als vor zwölf Monaten, hat mit einer anderen Zahl zu tun: 26 Gegentreffer. Vor einem Jahr war es gerade mal 11. Vor allem bis Anfang November war die Gladbacher Defensive labil. Bei den zwei Debakeln in Dortmund und Bremen zeigte sie etwas, was man seit dem Amtsantritt Lucien Favres überwunden geglaubt hatte: Auflösungserscheinungen. Es ist kaum hoch genug zu bewerten, dass es Trainer und Mannschaft gelungen ist, sich gemeinsam am Schopf aus dem Sumpf der eigenen Orientierungslosigkeit zu ziehen.

 

Vielleicht wollte man anfangs schlicht zu viel. Die Mannschaft wolle zu viel, als sie, wie gegen Kiew, zu forsch den Weg nach vorne suchte und sich naive Fehler im Aufbauspiel leistete. Und die Verantwortlichen wollten zu viel, als sie zwei Schritte auf einmal anstrebten: erstens, die bisherige Struktur nach dem Verlust dreier Schlüsselspieler so weit als möglich zu reparieren, und zweitens, sie zu einer dominanteren Spielweise weiterzuentwickeln. Beides auf einmal zu versuchen, verwirrte ein Team, das die gewohnte Ordnung verloren hatte, ohne zu wissen, woher es eine neue nehmen sollte.

 

Stabilisiert hat sich die Borussia, weil sie einen Schritt zurück gegangen ist: zurück zum tendenziell abwartenden Spiel, in der die Sicherung des eigenen Tores Vorrang hat und das vorne häufig vom Können Einzelner lebt. Auf dieser Grundlage kassierte sie in den letzten sieben Pflichtspielen ganze drei Gegentore. Dass die wiedergefundene Ordnung gezielte taktische Kunstgriffe nicht ausschließt, war in München zu besichtigen. Anders als in manch anderen Partien übten diesmal nämlich die Gladbacher Mittelfeldspieler teils tief in der gegnerischen Hälfte Druck auf das Aufbauspiel der Gegenseite aus. Vor allem Nordtveit hatte offensichtlich den Auftrag, immer wieder gezielt Dante zu attackieren. Vielleicht hatte sich Lucien Favre vorher an das Gladbacher Spiel in Nürnberg in der letzten erinnert, als Nürnbergs Esswein genau nach demselben Muster verfuhr und der Gladbacher Spielaufbau in der Folge fußkrank blieb.

 

Hinrunden-Fazit: Die Dämme sind wieder geflickt, in der Tabelle steht die Borussia sehr ordentlich da und in der Europa League hat sie nach holprigem Beginn die Erwartungen übererfüllt. Die großen Frage der Rückrunde werden sein: Gelingt in zweitem Anlauf die Integration von Xhaka und de Jong? Und kann die Mannschaft ihre neu gefundene Defensivordnung mit einem Offensivspiel vereinen, das nicht so ausschließlich wie bisher vom Dreigestirn Effizienz, Standards und Arango abhängig ist?