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Knappe drei Monate ist es her seit für Borussia die erfolgreichste Spielzeit des bisherigen Jahrtausends geendet ist. In fünf Tage startet nunmehr die neue Saison 2012/13, in der es morgen in einer Woche gleich zum ersten großen Höhepunkt kommen wird: Borussia Mönchengladbach kehrt zurück in den europäischen Fußball und empfängt Dynamo Kiew zum ersten Champions-League Spiel im Borussia-Park. Wie in jedem Jahr beginnt SEITENWAHL die neue Saison mit einem großen Borussen-Check. Heute wird dazu der neuformierte Kader unter die Lupe genommen, ehe morgen System, Vorbereitung sowie Umfeld des Vereins durchleuchtet werden und die Seitenwahl-Redaktion eine Prognose für den Saisonverlauf abgeben wird.


Die Neuen

Der Fußball schreibt immer wieder die schönsten Geschichten. Noch im Januar herrschte in der Öffentlichkeit die gebildete Meinung vor, Borussias Erfolgsmannschaft stünde kurz vor dem Totalzusammenbruch. Die Abgänge von Reus und Neustädter sowie später noch Dante wurden als Beweis für das jähe Ende der gerade erst begonnenen Ära Favre herangezogen.

Im Juli desselben Jahres dann feierte dieselbe Öffentlichkeit die große Wiederauferstehung des Erfolgsklubs aus Mönchengladbach. Schuld daran war weniger die trotz aller Unruhe höchst überzeugende Rückrunde, sondern die simple Erfüllung eines Versprechens von Sportdirektor Max Eberl. Dieser hatte sich bereits früh festgelegt, dass die erzielten Millioneneinnahmen in voller Höhe reinvestiert würden. Wenngleich Finanzchef Schippers zwischenzeitlich die wegfallenden Steuerausgaben beklagte, wurde das Versprechen sogar übererfüllt. Für Dominguez, Xhaka, de Jong muss Borussia je zwischen 7 bis 14 Mio. Euro locker machen. Auch wenn zahlreiche Medien wie selbstverständlich konkrete Summen in den Raum stellen, so kennen nur die Vereinsverantwortlichen die genauen Zahlen. Bekannt ist aber, dass nicht alle Beträge komplett in diesem Sommer an die abgebenden Vereine geflossen sind und dass Teile der (potentiellen) Nachzahlungen ereignisabhängig sein werden. Ein kluger Schachzug von Manager Max Eberl, der damit die aktuellen Ausgaben absolut im Rahmen halten konnte. Bei ausbleibenden Erfolgen – insbesondere auf internationaler Ebene – ist aber einzukalkulieren, dass die finanziellen Spielräume in den kommenden Transferperioden geringer ausfallen könnten.

Von sportlicher Seite haben Management und Scouting alles daran gesetzt, die Abgänge qualitativ so hochwertig wie möglich zu ersetzen. Die drei Königstransfers wurden allerortens als sinnvoll begrüßt – eine Garantie für den Erfolg gibt das aber noch lange nicht. Lucien Favre verwies zurecht auf das Beispiel des Italieners Barzagli, der mit Juve Meister wurde, aber in der Bundesliga scheiterte. Auch von Spielern wie Pogrebnyak oder Berg hatten sich Stuttgart und der HSV dereinst einiges mehr versprochen als später gehalten wurde. Oder man blicke auf die Historie von Borussia, in der klanghafte Namen wie Igor Belanow, Wesley Sonck oder Marek Heinz mit gewaltigen Vorschusslorbeeren an den Bökelberg wechselten. Ohne dieselbe Schwarzmalerei jetzt auf die aktuellen Transfers übertragen zu wollen: Es wäre schon eine gewaltige und ungewöhnliche Leistung, wenn gleich alle drei (Haupt-)Transfers einschlagen sollten.

Genau dies wäre aber im Grunde nötig, wenn Borussia an die überragende Vorsaison anknüpfen wollte. Dante, Neustädter und Reus bildeten für die eigenen bescheidenen Verhältnisse tatsächlich eine ähnliche Mittelachse wie Pique, Xavi und Messi beim FC Barcelona. Dass dies bei den Katalanen noch einmal auf weit höherem Niveau geschieht, versteht sich von selbst. In der Sache hat Lucien Favre aber nicht Unrecht, wenn er auf die Schwierigkeit des Unterfangens hinweist, diese komplette Achse auf einen Schlag ersetzen zu müssen. Im Normalfall erfordert dies Zeit und Geduld, die in der turbulenten europäisierten Vorrunde nur schwer aufzubringen sein werden.

Neben Dominguez, Xhaka und de Jong, über die schon alles Wissenswerte geschrieben worden ist, wurden mit Peniel Mlapa und Branimir Hrgota zwei Offensiv-Alternativen verpflichtet, die es hoffentlich besser machen werden als ihre Vorgänger Bobadilla und Leckie. Mlapa führte sich in der Vorbereitung gut ein, verletzte sich dann aber ärgerlicherweise, so dass er in den ersten Wochen der neuen Saison fehlen wird. Sein Einkauf überraschte insofern, als dass der U21-Nationalspieler zuletzt beim Durchschnittsklub aus Hoffenheim eine durchwachsene Saison spielte und insbesondere durch allzu geringe Torgefahr auffiel. Genauso spannend wie die Frage, ob er sein U21-Gesicht unter Lucien Favre wird ausbauen können, wird jene sein, ob Hrgota der Sprung von der zweiten schwedischen Liga in die erste deutsche so problemlos gelingt wie es die Testspiele angedeutet haben. Sollten beide Experimente misslingen, könnte auf Borussia ein gehöriges Problem in der Breite der Offensive zukommen.

Die Defensive

Marc-André ter Stegen ist bereit nach 40 Bundesliga-Spielen eine absolute Bank im Borussen-Tor. Daran ändert auch das missratene Länderspieldebüt gegen die Schweiz nichts. Die hier gezeigten Schwächen in der Strafraumbeherrschung wird der ehrgeizige Keeper mit aller Macht abzustellen versuchen. Es wäre aber auch dramatisch, wenn er mit 20 Jahren bereits nichts mehr an seinem Spiel verbessern könnte. Das zweite Profijahr, in das ter Stegen faktisch gehen wird, wird vielerorts als besonders schwer angesehen. Zum Glück gibt es eine Reihe Gegenbeispiele für diese These. Zuletzt bewiesen z. B. Marco Reus und Patrick Herrmann, wie sich junge Spieler nach einer guten ersten Spielzeit noch einmal massiv verbessern können. Dennoch sollte von ter Stegen nicht zu viel erwartet werden, nachdem er im Vorjahr bereits zum besten Torhüter der Bundesliga gekürt worden ist.

Dantes Abgang schmerzt weniger aufgrund der von ihm konstant abgerufenen Leistungen. Hier waren ihm Stranzl und Brouwers durchaus ebenbürtig und von Dominguez ist ähnliches zu erwarten. Der größte Verlust droht durch seine Position als unumstrittener Abwehrchef. Die Präsenz des Brasilianers auf dem Platz, die sich auch auf seine Mitspieler leistungsfördernd ausgewirkt haben dürfte, ist nur schwer zu kopieren oder zu ersetzen. Andererseits verfügen Stranzl und Brouwers ebenso über Führungsqualitäten und jede Menge Erfahrung. Gleiches gilt für Kapitän Filip Daems auf der linken Außenbahn. Der zweifache Europa-League-Sieger Dominguez bringt eine für sein Alter imposante Abgeklärtheit mit ein, so dass Borussia nicht bange sein braucht, Dante dann doch vollständig kompensieren zu können.

Eine Kernfrage wird zudem sein, ob Spieler wie Daems, Brouwers und Jantschke erneut an ihre Topleistung aus der Vorsaison anknüpfen können. Borussias Kapitän z. B. spielte zuvor bereits sechs Jahre auf höchst durchschnittlichem Niveau ehe er erst unter Lucien Favre zu einer absoluten Topkraft heranwuchs. Ist dies der wahre Filip Daems oder kann es passieren, dass bei einem Abklingen der Euphorie rund um den Borussia-Park doch wieder der alte Durchschnittsbelgier in ihm zum Vorschein kommt?

Im defensiven Mittelfeld ist sich die Fanwelt uneins über die Rolle, die Roman Neustädter im Team von Lucien Favre gespielt hat. Der Trainer selbst war stets überzeugt, dass der 6er einen ganz zentralen Baustein in seinem Spiel dargestellt hat. Sein Laufvermögen und seine Konstanz werden nur schwer zu ersetzen sein – auch von einem international begehrten Spieler wie Granit Xhaka, der mit dem FC Basel eine nicht minder beeindruckende Saison hingelegt hat. Xhaka ist ein anderer Spielertyp als es Neustädter gewesen ist. Dessen recht hohe Fehlpassquote sollte der Schweizer nicht erreichen. Es ist zu erwarten, dass er sich stärker ins Offensivspiel einbringen wird als der extrem torungefährliche Neu-Schalker. Ein Torjäger ist Xhaka aber mitnichten, denn selbst in der schweizerischen Liga gelangen ihm nur zwei Tore in 44 Partien.

Der Ex-Basler ist neben Tolga Cigerci und Havard Nordtveit Anwärter auf die wahrscheinlich zwei Plätze im zentralen defensiven Mittelfeld. Alle drei wurden aber in der Vorbereitung mit Bedacht auf anderen Positionen getestet. Xhaka und Cigerci hinter den Spitzen, der Norweger in der Innenverteidigung. Während Nordtveit seine Klasse bereits konstant unter Beweis gestellt hat, kann Herausforderer Cigerci auf ein einziges echtes Pflichtspiel-Highlight verweisen. Zum Saisonabschluss glänzte er beim 3:0-Sieg in Mainz und deutete erstmals an, warum Borussia für ihn eine recht hohe Kaufoption von kolportierten 5 Mio. Euro vereinbart hat. Ob er zum Saisonende tatsächlich diesen hohen Wert für Borussia haben wird, bleibt aber abzuwarten.

Insgesamt sollte Borussia in der Defensive gut gerüstet sein, um wie im Vorjahr die Grundvoraussetzung für das Spiel von Lucien Favre zu erfüllen – stabil zu stehen und wenig gegnerische Torchancen zuzulassen.

Die Offensive


Marco Reus sei an 90 % aller Borussen-Tore beteiligt gewesen, wird Favre nicht müde zu betonen. Selbst wenn der Wert vielleicht ein wenig übertrieben sein mag, kommt er der Realität erschreckend nahe. Obwohl neben ihm Arango, Herrmann und Hanke eine ebenso überragende Serie spielten, definierte sich Borussias Offensive zuletzt sehr stark über Marco Reus. Am Ende war es fast immer der Fußballer des Jahres, der den entscheidenden Unterschied ausmachte. Diesen Spieler zu ersetzen, ist daher unmöglich und niemand sollte mit solch einer Erwartungshaltung an Luuk de Jong herantreten.

Ein Seitenblick sei z. B. nach Freiburg gerichtet, wo vor nicht allzu langer Zeit Papiss Demba Cissé eine ähnlich dominante Rolle in der Offensive einnahm. Dank ihm gelang dem SC das Wunder, mit einer als zweitklassig geltenden Mannschaft die erste Klasse zu halten. Als er im vergangenen Winter nach England wechselte, schien den Experten das Schicksal seines alten Vereins gewiss. Doch wie so oft im Fußball kam es anders: Ohne den Superstar blühten auf einmal andere Offensivspieler auf. Die Last des Toreschießens wurde auf mehrere Schultern verteilt. Freiburg rettete sich als Rückrunden-Siebter souverän.

Borussia wird sich in der Offensive ebenso neu erfinden müssen. Luuk de Jong und Marco Reus sind beide Teamplayer, die sich neben vielen Toren auch für eine Vielzahl an Torvorlagen verantwortlich zeichnen. Allerdings liegen de Jongs Vorzüge stärker in der Luft als es beim Dribbelkünstler Reus der Fall gewesen ist. Hier hatte Borussia zuletzt fast vollständig die Arbeit eingestellt und Anspiele in den Sturm fast ausnahmslos flach vorgenommen. Standardsituationen wurden gar vom Trainergott höchstselbst als „langweilig“ abgekanzelt. Mannschaft und Trainer werden sich also umorientieren müssen, worauf bereits mit Vehemenz hingearbeitet wird. Die defensivstarken Außenverteidiger haben sich in der Vergangenheit wenig durch gezielte Flanken hervorgetan. Gerade Tony Jantschke wäre zu wünschen, dass er in dieser Hinsicht einen entscheidenden Schritt nach vorne macht, der ihn auch im Notizblock von Joachim Löw weit nach vorne bringen könnte. Juan Arango sind am ehesten gezielte Flanken auf den Kopf von de Jong zuzutrauen. Er allein wird aber nicht ausreichen, um Borussias Offensivspiel in diese neue Bahnen zu leiten.

Die Frage, ob de Jong von Mike Hanke, Igor de Camargo oder langfristig gar von Branimir Hrgota oder Amin Younes Unterstützung erfahren wird, ist für den Boulevard wahrscheinlich interessanter als für den Trainer. Letztlich werden in dieser intensiven Saison ohnehin mehr als zwei Stürmer benötigt werden und es wird sich zu zeigen haben, welche Stürmer am besten miteinander harmonieren. Igor de Camargo ist in jedem Fall zu wünschen, dass er endlich einmal über eine ganze Saison hinweg von Verletzungen verschont bleiben wird und dann tatsächlich konstant das abrufen kann, was er in einigen Highlight-Spielen immer mal wieder gezeigt hat.

Die Breite


Ein weiteres Versprechen von Max Eberl lautete, dass mit den erzielten Transfereinnahmen die Breite des Kaders gestärkt werden sollte. Man werde überrascht sein, wie viele Spieler Borussia am Ende der Transferperiode verpflichtet habe, so wurde er u. a. zitiert. Diese Überraschung blieb angesichts von nur fünf neuen Spielern aus. Nimmt man den Abgang von Bobadilla im vorigen Winter hinzu, so wurde letztlich nur die Kaderstärke aus dem Vorjahr gehalten. Mit Dams, Korb, Bieler und Younes drängen immerhin einige Jungspieler in den Profikader, die angesichts ihres Alters gut und gerne ihre Durchbruchsaison feiern könnten. Sich darauf zu verlassen, wäre aber fahrlässig.

Grundsätzlich scheint jede Position im Kader doppelt besetzt zu sein. Rechts hinten können am ehesten die Fähigkeiten von Zimmermann angezweifelt werden, Jantschke dauerhaft ohne allzu großen Qualitätsverlust ersetzen zu können. Außerdem darf der Furcht Ausdruck verliehen werden, ob die Offensive für eine größere Verletztenwelle gewappnet wäre. Andererseits widerspräche es dem Selbstverständnis von Borussia als Ausbildungsverein, wenn man den jungen Spielern wie Zimmermann, Korb oder Younes noch weitere hoch dotierte Bankspieler vor die Nase setzen und damit ihre Chance auf etwaige Bewährungschancen auf ein Minimum reduzieren würde. Von daher erscheint die Kaderplanung alles in allem zwar mutig, aber durchdacht und sinnvoll.