VfL WolfsburgEs ist der alte, unauflösbare Konflikt zwischen den Glas-Leer- und den Glas-Voll-Denkern. Wie soll man es finden, wenn nach einer Niederlage selbst der Trainer des Gegners einen „glücklichen Sieg“ gegen eine „bärenstarke“ Mannschaft einräumt? Wenn quer durch die Presse relativ einhellig die Gladbacher Überlegenheit bestätigt wird und nur die Wortwahl variiert? Wenn aber am Ende dennoch null Punkte stehen und die versäumte Chance, von den Berliner, Leverkusener und Mainzer Patzern zu profitieren, mit Schalke Schritt und Wolfsburg auf Distanz zu halten? Was ist dann mit dem vermaledeiten Glas? Halb voll oder halb leer?

Tabellarisch scheint die Antwort leicht: Null Punkte sind null Punkte, Glas nicht halb, sondern völlig leer, Thema durch. Aber das ist dann doch zu einfach. Schließlich entscheidet die Tabelle nach dem 25. Spieltag über gar nichts; es wird nur die am Saisonende Bedeutung haben. Alles bis dahin ist Zwischenstand. Und da interessiert neben dem aktuell zählbaren Erfolg auch die Frage, welche Leistungen und welche Ergebnisse für die weitere Saison zu erwarten sind. Diesbezüglich gibt das Spiel in Wolfsburg trotz der Niederlage zu bedingtem Optimismus Anlass.

Beides ist wichtig, „Optimismus“ und „bedingt“, und beides gilt für Borussias Offensive wie für Borussias Defensive. Optimismus (Offensive): Die Gladbacher überzeugten in Wolfsburg gut eine Stunde mit intelligentem, variablem Offensivspiel. Mit engagiertem Pressing wurde der Gegner, dessen Defensive nicht eben zur Laufkundschaft der Bundesliga gehört, immer wieder unter Druck gesetzt und mit ständigen Rochaden verwirrt. So rissen die Gladbacher ein ums andere Mal Löcher in das von zunehmend zurückgezogen agierenden Gastgebern erbaute Bollwerk. Wer einen aktuellen Champions League-Teilnehmer in dessen eigenem Stadion derart dominiert, darf sich berechtigte Hoffnung auf bessere Ausbeute in künftigen Spielen machen.

„Bedingt“ (Offensive): Heißen Herzens Lücken zu reißen ist das eine, sie kühlen Kopfes zu nutzen, das andere. In Wolfsburg bot man dem Gegner zu oft die Gelegenheit, eine Lücke im letzten Moment doch wieder zu schließen, weil man beim vorletzten oder letzten Pass zu verspielt agierte. Und als Fabian Johnson dann allein vor Casteels auftauchte, fehlte genau die Effektivität, mit der die Wolfsburger zuvor zwei Torschüsse zu zwei Treffern genutzt hatten.

„Optimismus“ (Defensive): Eben jene Wolfsburger Effektivität unterscheidet die Partie auch von manchen Gladbacher Spielen der jüngeren Vergangenheit. Doppelschläge gab es auch in Hamburg und Augsburg zu verdauen. In beiden Spielen wurde der Gegner von freigiebigen Borussen aber zu zahlreichen weiteren Treffern eingeladen. Es war nicht Verdienst der Gladbacher Defensivleistung, dass die Einladung ausgeschlagen wurde. Mit Grausen erinnert man sich zum Beispiel an Granit Xhakas Dribbling im eigenen Strafraum gegen den HSV, dem sich eine slapstickhaft vergebene Großchance des Gegners anschloss. Oder daran, wie leicht die Hamburger ein ums andere Mal durchs Gladbacher Mittelfeld spazieren oder mit simplen langen Bällen in den Rücken der Borussenabwehr kommen konnten. An diese unselige Tradition knüpfte die Schubert-Elf in Wolfsburg genau zwei Minuten lang an, mit den bekannt fatalen Folgen. Ansonsten aber agierte man defensiv erheblich geordneter, aufmerksamer und stabiler als in den letzten Auswärtsspielen. Dazu trug nach der 17. Minute wesentlich ein geeigneter taktischer Impuls von der Trainerbank bei.

„Bedingt“ (Defensive): Doch es bleiben eben jene zwei Minuten. Zwei Minuten, die das Spiel entscheiden sollten, in denen die Borussen sich eine Hypothek aufluden, die noch so viel spielerischer Esprit in der Folge nicht mehr zurückzahlen konnte. Zwei Minuten, in denen sie sich defensiv wie von allen guten Geistern verlassen präsentierten. Elvedi stand besonders im Fokus der Kritik. Nicht ohne Grund angesichts der Ungeschicklichkeit, mit der er sich erst von Draxler und dann von Kruse düpieren ließ. Aber doch einseitig, denn der junge Schweizer war nur Endpunkt einer langen Fehlerkette. Bei besserer Organisation im Mittelfeld hätte erst gar keine Wolfsburger Torchance entstehen müssen. Es bleibt schließlich eine Serie an gegnerischen Doppelschlägen in den letzten Auswärtsspielen, die sich in dieser Häufung mit Zufall nicht mehr befriedigend erklären lässt. Plausibler: Borussia reagiert auf einen Rückschlag aktuell mit kurzzeitigem Umschalten in den Panikmodus. Im allzu intensiven Bemühen, den Schaden sofort wieder gut zu machen, vergisst man kurzzeitig die eigene Nachhut und verschlimmert so, was man eigentlich ausbügeln wollte.

So steht fürs Erste Granit Xhakas ernüchterndes Fazit: Wer zuhause siegt und auswärts verliert, der spielt am Ende wohl nicht international – und ganz sicher nicht Champions League. Das wäre ein Jammer, denn das die Borussia in der Königsklasse nicht fehl am Platze wäre, darauf deutet alles, was oben unter der Rubrik „Optimismus“ aufgelistet wurde. Am Ende der Saison wird das Glas aber umso voller sein, je leerer die Liste der Gladbacher Bedingtheiten.