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Man weiß gar nicht so recht, wo man anfangen soll bei diesem Spiel mit so vielen Vor- und Nebengeschichten. Nochmal diskutieren, wie schlau es wohl ist, als professioneller Fußballer während des Ausbruchs der bis jetzt sich am schnellsten verbreitenden Corona-Variante quer durch die Welt in den Urlaub zu fahren? Oder sich über die daraus resultierende Posse um die eventuelle Absage lustig machen (ist es wahr, dass Uli Hoeness nach dem das Münchener Gesundheitsamt das Faxgerät abgestellt und den Telefonhörer ausgehängt hatte, versucht hat, noch den Papst einzuschalten?)? Man könnte auch damit einsteigen, wie seltsam es auf einmal wieder war nach Monaten annähender Normalität in den Stadien ein Geisterspiel anzuschauen. Oder sollte man sich nicht besser doch noch mal die beeindruckende Bilanz der Borussia gegen die Bayern in den letzten 10 Jahren vor Augen führen, bevor man das Spiel als solches kommentiert? Doch, genau das sollte man!

Inklusive des jüngsten Sieges hat die Borussia in den letzten 11 Spielzeiten 24-mal gegen die Bayern gespielt, dabei 10-mal gewonnen, 9-mal verloren und 5-mal unentschieden gespielt (wobei wir den Elfmetersieg der Bayern 2012 im DFB-Pokal auch als Unentschieden werten). Der Kicker hatte vor dem Spiel eine ähnliche Statistik seit 2014 aufgeführt, in der Borussia den absolut besten Punkteschnitt gegen die Münchener aller Bundesligateams hatte (1.4), mit der SAP-Betriebs-Elf auf Platz 2 mit nur 0.87 Punkten. Auch weltweit gibt es kein anderes Team, welches die Bayern in den letzten Jahren so geärgert hat wie die Borussia. Seit Freitag ist Gladbach die Auswärtsmannschaft mit den meisten Siegen in der Allianzarena (4), erstaunlich, wenn man bedenkt, dass ihr vor 2011 in 45 Jahren nur ein einziger Sieg bei den Bayern gelungen war. Nun wollen wir nicht komplett verschweigen, dass es in den vergangenen Jahren auch ab und an eine Klatsche gegen den Rekordmeister gab: 2-mal gab es ein 1:5 und im Frühjahr ein hochnotpeinliches 0:6, da spielte die Borussia allerdings schon für geraume Zeit, ohne einen Trainer zu haben.

 

Und um ganz ehrlich zu sein: So gegen 20:50 Uhr am Freitagabend hatte ich den bösen Verdacht, dass sich eine ähnliche Blamage wiederholen könnte. Es sah durchaus finster aus für Gladbach in den Anfangsminuten des Spiels. Kaum einen Ball konnte man festmachen, der Druck der Münchener Not-Elf (natürlich trotzdem gespickt mit Nationalspielern) wurde von Minute zu Minute größer und der Führungstreffer war die logische Konsequenz. Fein gemacht vom besten Stürmer der Welt, wie er den Ball mit der Fußspitze um Nico Elvedi herum legte und dann gekonnt abschloss, aber ganz so schuljungenhaft und ehrfürchtig hätte der Schweizer nun auch wieder nicht zuschauen müssen. Es fehlte noch, dass er nach der Szene seinem Gegner applaudierend zu klatscht.

Da konnte man angesichts der zuletzt so labilen Gladbacher Defensive das Schlimmste für den Rest des Spiels erwarten, aber das geschah nicht. Gerade der Abwehrverband mit der Dreierkette Ginter-Elvedi-Jantschke zeigte insgesamt eine starke Leistung: Es gab zwar ein paar brenzlige Situationen, aber nur selten kamen die Bayern zu wirklich klar heraus gespielten Chancen. Tja, und auch offensiv wurde es bald besser: Nach ursprünglicher Vorarbeit von Lainer erzielte Neuhaus gekonnt den Ausgleich, auch wenn Ulreich, der die verhinderte Torwart-MaleDiva Manuel Neuer vertrat, dabei nicht so gut aussah. Neuhaus ist damit zweitbester Gladbacher Torschütze in dieser Saison, leicht paradox angesichts der langen Formkrise des gebürtigen Bayerns, der aber in diesem Spiel auf der 10er Position ein ordentliches Spiel machte.

 

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Bester Akteur der Borussia war allerdings Stefan Lainer, der kurze Zeit später nach einem Eckball zum Kopfballungeheuer mutierte. Aber die Beteiligung an beiden Toren war nur das Sahnehäubchen für eine enorme Leistung des Österreichers, der mit seinen Sprints über die rechte Seite immer wieder Gefahr für die provisorisch zusammengestückelte Bayern-Abwehr heraufbeschwor, genauso wie er mit energischen Zweikämpfen es schaffte, eventuelle Münchener Angriffe zu unterbinden. Als Lainer in der Hinrunde wegen seines Sprunggelenkbruchs für Monate ausfiel, hatte ihn manch einer schon abgeschrieben. Die Youngster Netz, Beyer und vor allem Scally stellten auf einmal realistische und technische beschlagenere Alternativen zum ehemaligen Salzburger dar, der mit Marco Rose zudem auch noch seinen Mentor auf der Trainerbank verloren hatte. In der Form von Freitag jedoch ist Lainer fast unersetzlich für diese Mannschaft. Es ist schwer zu verstehen oder gar zu erklären, wie solch ein limitierter Fußballer solch einen Wert haben kann, aber es waren nicht nur seine Aktionen selbst, sondern auch den Mut und Spirit, die diese auf den Rest des Teams ausstrahlten.

An Mut und Spirit mangelte es der Borussia auf jeden Fall nicht, nach dem erstmal der Ausgleich geschafft war. Vor allem in der Phase vor der Pause spielte man mit offenem Visier und auch in der zweiten Halbzeit sah man nicht die klassische Borussia, die sich hinten reinstellt und um den Ausgleich bettelt, sondern hatte immer wieder entlastende Phasen in der bayrischen Hälfte, aus denen man insgesamt aber zu wenig machte. Im Vergleich zum 5:0 im Pokal war es natürlich eher bieder, mehr Arbeitssieg denn Gala, aber die Ansicht, dass nur Riesenpech ein 7:2 der Bayern verhindert hätte, hatten die Münchener Spieler und Offiziellen zum Schluss exklusiv für sich.

So fängt das neue Jahr also an wie das vergangene: mit einem überraschenden Sieg über Bayern nach Rückstand. Wobei es gar nicht so überraschen sein sollte angesichts der Tatsache, dass die Borussia in den letzten 12 Monaten 8-mal gegen den Rekordmeister und den BVB spielte und dabei 5 Siege und nur zwei Niederlagen erreichte. Die „Großen“ liegen uns, aber was nützt das, wenn man regelmäßig gegen Gurkenteams wie Köln oder Augsburg versagt? Die gesamte Haltung der Mannschaft am Freitag macht Mut, aber jetzt muss das Team endlich auch mal in „normalen“ Spielen bestätigen, wozu es fähig ist. Die nächsten Wochen geben gute Gelegenheit dazu. Man hat zwei Heimspiele, wobei Leverkusen und Union Berlin aber anspruchsvolle Gegner sind. Dazwischen gibt es noch ein Pokal-Achtelfinale in Hannover. Es könnten die Wochen sein, in denen die Mannschaft eine schon verkorkst erscheinende Saison wieder in erfreulichere Bahnen lenkt. Es kann aber auch sein, dass Freitagabend lediglich einer der besseren Moment auf der Rolltreppe abwärts war. Wie auch immer: die angepissten Gesichter von Thomas Müller oder Julian Nagelsmann nach dem Spiel nimmt uns keiner mehr.