Nana Moskouri sang einst über die Liebe: „Für mich ist sie eine Rose, für Dich ein Dornenstrauch.“ Echte Liebe wird dem gleichnamigen Übungsleiter aus Probstheida inzwischen von beiden Kontrahenten des kommenden Sonntags nicht mehr entgegengebracht. Beim BVB kommen nicht erst seit dem peinlichen 2:4 gegen die Glasgow Rangers Zweifel auf, im vergangenen Sommer vielleicht doch nicht den seit Jahren herbeigesehnten würdigen Klopp-Nachfolger verpflichtet zu haben. Bei Borussia wird bis heute mit den Folgen des allzu dornigen Abgangs gekämpft. Die letzten Monate seiner Amtszeit als Borussen-Trainer haben auf vielen Ebenen einen wesentlichen Anteil an den aktuellen Problemen des Vereins. Nach inzwischen rund acht Monaten ist es aber an der Zeit, dies endlich hinter sich zu lassen und sich wieder zukunftssicher auszurichten. Dafür sollen in der vergangenen Woche sowohl auf, als auch außerhalb des Platzes die Weichen gestellt worden sein.

Zunächst einmal durch das wichtige 3:2 über den FC Augsburg, das dem Verein etwas Luft im Abstiegskampf verschafft hat. Der jetzt auf vier Punkte angewachsene Vorsprung auf den Relegationsplatz bietet allerdings keinen Anlass zur Entwarnung. Dafür war der Gegner zu schwach und die eigene Leistung immer noch zu fehleranfällig. Selbst gegen den harmlosen Drittletzten fielen zwei Gegentore, was mit Blick auf die Partie am Sonntag Böses erahnen lässt. Christoph Kramer ist wieder fit und könnte der Defensive mehr Stabilität verleihen. Da Adi Hütter die zuletzt erfolgreiche Elf vermutlich so wenig wie möglich wird umbauen wollen, müsste er dann z. B. auf den defensiv verbesserungswürdigen Florian Neuhaus verzichten. Denkbar, dass für Kramer daher zunächst nur ein Platz auf der Ersatzbank bleibt.

In Dortmund wird Borussia erstmals seit längerem mal wieder nicht als Favorit in eine Partie gehen. Zuletzt gelang in dieser Konstellation ein 2:1-Auswärtssieg in München. Allerdings ist die Bilanz gegen den BVB in den vergangenen Jahren nicht ganz so erfreulich wie gegen die Bayern. Die letzten acht Partien in Dortmund gingen für Borussia allesamt verloren. Nicht selten waren es ehemalige Borussen, wie Marco Reus oder Thorgan Hazard, die daran entscheidenden Anteil hatten. Zu rechnen ist evtl. wieder mit Erling Haaland, der im Europa-League-Spiel gegen die Glasgow Rangers noch geschont wurde, am kommenden Sonntag aber einsatzbereit sein könnte - auch wenn sein Trainer sich dazu skeptisch äußerte. Je nach Fitnesszustand könnte der Norweger ein Kandidat für die Startelf sein oder ggf. im Laufe der Partie für Malen eingewechselt werden.

Borussia hat in dieser Partie beim Tabellen-Zweiten nicht viel zu verlieren. Trotz der jüngsten Leistungssteigerung wäre alles andere als eine Niederlage in der aktuellen Lage eine Überraschung. Genau hier liegt aber die große Chance, da sich die Mannschaft im bisherigen Saisonverlauf gerade in solchen Spielen zu steigern verstanden hat – so wie u. a. beim 1:0-Erfolg im Hinspiel. Dass beim wankelmütigen BVB etwas zu holen ist, unterstreichen dessen letzte Partien. Klare Siege, wie beim 5:1 über Freiburg und beim 3:0 über Union Berlin, wechselten sich zuletzt ab mit peinlichen Niederlagen wie auf St. Pauli, gegen Leverkusen oder die Rangers. International ist der BVB 2022 nicht einmal mehr Durchschnitt, wie auch zwei andere Ergebnisse der letzten Tage zeigen: Die derzeit stärkste Elf Schottlands, Celtic Glasgow, verlor in der Conference League mit 1:3 gegen Bodö/Glimt. Sporting Lissabon, das den BVB aus der Champions League befördert hatte, unterlag Manchester City mit 0:5.

Insbesondere ist es dem derzeitigen Übungsleiter der Dortmunder einmal mehr nicht gelungen, seiner Defensive Stabilität zu vermitteln. Mit 36 Gegentoren liegt der BVB im Bundesliga-Durchschnitt und nur um vier Treffer besser als der Gegner vom Sonntag. Borussia sollte daher mutig agieren und in der Offensive seine Chance suchen, um die Dortmunder Verunsicherung auszunutzen.

Auch abseits des Rasens hat Borussia zuletzt mutig agiert durch die überraschende und sehr zeitige Ernennung von Roland Virkus zum neuen Sportdirektor. Die Seitenwahl-Redaktion hat sich klar positioniert, dass sie der Berufung und dem Vorgehen kritisch gegenübersteht. Ende Januar wurde vom Vorstandsvorsitzenden auf der Pressekonferenz verkündet, man habe die internen Varianten bereits abgeklopft und suche daher eine externe Lösung, bei der die Verantwortlichkeiten zukünftig auf mehrere Schultern verteilt werden sollen. Es spricht nicht gerade für eine professionelle Kommunikationspolitik, wenn keine drei Wochen später die internste aller möglichen Lösungen vorgestellt wird, die jetzt doch wieder alle Lasten tragen soll, die zuvor Max Eberl zugemutet worden waren. Zudem verstrickte sich Präsident Königs in Widersprüche zur vorherigen Darstellung, da man jetzt angeblich doch erst am Tag nach der letzten Pressekonferenz mit Steffen Korell gesprochen habe.

Nicht zuletzt durch solche Ungereimtheiten wirkte die Pressekonferenz in dieser Woche sehr provinziell-amateurhaft und eines ambitionierten Bundesligisten unwürdig. Was die Befähigung von Virkus angeht, so darf selbstverständlich die Hoffnung geäußert werden, dass dieser an seiner Aufgabe wächst. Im Verein ist er als verlässlicher und vertrauenswürdiger Kollege und Mitarbeiter geschätzt. Seine Loyalität zur Borussia steht nach über 30 Jahren im Verein außer Frage.

Zweifel bleiben aber, ob er das Standing und die Ausstrahlung hat oder sich noch wird aneignen können, die ein Verein mit dem sechstgrößten Umsatz aller Bundesligisten auf diesem zentralen Posten benötigt. Die bevorstehende Transferperiode wird eine der wichtigsten der Vereinsgeschichte werden, da der Verein in schwieriger finanzieller Lage gleich mehrere Positionen neu besetzen muss. 2023 laufen nach aktuellem Stand die Verträge von Thuram, Bensebaini, Hofmann, Plea, Embolo, Sommer, Kramer, Stindl und Jantschke aus. Es wird daher nach den Abgängen von Zakaria und Ginter noch einige weitere Veränderungen im Kader geben. Virkus kann hier auf ein eingespieltes Team um Steffen Korell setzen, das auch in der Vergangenheit den größten Anteil an den Transfererfolgen der Borussia hatte. Dennoch bedarf es am langen Ende eines Mannes, der die finalen Verhandlungen mit Beratern vom Schlag Raiola führt und die nicht immer einfachen Entscheidungen trifft. Es dürfen zumindest Zweifel geäußert werden, dass Roland Virkus hierfür wirklich die beste aller möglichen Wahlen gewesen ist.

Eine Garantie, die großen Fußstapfen von Max Eberl zu füllen, hätte selbstverständlich kein neuer Sportdirektor bieten können. Dennoch wäre die Wahrscheinlichkeit größer gewesen bei einer Person, die auf dieser oder einer ähnlichen Position bereits nachhaltige Erfolge vorzuweisen hat. Roland Virkus muss primär daran gemessen werden, was er in der Vergangenheit in seiner Funktion als Nachwuchsdirektor geleistet hat. Und da geben die Fakten leider wenig her, was seine Beförderung auf den wichtigsten Posten im Verein objektiv rechtfertigt. Die Jugendmannschaften von Borussia schneiden seit Jahren zumeist unterdurchschnittlich ab. Die Konkurrenz im Westen mag groß sein. Dies liefert aber keine Entschuldigung, um teils sogar schlechter zu sein als Vereine der Kategorie Rot-Weiß Essen, Preußen Münster oder Viktoria Köln. Die Anzahl der Spieler, die es in den Profibereich geschafft haben – geschweige denn in den A-Kader der Borussia – ist höchst überschaubar. Die U23, die sich zu weiten Teilen aus Spielern des Gladbacher Nachwuchsleistungszentrums zusammensetzt, dümpelt seit Jahren im Mittelfeld der Regionalliga. Die Bilanz ist insgesamt unterdurchschnittlich und sah im Übrigen unter seinem Vorgänger zu Beginn des Jahrtausends noch besser aus.

Virkus gab auf der Pressekonferenz selbst zu, dass die wichtige Säule des eigenen Nachwuchses zuletzt nicht mehr bespielt wurde. Leider gab er nicht preis, welchen Anteil er sich hierfür als Hauptverantwortlicher selbst zuschreibt und was ihm Anlass zur Hoffnung gibt, dass er auf einer höheren Ebene erfolgreicher arbeiten wird. Es hätte nichts dagegen gesprochen, ihm zukünftig genau wie Steffen Korell mehr Verantwortung im Verein zu übertragen und gleichzeitig die Jugendförderung stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Ihn aber direkt zum Hauptverantwortlichen aufsteigen zu lassen, ist nach dem Leistungsprinzip nur schwer vermittelbar.

Unabhängig von all diesen Bedenken steht aber natürlich außer Frage, dass die Seitenwahl-Redaktion dem neuen Sportdirektor Roland Virkus alles erdenklich Gute wünscht und sich sehr freuen würde, wenn er ihre kritischen Kommentare in Zukunft Lügen strafen wird. Da mit seiner Inthronisierung jetzt endgültig die Ära Max Eberl beendet worden ist, gestatte ich mir zu diesem noch ein paar abschließende Worte: Niemand, der als Diskussionspartner ernstgenommen werden möchte, kann nach dem Verlauf der Pressekonferenz Ende Januar behaupten, Eberl habe diese als reine „PR-Veranstaltung“ missbraucht, um sich selbst möglichst gut darzustellen und billig aus seinem Vertrag zu kommen. Wer dies einem Mann wie Max Eberl, der in seinen Verdiensten um den Verein als Sportdirektor nur noch von Helmut Grashoff übertroffen wird, ernsthaft zutraut, der unterschreitet jegliche Schamgrenze. Keine Frage: Auch Max Eberl hat in den vergangenen Jahren einiges falsch gemacht und damit zur aktuell schwierigen Lage entscheidend beigetragen. Ihn als einseitiges Opfer des empathielosen Vereins(vorsitzenden) hinzustellen, wie es in Teilen der Öffentlichkeit geschehen ist, wird der weit komplexeren Wahrheit ebenfalls nicht gerecht. So viel Anstand sollte aber jeder besitzen, um es Eberl abzunehmen, dass seine Aussagen auf der Pressekonferenz von Herzen kamen und er in seinen rund 13 Jahren als Borussias Sportdirektor weit über die ihm erträgliche Belastungsgrenze hinausgegangen ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob man dies als Burnout, Erschöpfungssyndrom oder Überlastung definieren möchte, was nur ein Arzt nach entsprechender Untersuchung könnte. Entscheidend ist, dass er sich physisch und psychisch nicht mehr in der Lage sah, seinen Job auszufüllen, was jeder im und um den Verein zu akzeptieren hat. Ebenso würde es nichts ändern, falls Eberl im Sommer tatsächlich einen neuen Job bei einem anderen Verein antreten sollte. Ob er eine Auszeit von 3, 6, 12 oder 24 Monaten benötigt, liegt alleine im Ermessen eines Menschen, und der heißt Max Eberl. Dass der Verein wiederum eine angemessene Ablösesumme für einen begehrten Sportdirektor mit laufendem Vertrag bis 2026 erwartet, ist gleichermaßen legitim.

Dieses Kapitel ist endgültig vorbei und jetzt ist es an Virkus und seinem Team, die Erfolgsgeschichte von Borussia weiterzuschreiben. Trotz aller Bedenken ist ihm zu wünschen, dass er damit gerne bereits diesen Sonntag beginnen wird. Ein Auswärtssieg beim Dortmunder Dornenstrauch wäre jedenfalls nicht das schlechteste Omen für eine hoffentlich erfolgreiche Ära von Roland Virkus als Sportdirektor der Borussia.

Dortmund: Kobel – Meunier, Akanji, Hummels, Guerreiro – Dahoud, Can – Hazard, Reus, Bellingham – Malen

Borussia: Sommer – Ginter, Friedrich, Elvedi – Lainer, Koné, Kramer, Bensebaini – Hofmann, Plea, Embolo

SEITENWAHL-TIPPS

Michael Heinen: „In Dortmund ist für die wahre Borussia leider wieder nichts zu holen. Das 0:2 macht deutlich, dass weiterhin noch viel Arbeit auf Adi Hütter zukommt.“

Uwe Pirl: „Jede Serie hat ein Ende. So auch die, dass Borussia gegen die vermeintlich Kleinen verliert, aber gegen die Großen punktet. 3:0 für Dortmund.“

Claus-Dieter Mayer: „Der Virkus-Effekt schlägt gnadenlos zu, oder ist es nur, dass Dortmund es einfach regelmäßig verbaselt, wenn sie gerade wieder Anschluss an die Bayern gewinnen: Egal, der 3:1-Sieg in Dortmund ist ebenso überraschend wie erfreulich!“

Thomas Häcki: „Ob sportliche Krise oder sportlicher Direktor: Borussia bleibt sich treu. Da wollen wir doch keine Ruhe oder gar Begeisterung aufkommen lassen… Nach dem 1:4 steckt man weiter im Abstiegskampf fest.“

Christian Spoo: „Champions-League-Anwärter gegen Abstiegskandidat. Eine klare Sache, 4:0 für Dortmund.“

Volkhard Patten: „Unsere Dreierkette macht wieder ihrem Namen alle Ehre und lässt drei Gegentore zu. Die Ära des neuen Sportdirektors beginnt mit einer klaren 0:3-Niederlage und sorgt dafür, dass er sich gleich mal einer medialen Trainerdiskussion stellen muss.“