hertha berlin neu

Nach einer blau-weißen Traditionsmannschaft, die gerade aus der zweiten Liga kam, trifft Borussia nun eine farblich übereinstimmende Mannschaft, die eigentlich in dieser Saison in jener zweiten Liga hätte spielen sollen, hätte sich der HSV nicht mal wieder beim Gedanken an einen Aufstieg in die Hose gemacht. Aber man kann diskutieren, ob von Felix Magath gerettet zu werden nicht sowieso die größte Demütigung ist, die einem Fußballverein dieser Tage so widerfahren kann.

In Gladbach ist man sich vermutlich immer noch nicht so ganz sicher, ob man am zweiten Spieltag in Gelsenkirchen einen Punkt gewonnen oder zwei verloren hat, aber insgesamt ist die Stimmung nach dem überzeugenden Pokalauftritt und 4 Punkten aus den ersten beiden Spielen eher positiv und um von einem rundum gelungenen Saisonstart zu sprechen, fehlt eigentlich nur noch ein Sieg gegen die Hertha am Freitagabend. Die Gerüchte um ein mögliches Engagement von Max Eberl bei RB Leipzig und die damit verbundene bzw. vielleicht doch eher unverbindliche Ablöse werden dabei hoffentlich wenig Einfluss auf die Mannschaft haben, aber hilfreich sind solche Störfeuer sicherlich nicht (auf die Causa selbst werden wir bei Seitenwahl eventuell ein anderes Mal eingehen, wenn die Faktenlage etwas klarer ist). Eine positive Nachricht ist hingegen, dass Kapitän Lars Stindl sich wieder im Training befindet, womit sich in der Offensive wieder mehr Optionen ergeben. Allzu große Umstellungen sind aber in der Grundaufstellung nicht zu erwarten, was z.B. auch einen weiteren Start auf der Ersatzbank für Stefan Lainer bedeuten könnte, der in den vergangenen 3 Jahren eigentlich durchgehend gesetzt war und so etwas wie die Symbolfigur für den U-Turn Gladbachs in der Spielkultur ist: Lainer war wie seine beiden Trainer bei Borussia stellvertretend für RB-Pressing-Fußball, von dem sich der an Ballbesitz interessierte Daniel Farke momentan eher wegbewegt. Dass dieses per se kein Anlass zu Jubelstürmen ist, zeigten die ersten 70 Minuten auf Schalke als der VFL zeitweise wie in schlechteren Dieter Hecking-Zeiten agierte, d.h. mit viel Ballbesitz, aber wenig Ideen. Aber natürlich muss man hier dem neuen Trainer auch noch ein bisschen Zeit einräumen, die Abläufe einzutrainieren und seine eigene Vorstellung von Ballbesitz-Fußall zu etablieren. Gewisse Fragezeichen stehen noch hinter der Gladbacher Defensive, da nicht nur Nico Elvedi, sondern auch Ramy Bensebaini und Ko Itakura mit mit Blessuren nur eingeschränkt trainieren konnten. Sollten alle Spieler fit sein, wird Daniel Farke vermutlich derselben Startelf wie gegen Hoffenheim und Schalke vertrauen.

Die Hertha aus Berlin hat mit den Gladbachern gemein, dass ihr letztes Spiel mit einer VAR-Entscheidung bzgl. eines Elfmeters beendet wurde. Während die Borussia aber daraufhin noch den späten Ausgleich hinnehmen musste, wurden die Berliner vom Kölner Keller allerdings vor der zweiten Saison-Niederlage bewahrt, als der bereits entschiedene Elfmeter für Frankfurt -warum auch immer- wieder zurückgenommen wurde. Trotzdem könnte mit einer Niederlage morgen Abend schon bald wieder die fast gewohnte Tristesse bei der Hertha einkehren: Der Kader hat zwar Magath-übliche Dimensionen (wobei der Sadist aus dem Saarland in diesem Fall wenig damit zu tun hat) und ist auch punktuell hochwertig, aber wirkt ziemlich planlos zusammengestellt. Konnte er zu Beginn noch auf Altlasten seiner Vorgänger (vor allem Michael Preetz) verweisen, gerät damit zunehmend auch Sportdirektor Fredi Bobic in die Kritik, bei dem man sich mittlerweile fragt ob nicht eher Eintracht Frankfurt ein Glücksfall für ihn gewesen war und nicht umgekehrt, wie man vielleicht vor 1.5 Jahren noch dachte. Der neue Trainer Sandro Schwarz soll vermutlich eine neue Bescheidenheit beim „Big City Club“ symbolisieren, aber ob Underdog-Fußball Mainzer Prägung jetzt wirklich geeignet ist die ersehnte Aufbruchsstimmung in Berlin zu entzünden darf bezweifelt werden. Diverse Unstimmigkeiten im Kader sind dabei auch nicht sonderlich hilfreich: Der im letzten Jahr noch als Kapitän agieren Boyata wurde mittlerweile von Schwarz aus dem Kader befördert, während der langjährige Keeper Rune Jarstein wegen eines Streites mit dem Torwart-Trainer suspendiert wurde. Zumindest außerhalb des Spielfeldes bleibt Hertha BSC ein sehr unterhaltsamer Club, wie auch Max Jacob Ost vom Rasenfunk-Podcast kürzlich befand, als er sich über die Flut von Fußballverein-Dokus auf den Streaming-Portalen dieser Welt beschwerte, aber hinzufügte, dass er über die Hertha nur zu gern eine sehen würde.

So sehr man geneigt ist, sich über die Hertha angesichts ihrer vielen Skandälchen und der eklatanten Diskrepanz zwischen Windhorstiger Finanzspritzen und sportlichen Erfolg lustig zu machen, sollte man das Spiel morgen aus Gladbacher Sicht nicht auf die leichte Schulter nehmen. Sandro Schwarz mag nicht dafür berühmt sein, fußballerische Feuerwerke zu entfachen, aber er kann ein Team defensiv gut einzustellen und die individuelle Klasse von Spielern wie Tousart, Serdar oder Lukebakio kann der auch unter Daniel Farke weiterhin anfälligen Gladbacher Defensive durchaus weh tun. Trotzdem geht die Borussia natürlich als Favorit in diese Partie, nach der man zumindest für eine Nacht mal wieder Tabellenführer sein könnte.

Seitenwahl-Tipps:

Claus-Dieter Mayer: Nach nur 30 Sekunden auf dem Feld schaffte es der in der 92. Minute eingewechselte Patrick Herrmann mit einem spektakulären Flugkopfball ins eigene Tor erneut die mögliche Tabellenführung der Borussia in letzter Sekunde zu vereiteln und der Hertha ein schmeichelhaftes 1:1 im Borussia-Park zu retten.

Christian Spoo: Richtig rund läuft es noch nicht bei Borussia und nach vorne könnte mehr gehen. Trotzdem fährt das Team den zweiten Saisonsieg ein, der fällt mit 1:0 aber denkbar knapp aus.

Uwe Pirl: Hertha BSC steht als derzeitiger Chaosklub der Liga am Rande des Abgrunds. Borussia ist schon einen Schritt weiter ... Nämlich auf dem Weg der Konsolidierung, nachdem wir in der letzten Saison mal kurz in den Abgrund schauen durften. Das gefestigtere Team gewinnt: 3:1 für Gladbach.

Thomas Häcki: Appetit holt man sich auswärts, gegessen wird zu Hause. Die Borussia lässt sich das 2:0 schmecken.

Volkhard Patten: Eine kriselnde Hertha zu Gast bei einer Borussia, die wieder erstarkt ist. Ein klares 3:0 bringt Ruhe vor dem Bayern-Spiel.

Michael Heinen: Es wird mühsam, aber am Ende schlägt Borussia die alte Dame mit 2:1.

Michael Oehm: Das 3-0 ist zwar nicht so deutlich, wie es sich liest, und wieder ist viel Geduld nötig; naja, man kennt das ja schon. Aber nicht meckern: Freitagssiege sind die schönsten des Wochenendes.