Fast 20 % aller Scheidungen trifft Ehepaare, die zuvor bereits ihre Silberhochzeit gefeiert hatten. Zwischen Borussia und Max Eberl hielt die Ehe zwar „nur“ 23 Jahre. Aber auch hier zeigten sich zum Ende deutliche Abnutzungserscheinungen, wie sie bei Menschen mittleren Alters nach solch langer Zeit des Öfteren auftreten. Borussia machte aus der Not eine Tugend und berief einen Nachfolger, der sogar schon 32 Jahre mit dem Verein „verheiratet“ und fest mit ihm verwachsen ist. Trotzdem wurde Roland Virkus bei vielen Fans zu Beginn skeptisch gesehen – insbesondere, weil seine Erfolge im vorherigen Job als Leiter des Gladbacher Nachwuchsleistungszentrums sehr überschaubar gewesen waren.

Nach Abschluss der ersten Transferperiode in der Ära Virkus ist die Stimmung deutlich umgeschlagen, weil der inzwischen als „Don Rollo“ gefeierte Ur-Gladbacher den Verein mit einigen klugen Entscheidungen wieder in ruhigeres Fahrwasser geführt hat. Die wichtigste Entscheidung bestand darin, sich geräuschlos von Adi Hütter zu trennen und ihn durch Daniel Farke zu ersetzen. Anders als beim Sportdirektor selbst flogen dem Ex-Norwich-Coach von Beginn an die Sympathien der Fans zu. Dieses Bild drückte sich auch kurz vor Saisonbeginn in der Borussen-Umfrage 2022/23 aus. Gefragt wurde nach der Prognose, wie Farke und Virkus zum Saisonende von den Borussen-Fans überwiegend beurteilt werden.

Nicht ganz überraschend wurde Farke überwiegend positiv bewertet. Gespalten fiel das Bild bei Roland Virkus – wohlgemerkt vor den Vertragsverlängerungen von Plea und Hofmann sowie den Transfers von Weigl und Ngoumou – aus. noge drückt diese Stimmungslage passend aus: „Farke wird ein gelungenes Übergangsjahr bescheinigt. Virkus bleibt der "Arsch der Truppe". Wird es ein Scheiß-Jahr, ist er an allem schuld. Bei einem einigermaßen gelungenen Jahr hat er darauf keinen Einfuss gehabt. Der Fan verzeiht Herkunft und Gesichtsbehaarung nicht. ;-)“

Auch Stefan argumentiert schlüssig: „Virkus scheint das Berti Vogts Problem zu haben ("Wenn ich übers Wasser laufen könnte, würden meine Kritiker sagen: 'Nicht mal schwimmen kann er'"). Farke bekommt hingegen sein Wandgemälde auf dem Alter Markt.“

Etwas gegen den damaligen Trend argumentiert Wiesenputz: „Virkus wird sein Standing deutlich verbessert haben, nachdem eine grundsolide Saison gespielt wurde und ein Großteil der Spieler gehalten werden konnte. Farke wird von den Fans wahrscheinlich etwas kritischer gesehen werden als im Moment, aber die Fans werden ihn weiterhin in ihr Herz schließen.“

Oponuni unterstreicht, dass beide authentisch“ wirken: „Onkel Rollo als akribischer Arbeiter mit Defiziten in der Außendarstellung. Hier wird Farke Resilienz zeigen und einiges weg bügeln.“

Unter einem kleinen Vorbehalt zeigt sich Sandmann euphorisch: „Farke wird der neue Messias und wird eine kloppartige Euphorie verbreiten, wenn er von Virkus den richtigen Kader hingestellt bekommt.“

Überhaupt keine Vorbehalte benötigt dagegen Schockepol: „Manche werden sich fragen, wer eigentlich Rollos Vorgänger war, andere werden dankend Mails nach Nice verschicken.“

Dieser positiven Grundhaltung vermag sich der ballreiter nicht anzuschließen. Er fürchtet, „große Ernüchterung wird sich breitmachen und manch einem dämmert, dass es wohl doch nicht nur an Adi und Max lag...“

Auch PekingRaute zeichnet ein eher „mittelmäßiges“ Bild: „Die Anfängliche zarte Euphorie verpufft, wenn sie auf die harte Realität in der Liga trifft, wo andere Vereine massiv investieren, bei Borussia allerdings die Gürtel enger geschnallt werden müssen. Das wirtschaftliche Desaster um die vielen ausgefallenen Großverkäufe (Thuram, Ginter, Plea, Zakaria, Neuhaus...), deren Einnahmen für die Weiterentwicklung/Ersatz notwendig gewesen wären, hinterlassen Spuren. Man gibt sich in Gladbach allenthalben Mühe, aber die fetten Jahre sind vorbei und statt Borussia Barcelona gibt es mehr graue-Maus Fußball.“

Das fatalistische Bild zeichnet aber einmal mehr Albert Bundy: „Farke wird zum Ende der Hinrunde entlassen und wir werden froh sein das er weg ist, Virkus wechselt Ende der Saison nach Köln oder Schalke und niemand wird darüber traurig sein.“

Derzeit lassen sich solche Einschätzungen noch müde weglächeln. Aber Vorsicht: Die aktuelle Euphorie, die sich Virkus und Farke durch ihr bisheriges Wirken ebenso verdient haben wie die in den letzten Jahren leidgeprüften Fans, ist immer noch recht fragil. Trotz des unglücklichen 0:1 gegen Mainz zeigt sich derzeit eine Perspektive, die man vor einem Vierteljahr in der Form noch nicht unbedingt gesehen hatte. Dies ist aber ein langfristiger Prozess, der noch einige Prüfungen und Rückschläge zu überstehen haben wird.  

Jede Euphorie geht einher mit einer großen Fallhöhe. Sollte die Mannschaft von den anstehenden schwierigen Spielen z. B. ein paar zu viele verlieren, würde der Boulevard so launige Geschichten über den Trainer, der seine Spieler auf der Bank „durchbeleidigt“, deutlich anders akzentuieren und sich um eine Spaltung der Fangemeinde bemühen. Die bislang als „weitsichtig und klug“ bewerteten Entscheidungen des Sportdirektors würden zunehmend hinterfragt: Warum wurde auf den falschen Positionen nachgebessert und nicht z. B. im Sturm? Warum wurde auch in diesem Sommer erneut der seit Jahren überfällige Umbruch im Kader nicht vorgenommen? Anstatt die Verlängerungen von Plea und Hofmann zu feiern, würden die bislang immer noch ausbleibenden Unterschriften von Sommer, Thuram, Bensebaini, Kramer und Stindl thematisiert.

Im Idealfall spielt die Mannschaft weiterhin so, dass diese Stimmen niemals das Übergewicht erlangen werden. Sollte dies aber irgendwann nicht mehr der Fall sein, dann sollte sich ein jeder Fan daran erinnern, wo der Verein noch vor einigen Monaten stand und dass sich die Versäumnisse der letzten Jahre nicht innerhalb weniger Wochen wegzaubern lassen. Verantwortlich dafür waren bekanntermaßen nicht Virkus oder Farke, sondern zuvorderst ein Mann, dem der Verein sehr viel zu verdanken hat – im Guten wie zuletzt leider auch im Schlechten.

Es wäre sehr erfreulich, wenn sich die einst so erfolgreiche „Ehe“ zwischen Max Eberl und Borussia noch vor der Silberhochzeit endgültig trennen ließe – wenngleich hoffentlich nicht zu den im Boulevard kolportierten Summen von 0,5 bis 5 Mio. Euro. Ein Sportdirektor hat für einen Verein mindestens so einen hohen Wert wie der Trainer – langfristig sogar meist einen noch höheren. Von daher sind die 25 Mio. Euro ein geeigneter Benchmark, die RB selbst bei Julian Nagelsmann aufgerufen und bekommen hat. Selbst wenn die Ausgangslage beim nicht mehr aktiv tätigen und gebrauchten Eberl etwas anders liegt, drücken die im Boulevard genannten Zahlen den Wert des vermutlich besten deutschen Sportdirektors der 2010er-Jahre nicht im Ansatz aus. Dies gilt ebenso wenig für die 2,5 Mio. Euro, die Hertha BSC im vorigen Jahr an Eintracht Frankfurt für Fredi Bobic überwiesen hat. Es sollte auch von Eberl selbst als Beleidigung aufgefasst werden, wenn dies die Wertschätzung ist, die ihm in Leipzig oder Fuschl am See entgegengebracht wird.

Keiner von uns weiß, was hinter den Kulissen gelaufen und vertraglich oder mündlich vereinbart wurde und welche arbeitsrechtlichen Konsequenzen sich daraus ergeben. Vorbehaltlich dessen sollte Borussia in dieser Angelegenheit aber so hart wie möglich bleiben und sich auf keinen faulen Kompromiss einlassen. Wenn Leipzig einen neuen Sportdirektor dieses Kalibers verpflichten möchte, sollen sie einen angemessenen Preis bezahlen und damit das Kapitel Max Eberl in Mönchengladbach für alle Zeit beenden, damit Borussia den zuletzt eingeschlagenen Borussen-Weg mit dem Duo Virkus/Farke weiter erfolgreich gehen kann.