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SEITENwechsel Wir reden diese Woche nicht, wir schreien. Es sind auch keine Sätze, die wir schreien, sondern Urlaute, die sich lange in uns aufgestaut haben. Wir nennen es hier - sowohl beim
VfLog als auch nachfolgend - "Jubeln" und ergehen uns in Diskursen über die Formen des Jubelns und seine oftmals unvorhersehbaren Folgen, doch eigentlich tritt die Form hinter den Inhalt zurück. Das Glücksgefühl freilich bleibt, und so schweben unsere Mundwinkel heute weit oberhalb von Platz 14. Forsetzung erwünscht!


Lieber Joachim,

heute Nachmittag startet mal wieder eine Rakete ins Weltall. Wenn Platz 15 luftige Höhen sind, in denen Du am Dienstag weiltest, dann grüße ich Dich von dort, wo die Rakete noch hinwill: Platz 14, ganz weit oben im Orbit!

Du hast ein gutes Thema gewählt, ein Thema, das am Dienstag aktuell war und es auch heute noch ist, wir könnten gar konkretisieren und uns unterhalten über den Jubel – in der 90. Minute. Du hast die Phänomenologie des Jubelns weitgehend umfassend abgehandelt, ich möchte daher nur eine Anekdote anfügen. Ich habe das Spiel gestern gesehen, allein, in einer fremden Wohnung, denn ich habe kein Premiere daheim. Ein Kollege mit Premiere, bei dem wir schon oft gemeinsam Spiele sahen hatte eine unaufschiebbare Verabredung und überreichte mir feierlich seine Wohnungsschlüsse: Ich durfte wie im Hotel auf dem großen Panasonic-Fernseher Gladbach schauen. Ein Pizzataxi wurd bestellt, ein Wein geöffnet und los ging’s. Sehr viele Szenen zum Jubeln gab es nicht, aber in der 90. explodierte ich förmlich, schrie mir die Seele aus dem Leib. Allein. In einem leeren Wohnzimmer. Von einem anderen Menschen. Dann klopfte es an die Wand. Die Nachbarn beschwerten sich, es war ja auch schon bald zehn Uhr. Seither sorge ich mich, dass ich meinem Kollegen die Maklerkosten zahlen muss, weil er nun vielleicht gekündigt wird. Wegen meinem lauten Jubel. Das wäre es wert!

Wie macht Gladbach das, und wieso mach Gladbach das? Dieser Jubel, zweimal innerhalb von drei Tagen von ganz weit unten kommend (in vielerlei Hinsicht), jeweils noch dann, wenn man schon kaum noch zu hoffen wagt. Mir scheint, Gladbach hat das Prinzip „Fallhöhe“ in dieser Saison wieder einmal umgedreht. Normalerweise hat man Erfolg, baut damit die Fallhöhe auf, und dann setzt die Tragödie ein. Gladbach ist einfach klüger, auch klüger als ich ewiger Pessimist es in dieser Saison je war. Gladbach baut Steighöhe auf. Spielt schlecht, spielt gut, aber erfolglos, bleibt jedenfalls unten. Deutet an, wie sich Siege anfühlen könnten, nur um sich dann wieder tief ins Erdloch Abstiegszone einzugraben und die ferne Sonne Klassenerhalt weit, weit entfernt wirken zu lassen. Und dann kommt der Jubel. Ein Jubel, der so viel schöner, so viel befreiender, so viel beglückender ist, als jeder Jubel an einem 32. Spieltag auf Platz 11 es je sein könnte. Wünschen würde ich mir dies wohl dennoch nicht und würde die Langeweile vorziehen. Aber glücklicher bin ich wohl so, denn Glück ist ohnehin immer nur temporär wie der Jubel, und dann sind Momente so tief und explosiv wie in jenen 90. Minuten kaum zu toppen. Sie sind so außerhalb der Welt, dass ich schon gar nicht mehr weiß, was ich genau gemacht habe. Irgendwann fand ich mich wieder, stehend, neben Couch und Couchtisch, heiser, und es klopfte gegen die Wand.

Und der Chef? Dem habe ich heute artig gedankt. Schließlich ist er Hoffenheimer, und somit Teil des großen Plans des Fußballgotts für den gestrigen Spieltag: „Gut gemacht!“, brüllte ich ihm also über den Gang zu, immer noch heiser. Daher schweige ich nun auch. Es ist besser so, zumal ich den Pessimisten in mir schon wieder gegen die Magenwand klopfen höre: „Denk an Leverkusen, noch ist nichts gewonnen!“ Schnauze da unten!

Von Wolke zu Wolke grüßt Dich jubelnd

Dein Martin