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Es war eines der Highlights im Sportjahr 2011 als bei der Auslosung zum DFB-Pokal-Viertelfinale die Spieler von Holstein Kiel ins Fernseh-Studio zugeschaltet wurden.

Diese hatten soeben sensationell den Bundesligisten aus Mainz besiegt und den deutschen Meister aus Dortmund zugelost bekommen. Der spontane Jubel der Viertligisten entlud sich in einem Sprechgesang, wie er seit Jahren regelmäßig in den Stadien Deutschlands ertönt. Den Fans und Verantwortlichen des BVB gefiel es allerdings weniger, dass ihren Müttern ein wenig imageträchtiges Berufsbild unterstellt wurde, was sich zunächst „nur“ in einer lächerlich-kindischen Bombardierung der Kieler Facebook-Seite durch diverse BVB-Fans entlud.

Doch damit nicht genug. Noch am darauffolgenden Tag fühlte sich der Kieler Präsident durch das Medienecho genötigt, sich öffentlich für die vermeintlichen Verfehlungen seiner „bösen“ Mannschaft zu entschuldigen. Doch damit nicht genug. Beim letzten Heimspiel des BVB wurde ein peinliches Entschuldigungs-Video der Holstein-Kicker auf der Videoleinwand des Signal-Iduna-Parks eingespielt, in dem einige der viertklassigen Spieler sogar genötigt wurden, einen BVB-Schal zu tragen. Doch damit nicht genug. Der Verein wurde trotz all dieser Versuche, das Schlimmste abzuwenden, vom DFB mit einer Geldstrafe von 12.000 Euro belegt – für einen Amateurverein eine durchaus stolze Summe, selbst wenn dies das Abbrennen von Pyro-Technik mit einschloss.


Nun lässt sich lange über Stil und Niveau im Fußball streiten. Solch derbe Schlachtgesänge sind aber seit jeher ein ganz wesentlicher Bestandteil der Stadionkultur. Es gehört zum Fußball dazu, dort auch mal Dinge sagen zu dürfen, für die man sich im „normalen“ Leben eher schämen würde und die nicht gerade als politisch korrekt gelten. Der Ruf nach den „BVB Hurensöhnen“ hat sich in der deutschen Fußballstadion-Landschaft mittlerweile so eingebürgert wie das Bayern-Schmählied von den auszuziehenden Lederhosen.


Es ist zweifelsohne amüsant, wenn einige relativ unbekannte Amateurspieler den „großen BVB“ auf diese Weise öffentlich „anpissen“. Wahre Größe hätten die Dortmunder aber gezeigt, wenn sie über diesen Dingen gestanden wären und dies schmunzelnd hingenommen hätten. Immerhin sind es dieselben Dortmunder, die in gleicher Weise den Kopf darüber schütteln, wie wenig souverän ein Dietmar Hopp mit paradoxerweise den gleichen Schmährufen umgeht.


Doch auch der DFB tritt hier völlig unnötig als Moralapostel auf und schießt damit weit über das Ziel hinaus. Vor einigen Jahren bekamen dies schon zwei einstige Borussen-Ikonen zu spüren, als nämlich Jeff Strasser und Kasey Keller dafür bestraft wurden, die größte rheinische Kirche mit Fäkalien in Verbindung zu bringen.


Während der DFB in solchen Fragen sehr darauf bedacht ist, sein äußerlich sauberes Image hoch zu halten, sieht man über andere Verfehlungen gerne einmal hinweg. So hat es bis heute keinerlei Sanktionen für die TSG Hoffenheim gegeben, nachdem diese in mehreren Spielen die Gästefans verbotenerweise mit einer Schallanlage penetriert hatten, um damit eben jene unliebsamen Schmähgesänge zu übertönen. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um da einen Zusammenhang zu den guten (finanziellen) Beziehungen des DFB zu Hoffenheim-Eigner Dietmar Hopp zu sehen.


Schon bei der Aufweichung der 50+1-Regel zum Wohle der DFB-nahen Konzerne Bayer und Volkswagen hat der Verband einiges an Glaubwürdigkeit eingebüßt. So steigt mehr und mehr die Diskrepanz zwischen der wahrzunehmenden Wertschätzung des „einfachen Stadionfans“ auf der einen und der finanzstarken Sponsoren auf der anderen Seite. Der DFB äußert zwar stets, wie wichtig ihm die soziale Komponente seines Wirkens sei. Mit seinen Aktionen und Entscheidungen spricht er aber eine deutlich andere Sprache und er sollte sich von der im Stadion bewusst primitiv gehaltenen Erscheinung der Fans nicht täuschen lassen. Die Fußballfans sind zumindest in der Masse intelligenter und mächtiger als man meinen möchte, was immer wieder in Bewegungen wie „Pro 15:30 Uhr“ oder „Kein Zwanni für nen Steher“ zum Ausdruck kommt.


Der große Erfolg des „Produkts“ Bundesliga liegt im Vergleich zu den anderen großen Ligen ganz besonders in seiner Stadionkultur, um die uns die ganze Welt beneidet. Dazu gehören u. a. Stehplätze zu erschwinglichen Preisen und dazu gehören eben auch primitive Schmährufe, wie sie im Übrigen ein jeder Verein über sich ergehen lassen muss. Den Spielern von Holstein Kiel sei daher unser Beileid ausgesprochen, dass sie für eine scheinheilige Doppelmoral eines wirklichkeitsfremden Verbandes büßen mussten, und zu dieser unwürdigen Farce genötigt wurden. Allein dafür sei ihnen ein Pokal-Halbfinale gegen die wahre Borussia gegönnt, bei dem ihnen dann jeder noch so unflätige Schmähgesang – ja vielleicht sogar ein eigentlich unverzeihlicher, weil absurder Vergleich mit dem FC – ausnahmsweise verziehen sei.