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Die Generation Z arbeitet angeblich nicht gerne 38,5 Stunden oder mehr die Woche, oder wenn, dann nicht an fünf Werktagen. Ohnehin tut sich viel in der Frage, wie wir gut und gerne arbeiten, und wie wir unsere zahlreichen Lebensaufgaben unter einen Hut bekommen, ohne sie an Ehegatten oder Hausangestellte outzusourcen. Homeoffice oder Teilzeit sind wohl die gängigsten Beispiele für das, was Fachleute als "New Work" bezeichnen. Was das mit Borussia zu tun hat? Offenbar eine Menge. Denn zur Generation Z gehört der überwiegende Teil des Kaders mehr oder weniger. Dass man Bundesligaspiele nicht im Homeoffice bestreiten kann, es sei denn man wechselt zu Borussias E-Sport-Mannschaft, erklärt sich von alleine, bleibt also Teilzeit. Und genau das ist es, was die Mannschaft in dieser Saison in schöner Regelmäßigkeit anbietet. In fast keinem Spiel geht das Team über 90 Minuten zur Sache. In fast jedem gibt es eine Phase, wo die Mannschaft "das, was wir uns vorgenommen haben" auch wirklich auf den Platz bringt, aber diese Phase liegt in der Regel irgendwo inmitten der 90 Minuten, gelegentlich auch an ihrem Ende, erstaunlich oft hat es in dieser Saison so geklappt, sich zumindest einen Punkt zu sichern, zweimal sogar drei. Ob das Prinzip Teilzeitarbeit allerdings ausreicht, um an den noch ausstehenden 24 Spieltagen in der Bundesliga zu bestehen? Wir möchten es lieber nicht ausprobiert sehen.

In Freiburg reichte Borussia unter dem Strich eine gute Phase von 25 Minuten, um einen Punkt zu ergattern. Dass es am Ende fast drei geworden wären, macht die Sache ärgerlich. Das 3:3 durch den Kann-Elfmeter, den Vincenzo Grifo so scharf aufs Tor brachte, dass selbst die gute Reaktion des ohnehin bemerkenswert selbstverständlich spielenden Moritz Nicolas nicht das Einschlagen im rechten Eck verhindern konnte, machte aus dem objektiven Punktgewinn eine gefühlte Niederlage. Aber halten wir fest: Borussia hat in Freiburg insgesamt zu wenig gemacht und das nicht zum ersten Mal. Augsburg, Darmstadt, Mainz, Heidenheim - alles Bundesligaspiele, in denen Borussia nur maximal 60 Minuten richtig im Spiel war. Dazu kommen die Spiele gegen Leverkusen und in Köln, in denen der eigene Arbeitsanteil so gering war, dass man verdientermaßen gar nichts mitnahm. Durchweg engagiert sah man das Team lediglich bei der Heimniederlage gegen Leipzig und beim Sieg in Bochum.

Was nun führt dazu, dass Borussia im Moment nicht in der Lage zu sein scheint, die offenbar deutlich gegebene Marschroute des Trainers von Beginn eines Spiels an umzusetzen? Warum braucht sie so lange, um in ein Spiel hineinzufinden - auch in Freiburg gehörte die Anfangsphase deutlich dem Gegner - und lässt sich, wenn sie auf einem guten Weg ist, so leicht wieder aus dem Spiel herausbringen? "Vercoacht" urteilten einige nach den Wechseln gegen Heidenheim und in Freiburg, mit denen Gerardo Seoane offenbar die Defensive stärken wollte. Aber muss das Stärken der Defensive automatisch das Einstellen aller Offensivbemühungen bedeuten? Das wird nicht das sein, was der Trainer mit seiner Wechselpraxis im Sinn hat. Es scheint am Ende doch wieder Kopfsache zu sein, trotz des Umbruchs fehlt der Mannschaft  - wenn wir schon "New Work" sagen, bemühen wir einen weiteren Modebegriff - die Resilienz. Die sprichwörtliche Schwiegersohnhaftigkeit ist dem Team trotz guter Ansätze - Rocco Reitz sei exemplarisch genannt - immer noch nicht ausgetrieben. Wenn dann zudem die eingewechselten Offensivkräfte etwas (Hack) oder komplett (Cvancara) orientierungslos über das Spielfeld irren, nachdem der sich zunehmend als Königstransfer erweisende Jordan nicht weitermachen kann, passiert nach vorne tatsächlich nichts mehr. Dass Borussia beim Verteidigen durchaus Leidenschaft an den Tag legt, sowohl gegen Heidenheim als auch in Freiburg, ändert nichts daran, dass man ohne jede Entlastung und ohne beim Kontern gefährlich zu sein, am Ende halt hier und da noch einen reinkriegt.

Die vornehmste Aufgabe von Gerardo Seoane in den nächsten Wochen wird sein, seiner Mannschaft das Teilzeit-Verhalten auszutreiben. Denn natürlich kann man im Fußball nicht bestehen, wenn man sich nicht 90 Minuten konzentriert (oder in Neusprech "fokussiert") seinen Aufgaben widmet. "Woran liegt's" wurde nach den genannten Spielen verschiedentlich gefragt. Eine zufriedenstellende Antwort haben selbst wortgewandte Spieler wie Julian Weigl oder fußballerisch begabte Pressesprecher wie Christoph Kramer noch nicht geben können, vermutlich, weil sie's einfach nicht wissen. "Wir müssen das endlich mal 90 Minuten auf den Platz bringen" hört man sie sagen und nickt zustimmend mit dem Kopf. "Wir müssen endlich" stand unlängst auch auf der Titelseite des SPIEGEL, ein Zitat des Bundeskanzlers. Es ist die Rhetorik der Ratlosen. Und wir wissen es auch nicht besser und kratzen uns an Kopf und Kinn. Wir wissen nur: Wenn Borussia weiter auf Teilzeit setzt, dann sind die Heimarbeiter aus der E-Sport-Abteilung womöglich wirklich irgendwann die erfolgreichere Mannschaft.