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Die SED-Funktionärin verschränkte nervös ihre Hände und blickte den feixenden Pastor irritiert an. Das Jahr war 1987. Über eine von der Kirche organisierte Jugendbegegnung war ich in die DDR gefahren, zum ersten Mal. Nach Halle, genauer: nach Halle-Neustadt. Eine trostlose Ödnis, endlose Reihen zehnstöckiger Plattenbauten, in den 60ern aus dem Boden gestampft, um die werktätigen Massen der Buna- („Plaste und Elaste“) und Leuna-Werke zu beherbergen. Die meisten Straßen hier hatten keine Namen, sondern Nummern. Angeblich hatte „HaNeu“ die höchste Suizidrate der gesamten DDR, aber so genau wusste man das nicht. Vorstellen konnte man es sich auf jeden Fall.


Surreal das Treffen mit einer örtlichen SED-Größe. Die Frau gab sich Mühe, Einheimischen wie Klassenfeinden die Vorzüge der „Sozialistischen Stadt der Chemiearbeiter“ anzupreisen. Schließlich sei HaNeu, statistisch gesehen, die grünste Stadt der DDR. Wir hatten bislang überwiegend grau gesehen. Später mutmaßten die DDR-Jugendlichen, die Frau müsse die riesige Müllkippe nahe der Stadt als Grünfläche gerechnet haben. Jetzt aber ergriff der Pastor das Wort, ein kritischer Geist, der später eine der lokalen Mitgestalter der Wende werden sollte. „Aber jetzt mal ehrlich, Genossin,“ unterbrach er, in für uns Westler erstaunlicher Kühnheit, „eigentlich ist die Stadt doch furchtbar hässlich, oder?“ Der Funktionärin verschlug es einen Moment die Sprache, dann fing sie sich: „Na ja. Das ist ja wohl auch eine Geschmacksfrage“. Der Pastor gluckste. „Klar. Manchen gefällt eben Beton“.

An diese Szene musste ich denken, als zu Wochenbeginn Thiemo Müller im kicker die Kritik am Catenaccio des FC Schalke 04 als „absurd“ zurückwies. Wichtig sei einzig und allein das nackte Ergebnis, wie es zustande kam, unerheblich. Welche Spielweise man „als attraktiver“ erachte, bleibe ohnehin „eine Frage des persönlichen Geschmacks“. Klar, Herr Müller. Manchen gefällt eben Beton.

Manchen gefällt auch der 1. FC Köln. Neben Schalke ist der FC das zweite Halle-Neustadt der Liga. Zuhause waren die Dom-Betonisten so allerdings nur leidlich erfolgreich und taten sich insbesondere als Sammler torloser Unentschieden hervor. Anders auswärts, wo die Mannschaft von Peter Stöger auf unglaubliche fünf Siege kam und damit Rang zwei in der Auswärtstabelle belegt. 15 ihrer 19 Saisontore erzielten die Kölner vor fremdem Publikum.

Das klingt nach Feuerwerk. Das gab es auch in Hoffenheim, beim fulminanten 4:3, als die Stöger-Elf ungeahnten Offensivmut bewies. Ansonsten war auch in der Fremde die Verhinderung Kölner Hauptsorge. Aber: Die jeweiligen Heimmannschaften wagten ihrerseits mehr und die Stöger-Elf wusste die so gebotenen Räume zu blitzschnellem Umschaltspiel zu nutzen. So siegte man in Stuttgart, in Schalke (dort freilich mit freundlicher Mithilfe von Höwedes), in Hamburg und in Bremen, jeweils ohne oder mit nur einem Gegentor.

Dass die Beton-Konter-Taktik auch gehörig schief gehen, zeigte sich in Leverkusen. Dort ähnelte die Partie eine Stunde lang dem Gladbacher Spiel in Schalke letzte Woche. Köln ging früh in Führung, igelte sich fortan hinten ein und raubte ideenlosen Leverkusenern lange erfolgreich den Nerv. Dank eines schweren Patzers des Kölner Keepers Timo Horn kam Bayer zwar zum Ausgleich, ansonsten aber nur zu viel fruchtlosem Ballbesitz. Als aber Calhanoglu per direktem Freistoß doch die Führung gelang, mussten die Kölner sich aus ihrer Festung trauen und wurden prompt mit drei weiteren Gegentreffern bestraft.

Die Borussia dürfte am Samstag also ein Geduldsspiel erwarten, sofern kein früher Betonöffner gelingt. Viel Geduld wird auch das Publikum aufbringen müssen. Den Stöger-Mannen ins offene Kontermesser zu laufen, wäre der größte Gefallen, den die Borussen dem rheinischen Rivalen tun könnten. Nach den Eindrücken des Schalke-Spiels scheint auf dem Flügel das Duo Traoré-Herrmann am wahrscheinlichsten, während der wieder genesene André Hahn wohl nur als Einwechseloption in Frage kommt. In der Abwehr steht hinter Martin Stranzls Einsatz noch ein Fragezeichen.

Bei den Kölnern spricht viel für die Rückkehr Marcel Risses in die Startelf. Der pfeilschnelle Konterspezialist sorgte nach seiner Einwechslung beim tor – und trostlosen Remis gegen Paderborn noch am ehesten für Belebung und erzielte im letzen Auswärtsspiel beim HSV beide Treffer. Antony Ujah, in der Hinrunde noch sechsmal erfolgreich, blieb nach der Winterpause noch ohne Treffer, wurde nach schwachen Leistungen in den letzten beiden Spielen jeweils ausgewechselt und gilt inzwischen nicht mehr als unantastbar.

Eine Alternative wäre Yuya Osako. Der japanische WM-Teilnehmer, auf den Stöger große Stücke hält, konnte auch aufgrund fehlender Saisonvorbereitung an die starken Anfangsleistungen lange nicht anknüpfen. Im Winter sollte Osako seinen körperlichen Rückstand aufarbeiten und zeigte sich nach seiner Einwechslung gegen Paderborn deutlich verbessert. Es wäre keine Überraschung, wenn er am Samstag Ujah aus der Startelf verdrängen sollte. Der brasilianische Winterneuzugang Deyverson käme als Einwechselspieler in Frage.

Aufstellungen:

Borussia Mönchengladbach: Sommer – Korb, Jantschke, Stranzl, Dominguez – Kramer, Xhaka – Traoré, Herrmann – Raffael, Hrgota.
1. FC Köln: Horn – Olkowski, Maroh, Wimmer, Hector – Lehmann – Risse, Vogt, Gerhard, Halfar – Osako.

Schiedsrichter: Deniz Aytekin.
Assistenten: Markus Häcker, Marco Achmüller.
Vierter Offizieller: Knut Kircher.

SEITENWAHL-Meinung:

Christoph Clausen: Bei Spielen gegen Köln tippt man gefälligst auf Sieg. Borussia geht früh in Führung und legt am Ende einmal nach. Unter dem Strich 2:0. Das wäre doch nett.

Michael Heinen: Die zweitbeste Auswärtsmannschaft kommt genau mit der Taktik in den Borussia-Park, die der Fohlenelf am wenigsten behagt. Eigentlich keine guten Voraussetzungen, um endlich mal wieder ein gutes Borussen-Spiel über 90 Minuten zu sehen. Zum Glück ist es aber das Derby, bei dem ganz eigene Gesetze gelten. Und diese besagen, dass es am Ende (mindestens) einen 1:0-Heimsieg geben wird.

Christian Spoo: Nichts spricht dafür, dass viele Tore fallen. Im Grunde spricht sogar einiges dafür, dass gar keine fallen. Weil aber nicht sein kann, was nicht sein darf, tippe ich einen 1:0-Sieg für Borussia.

Thomas Häcki: Wie? Alle tippen auf Sieg? Ich ahne fürchterliches. Normal müsste ich ja nun relativieren, aber gegen die hässliche Schwester von Düsseldorf...? Niemals!!! Also halte ich es mal wie Herr Stöger: Mit einem 1:0 könnte ich leben.Mit einem 7:0 aber auch.