Borussia hat ein Abwehrproblem. Das weiß mittlerweile jeder auch nur latent an Fußball interessierte Mensch in Deutschland. Denn nach der verdienten 1:3-Niederlage gegen Borussia Dortmund widmete sich nahezu jede Publikation, die sich mit der Bundesliga beschäftigt, dem Ungleichgewicht im Borussen-Spiel. Die taktischen Defizite wurde hoch und runter analysiert und von rechts auf links gedreht und Trainer André Schubert und Spordirektor Max Eberl trugen mit wenig glücklichen Äußerungen noch dazu bei, dass der Eindruck entsteht, bei Borussia Mönchengladbach sei bis auf Weiteres Tag der offenen Tür. Der FSV Mainz 05 ist die Mannschaft, der am Freitag Abend die Ehre zuteil wird, die Gegentrefferstatistik der Borussia weiter in schwindelerregende Höhen zu treiben. Oder vielleicht doch nicht?

Nein, um in Panik zu verfallen, dazu ist dann doch noch nicht genug passiert. Tatsächlich hat Borussia immer noch beste Chancen, sich für das internationale Geschäft zu qualifizieren, und die Erinnerung an die gloriose Siegesserie nach dem Amtsantritt von André Schubert sollte noch frisch genug sein, um nicht den drohenden Absturz ins Niemandsland der Tabelle als unausweichlich betrachten zu müssen. Trotzdem: die landauf, landab diagnostizierten Defizite sind keine Erfindung sensationslüsterner Boulevard-Schreiber sondern ärgerliche Tatsache. Das erkannt zu haben, hat André Schubert vor dem Mainz-Spiel nun zum wiederholten Mal zu Protokoll gegeben. Das auch ändern zu können, diesen Beweis ist der Trainer bisher schuldig geblieben, hier muss jetzt etwas kommen. Die Flucht nach vorn ist kein gangbarer Weg. Allein mit Sturm, Drang, Pressing und hohem Verteidigen wird Mainz nicht beizukommen sein.

Die Vorzeichen allerdings könnten aktuell besser sein. Nach dem rotgesperrten Granit Xhaka fällt nun auch der zweite Part der etatmäßigen Doppelsechs aus. Mo Dahoud hat sich geschnitten, und wer geglaubt hat, das sei eine Bagatellverletzung, der hat das auch. Nun steht Schubert vor der undankbaren Aufgabe, auf einer der Schlüsselpositionen für die vielvermisste defensive Stabilität improvisieren zu müssen. Wie er das Problem lösen wird, darüber hüllt der Trainer sich richtigerweise in Schweigen – und auch wir können nur spekulieren. Wird Dahoud 1:1 durch Marvin Schulz ersetzt? Rückt Oscar Wendt auf die Sechserposition? Muss Lars Stindl dort ran oder gar Andreas Christensen? Oder schmeißt Schubert das System um und probiert etwas ganz Neues? Es gibt mannigfaltige Möglichkeiten, keine davon drängt sich auf, klar ist nur, dass Havard Nordtveit mitspielen darf.

Auch die Besetzung der Abwehr ist Gegenstand so mancher Spekulation. Dass Schubert Nico Elvedi gegen Dortmund das Vertrauen schenkte, sorgte vor dem Spiel bei manchem Anhänger schon für Stirnrunzeln, nach dem Spiel dann für saftige Flüche. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass der junge Schweizer erneut von Anfang an ran darf. Der Trainer scheint an die Fähigkeiten des 19jährigen zu glauben und ihm einiges an Kredit zu schenken. Also vergessen wir Elvedi nicht. Martin Stranzl dürfte vorerst kein Kandidat für die Startelf sein, auch wenn Schubert seine Erklärungen nach dem Dortmund-Spiel explizit nicht als Abgesang auf die Karriere des etatmäßigen Kapitäns verstanden haben möchte. Wahrscheinlicher ist, dass der zweite Österreichermartin erstmals von Beginn an mitspielen darf – sei es als Innenverteidiger oder, für den Fall, dass Oscar Wendt ins Mittelfeld muss, links in einer Vierer- oder gar Dreierkette.

Abgesehen vom Personal sollte sich die Mannschaft im Ganzen darauf besinnen, dass Verteidigen eine Kollektivaufgabe ist, und dass die Defensive gegebenenfalls schon am gegnerischen Strafraum beginnt. So jedenfalls versteht SEITENWAHL Fußball.

Im Gegensatz zu Borussia, wo mit Jantschke, Dominguez, Xhaka und Dahoud, Herrmann und Hahn mehr als eine halbe Mannschaft von Stammspielern ausfällt, hat Mainz 05 so gut wie keine Personalprobleme. Allein Neuzugang Karim Onisiwo wird wohl nicht spielen können. Er ist zwar gesund, hat aber Stand Donnerstag noch keine Spielgenehmigung. Eventuell steht auch der zweite Winterneuzugang der Mainzer nicht zur Verfügung. Der aus Leverkusen gekommene Rechtsverteidiger Giulio Donati hat eine Schulterverletzung. Zuletzt ging sein Trainer Martin Schmidt aber davon aus, dass Donati spielen kann.

Der frühere Gladbacher Yunnus Malli wird definitiv auf dem Platz stehen. So mancher hatte leise gehofft, der in Mainz zum Leistungsträger gereifte Mittelfeldlenker würde noch vor der Partie gegen seinen Ex-Verein nach Dortmund transferiert. Mainz aber verdonnerte sowohl ihn als auch den wuseligen Stürmer Yoshinori Muto zum Bleiben bis zum Saisonende.

Ebenfalls definitiv mit dabei sind die Mainzer Karnevalstrikots (oder Fassenachtsdrickos, um dem Regiolekt der Rheinhessen Rechung zu tragen). An Scheußlichkeit sind diese sehr bunten Leibchen kaum zu überbieten, noch nicht einmal von schwarz-weiß-grünen Trikot mit einem knallgelben Balken, in dem sich rot und blau wiederfinden.

Mainz geht optimistisch in das Spiel – trotz der Niederlage von Ingolstadt am vergangenen Spieltag. „Jetzt aber“ sei die Stimmung in der Mannschaft, sagt Trainer Martin Schmidt. Borussia ist gut beraten, den derart gestimmten Gegenspielern so viel Raum anzubieten, wie zuletzt den Dortmundern.

Ein Wort noch zum Schiedsrichter: es ist erneut Benjamin Brand. Der Nachwuchs-Referee ist derjenige, der Granit Xhaka gegen Darmstadt zu Recht vom Feld stellte. Darüber hinaus lieferte er in jenem Spiel im Borussia-Park allerdings eine eher fragwürdige Leistung ab.

Mögliche Aufstellungen

Mainz: Karius – Donati, Balogun, Bell, Bengtsson – Baumgartlinger, Latza – De Blasis, Malli, Jairo – Muto

Borussia: Sommer – Korb, Christensen, Hinteregger, Wendt – Nordtveit, Schulz – Traoré, Johnson – Stindl, Raffael.

Seitenwahl-Prognose

Michael Heinen: Aktuell weiß niemand so recht, wo Borussia steht. Das wird sich auch nach dem 1:1 am Freitag nicht ernsthaft ändern.

Christian Spoo: Das Sechserproblem kommt zur Unzeit. Personelle und strukturelle Probleme sorgen dafür, dass auch das zweite Spiel der Rückrunde in die Hose geht. Mainz gewinnt mit 3:1.

Thomas Häcki: Da man im defensiven Mittelfeld offenbar nur wenig Handlungsbedarf sieht und die offensive Grundausrichtung beibehalten werden soll, droht uns am Freitag ein weiteres Spuktakel. Die Borussia öffnet schon früh ihre Tore und geht sang- und klanglos 0:3 unter. Das böse Wort der Krise macht die Runde. Klingt nicht gut, ist es auch nicht.