Objektiv betrachtet bot die Ausgangssituation vor dem Auswärtsspiel in Augsburg Anlass für Optimismus. Mental gestärkt durch den Derbysieg trat Borussia bei einem Gegner an, gegen den man in der Hinrunde nach reichlich 20 Minuten 4:0 geführt hatte, der in der Tabelle deutlich hinter uns steht und der sich in Liverpool nicht nur körperlich, sondern auch emotional absolut verausgabt haben dürfte. Trotzdem war im Umfeld – nicht zuletzt in den Tipps der Seitenwahl-Redaktion – die Skepsis mit Händen zu greifen. Nicht ganz unbegründet: Die bisherige Bilanz gegen den FC Augsburg war durchwachsen, in der Bundesliga gab es noch keinen Sieg in Augsburg und das Verhältnis zur Spielweise des Gegners lässt sich wohl mit „Liegt uns nicht besonders!“ beschreiben. Kluge Statistiker sollen zudem – so ein Hinweis aus der Pressekonferenz – ermittelt haben, dass gestern die Mannschaft mit den meisten Gegentoren aus Standards (Borussia) auf die Mannschaft mit den meisten erzielten Toren aus Standards (Augsburg) traf.

 Das Spiel begann mit langen Ballstafetten Borussias im Mittelfeld, zum Teil sogar in der eigenen Hälfte. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass zunächst ballsicher gespielt werden sollte, um Augsburg möglichst viel laufen zu lassen. Trotzdem kam Augsburg schon in der Anfangsphase zu zwei guten Chancen, die jeweils aus langen Bällen in die Spitze resultierten. Insgesamt stand Borussia bei eigenem Ballbesitz zunehmend extrem hoch, Wendt und Elvedi waren im Spielaufbau teilweise weit in der Augsburger Hälfte unterwegs. Eher selten bildete sich im Spielaufbau die zuletzt oft gesehene Dreierkette mit Xhaka, der sich die Bälle hinten abholt; stattdessen erfolgte der Spielaufbau meist über Nordtveit oder Christensen, die öfter wie einst Lucio mit dem Ball am Fuß weit ins Mittelfeld liefen. Wie riskant diese Spielweise sein kann, zeigte sich nach ca. 20 Minuten bei einem schnellen Konter der Augsburger, wie überhaupt immer dann Gefahr entstand, wenn der Gegner mit langen Bällen die durch das Aufrücken beider Gladbacher Außenverteidiger entstandenen Räume auf der rechten und linken Außenbahn nutzte. Die Offensive der Borussia wurde dagegen viel in Zweikämpfe verstrickt, wodurch Augsburg geschickt das Kurzpassspiel unterband. Kombinierte man sich doch einmal nach vorn, war oft Hazard auf der Außenbahn unterwegs und dadurch das Zentrum leer.

Die Führung in der 33. Minute war dann der eine Fall, in dem Borussia mit einer sauberen, geduldigen Kombination durchkam und dann konsequent nachsetzte. Bis zur Halbzeit war es ein ausgeglichenes Spiel, auch wenn die Halbzeitführung etwas glücklich war. Es trafen zwei grundverschiedene Spielanlagen aufeinander, der Versuch gepflegten, manchmal zu langsamen Kurzpassspiels hoch stehender Gladbacher gegen konsequentes Stören und Räume verengen im Mittelfeld und anschließendes schnelles Überbrücken des Spielfeldes mit eher langen Bällen bei Augsburg. Dabei war Augsburg zwar vielleicht optisch überlegen, effektiver und ausgereifter wirkte jedoch zu diesem Zeitpunkt ungeachtet der defensiven Unsicherheiten Borussia. Nach der Halbzeit überschlugen sich dann aber die Ereignisse: Borussia kassierte den Ausgleich und geriet kurz darauf in Rückstand. Das Augsburger Führungstor war symptomatisch für die Unordnung, die derzeit beim Umschalten von Offensive auf Defensive herrscht: Ausgangspunkt war ein eigener Ballverlust vor dem Augsburger Strafraum. Anstelle eines geordneten Rückzuges versuchte man mit deutlich zu viel Optimismus, den Ball weit in der Augsburger Hälfte sofort wieder abzugrätschen. Die ins Leere gehende Grätsche führte zu Unterzahl im Mittelfeld. Augsburg konnte unbedrängt über das ganze Feld kombinieren. Elvedi stand dann hinten rechts allein gegen zwei Augsburger. Zwar war es unglücklich, dass nach dem auf zwei Flanken folgenden Schussversuch der abgeblockte Ball zu Caiuby trudelte. Zu fragen ist aber schon, warum vor dem eigenen Strafraum die Räume nicht besetzt werden, weshalb abgewehrte Bälle unmittelbar beim Gegner landen. Dass Caiuby beim Schuss nicht wenigstens gestört wurde, ist nur mit Tiefschlaf erklärbar. Glücklicherweise erfolgte kurz darauf der Ausgleich: Traore passte auf Elvedi an der Grundlinie, dessen Pass in den Rückraum fand Johnson – Schuss, Tor. Danach passierte nicht mehr viel, wobei man ungeachtet einer von Wendt vergebenen Chance und eines Torschusses von Xhaka eher das Gefühl hatte, dass Augsburg den Sieg mehr wollte und einem weiteren Treffer näher war als Borussia. Tatsächlich hatte Borussia in der Nachspielzeit noch einmal großes Glück: Nach einem schlimmen Fehlpass von Wendt baute Augsburg hinten herum neu auf, kam zu einer Flanke durch Esswein, Finnbogason schoss anschließend an den Pfosten.

Was bleibt also von diesem Spiel an Erkenntnis? Beim Blick auf die Abwehrleistung Borussias verfestigt sich der Eindruck, dass es momentan an einem funktionierenden Defensivkonzept fehlt. Das gilt insbesondere dann, wenn der Gegner nach Balleroberung schnell das Spielfeld überbrückt. In diesen Situationen kommt die Mannschaft aufgrund des weiten Aufrückens fast aller Defensivspieler nicht mehr geschlossen hinter den Ball, schon gar nicht unter Aufbau einer geordneten Defensivformation. Zu beobachten war auch, dass die Mittelfeld- und Angriffsspieler nicht mehr konsequent und schnell mit nach hinten kommen. Stattdessen versucht man sich an einer schnellen Rückeroberung des Balles, die aber oft – wie vor dem 1:2 – als Einzelaktion daherkommt. Geht diese Einzelaktion ins Leere, verschärft sich die Unordnung, weil der pressende Spieler in der Formation fehlt und der Gegner dadurch Raum hat. Dadurch werden auch die Räume vor der Abwehr nicht mehr konsequent besetzt und auf den Außenpositionen nicht mehr konsequent gedoppelt. Auch das in den vergangenen Jahren zu beobachtende strukturierte Verschieben zweier Vierketten in der Defensive kann nicht mehr stattfinden, weil die Mannschaft aufgrund des kollektiven Aufrückens gar nicht mehr in diese Formation findet. Hier kommt viel Arbeit auf das Trainerteam und die Mannschaft zu. Vielleicht wäre schon ein bisschen Stabilität gewonnen, wenn sich die Außenverteidiger beim Aufrücken schlicht abwechseln und gegenseitig absichern würden – so könnte der in der jeweiligen Spielsituation defensiver orientierte Außenverteidiger zusammen mit den die Position haltenden Innenverteidigern eine Dreierkette bilden.

Offensiv funktioniert es besser, wobei zu oft nach Balleroberung - in dem Bestreben das Spiel schnell zu machen - der Ball leichtfertig verschenkt wird. Hier wirkt das Spiel eher hektisch als durchdacht. Zudem ist auch das Offensivspiel auf die richtige Besetzung der Positionen angewiesen. Gerade bei Spielern wie Raffael, Hazard, Traoré oder Herrmann, die nicht gerade die Zweikampfstärksten ihrer Zunft sind, kann die vorhandene technische und spielerische Qualität nur dann zum Tragen kommen, wenn der Gegner im wahrsten Sinne des Wortes ausgespielt wird. Insofern ist es kein Zufall, dass beide Tore für Borussia aus genau solchen Situationen entstanden. Insgesamt entsteht nicht der Eindruck, dass das hohe Aufrücken der gesamten Mannschaft automatisch zu signifikant mehr Chancen führt. Deshalb stellt sich die Frage, ob der durch die radikale Umstellung der Spielanlage zu beobachtende Verlust defensiver Struktur nicht ein zu hoher Preis ist, der durch mehr Offensivpower nicht nachhaltig kompensiert werden kann.