Auswärtsspiele bei einem Tabellenführer haben für Borussia in dieser Saison eine gute Tradition. Am 4. Spieltag konnte dem bis dato als unbesiegbar geltenden FC Bayern ein 1:1 abgetrotzt werden. Zwei Wochen später erkämpfte sich die Fohlenelf beim neuen Spitzenreiter aus Freiburg ein verdientes 0:0. In zwei Wochen wartet mit Union Berlin bereits der nächste Tabellenführer auf die Elf von Daniel Farke. Zunächst ist aber die undankbare Pokalaufgabe beim Ersten der Zweiten Liga zu lösen.

Mit dem SV Darmstadt 98 wartet ein Gegner, der einigen Borussen-Fans noch in schmerzhafter Pokalerinnerung sein wird. Beim bislang einzigen Aufeinandertreffen im DFB-Pokal musste sich die Elf von Lucien Favre am 4. August 2013 dem damaligen Drittligisten mit 4:5 nach Elfmeterschießen geschlagen geben. Die mit Stars wie ter Stegen, Stranzl, Xhaka, Kruse und Kramer gespickte Fohlenelf kam 120 Minuten lang nicht über ein 0:0 hinaus. Im Elfmeterschießen verschoss zunächst Luuk de Jong, ehe Branimir Hrgota den entscheidenden Schuss in bester Panenka-Manier an die Latte des Darmstädter Tores chippte.

Dieser Sieg beflügelte die Hessen so sehr, dass sie in den folgenden beiden Jahren in die 1. Bundesliga durchmarschierten, aus der sie 2017 im zweiten Jahr wieder abstiegen. Seitdem haben sie sich im Mittelfeld der 2. Bundesliga etabliert, wo ihnen voriges Jahr fast der Aufstieg geglückt wäre. Erst am letzten Spieltag zerschlugen sich die Hoffnungen der Darmstädter, die mit weit geringeren Finanzmitteln lange Zeit gegen die Konkurrenz aus Bremen, Hamburg und Gelsenkirchen stark mithalten konnten. Nachdem zwei der drei Topteams die Liga verlassen haben und die Absteiger Fürth und Bielefeld einem möglichen Wiederaufstieg eher unverdächtig gegenüberstehen, gehört 98 nunmehr zu den Top-Favoriten in Liga 2. Eine Favoritenrolle, der sie im bisherigen Saisonverlauf mehr als nur gerecht werden.

Das 2:1 beim Karlsruher SC war zuletzt der vierte Sieg in Serie. Die einzige Saisonniederlage resultiert vom 1. Spieltag (0:2 in Regensburg). Siege gab es u. a. auswärts bei den derzeit größten Konkurrenten aus Hamburg und Paderborn. Verantwortlich für den Erfolg zeichnet sich Trainer Torsten Lieberknecht, der nach einer wenig glorreichen Zeit in Duisburg 2021 nach Darmstadt wechselte und dort an frühere Erfolge aus Braunschweig anzuknüpfen scheint. Lieberknecht lässt seine Mannschaft einen offensiven Fußball spielen, was zumindest in Liga 2 sehr gut funktioniert. Im Vorjahr erzielte die Mannschaft 71 Treffer und war damit die zweitstärkste Offensive der Liga. In den ersten 13 Pflichtspielen dieser Saison trafen die Hessen schon 25 Mal ins gegnerische Tor.

Toptorjäger mit 7 Saisontreffern ist Phillip Tietz. 3x traf der der 25jährige mit dem Kopf, was auf die Stärke der Hessen bei Standardsituationen zurückzuführen ist. Tietz ist darüber hinaus kampfstark, verfügt aber auch über eine ordentliche Technik. Im Vorjahr bildete er mit Luca Pfeiffer ein kongeniales Sturmduo, das sich für 32 Treffer verantwortlich zeigte, aber vor dieser Saison gesprengt wurde. Pfeiffer war nur ausgeliehen und bekam zur neuen Saison ein besseres Angebot aus Stuttgart.

Als Ersatz wurde ein 18jähriges Talent vom IFK Göteborg verpflichtet. Immerhin 1,2 Millionen Euro ließ sich der Verein jenen Oscar Vilehmsson kosten, was für Darmstädter Verhältnisse fast schon unverschämt viel Geld ist. Der Schwede könnte ein Kandidat für die Startelf sein, da Lieberknecht angekündigt hat, auf einigen Positionen rotieren zu wollen. Bislang kommt er erst auf fünf Kurzeinsätze, wobei er sich für das Siegtor in Braunschweig verantwortlich zeigte. Bis vorige Woche war Vilehmsson wegen einer Kapselverletzung außer Gefecht gesetzt, sodass es vermutlich nicht zu einem Einsatz über 90 Minuten reichen wird. Gut möglich, dass er startet und in der zweiten Halbzeit vom etatmäßigen Stammstürmer Braydon Manu ersetzt wird, der bislang eine sehr starke Saison spielt (4 Tore, 3 Vorlagen). Manu gilt als sehr schnell und dribbelstark. Er kommt vornehmlich über die linke Seite und könnte hier Joe Scally herausfordern.

Die 98er verfügen aber noch über einige weitere torgefährliche Akteure, auf die zu achten sein wird. Die Standards von Tobias Kempe sind ganz besonders zu beachten. Der 33jährige Sohn der Bochum-Legende Thomas Kempe konnte in dieser Saison bereits 4 Tore selbst erzielen und 7 vorbereiten. Er ist seit 2017 die ebenso erfahrene wie zuverlässige Konstante im Spiel der Darmstädter und kommt bei 225 Pflichtspielen auf beeindruckende 107 Torbeteiligungen (53 Tore, 54 Vorlagen).

Da der ebenso erfahrene Klaus Gjasula verletzt ausfällt, könnte an Kempes Seite Frank Ronstadt zurück ins Team rotieren, weil er beim KSC von Yassin Ben Balla nur unzureichend vertreten wurde. Im offensiveren Mittelfeld ist der technisch und dribbelstarke Marvin Mehlem i. d. R. erste Wahl.

Eine Schwachstelle war in der Vergangenheit Torwart Marcel Schuhen Der 29jährige konnte sich seit der vorigen Saison aber steigern und gehört mittlerweile zu den besseren Torhütern der 2. Liga. Dies ist der Arbeit des Ex-Borussen Dimo Wache zu verdanken, der ihm als Torwarttrainer Schwächen im Fußballerischen und in der Strafraumbeherrschung abtrainiert hat, die er sich in der Jugend des 1. FC Köln angeeignet hatte. Evtl. nicht ganz unwichtige Statistik: In seinen 157 Zweitligaspielen konnte Schuhen bislang 8 seiner 27 Elfmeter parieren.

Seine Strafraumbeherrschung ist inzwischen auch deshalb kein so großes Thema mehr, weil die Darmstädter in der Innenverteidigung enorm kopfballstark sind und im Grunde alles abräumen, was hoch in den Strafraum gelangt. Patric Pfeiffer ist mit seinen 196cm vorne wie hinten ein Standardexperte. Drei Saisontore stehen für ihn bereits zu Buche. An seiner Seite läuft normalerweise ein Mann aus Borussias Jugend auf. Christoph Zimmermann wechselte 2014 zum BVB, wo er später mit Daniel Farke Bekanntschaft machte. Dieser war von seinen Auftritten in der zweiten Mannschaft so überzeugt, dass er ihn 2017 mit nach Norwich nahm. Dort avancierte Zimmermann zum Publikumsliebling und war zeitweilig sogar Kapitän. Da er immer wieder durch Verletzungen zurückgeworfen wurde, kommt er auf nur 20 Spiele in der Premier League. Unter dem neuen Trainer verlor er zuletzt endgültig seinen Stammplatz, weshalb er vor dieser Saison nach Darmstadt wechselte. Der 29jährige ist mit seinen 194cm ebenfalls kopfballstark und gilt zudem als Führungsspieler. Nicht viel weniger Erfahrung hat auf der linken Seite der Ex-Herthaner Fabian Holland.

Insgesamt verfügt Darmstadt über eine Mannschaft auf Erstliganiveau, die für Borussia eine ernstzunehmende Hürde darstellt. Einiges wird davon abhängen, wie stark Lieberknecht rotieren lässt, denn auf der Bank ist der Zweitligist – aufgrund diverser Ausfälle – nicht mehr ganz so stark besetzt. Gleiches gilt zwar auch für Borussia, bei der Daniel Farke aber angekündigt hat, nicht allzu viel wechseln zu wollen. Da Christoph Kramer weiter ausfällt, wird es voraussichtlich auf dieselbe Startelf wie in Wolfsburg hinauslaufen, wo sich Borussia bei einem starken Gegner ein etwas schmeichelhaftes 2:2 erkämpfte. Wer glaubt, die Partie in Darmstadt würde einfacher, der könnte ein böses Erwachen erleben. Sofern es der Fohlenelf allerdings gelingt, über 90 oder 120 Minuten die erforderlichen 100 % abzurufen, so sollten sie trotz allem Respekt vor dem Gegner als Favorit in die Begegnung gehen und eine gute Chance auf das Achtelfinale haben.

Mögliche Aufstellungen

Darmstadt: Schuhen – Müller, Zimmermann Pfeiffer – Bader, Kempe, Mehlem, Ronstadt, Holland – Villehmsson, Tietz

Borussia: Sommer – Scally, Friedrich, Elvedi, Bensebaini – Weigl, Kone – Hofmann, Stindl, Plea – Thuram

Seitenwahl-Tipps

Michael Heinen: „Darmstadt klingt wie ein perfekter Stolperstein und Stimmungskiller. Da Borussia aber im Jahr 1 nach Eberl endlich einmal etwas Blechernes gewinnen wird, ist ein Weiterkommen Pflicht. Borussia siegt mühsam mit 3:2 nach Verlängerung.“

Michael Oehm: „Es wird das erwartet schwere Spiel, aber die Borussia setzt sich am Ende verdient und einigermaßen souverän mit zwei späten Toren durch.“

Uwe Pirl: „Darmstadt ist schwer. Darmstadt ist eklig zu spielen. Am Ende setzt sich aber Qualität durch. 2:1 für Gladbach.“

Christian Spoo: „Aus unerklärlichen Gründen geht Borussia das Spiel zu lax an und scheint überrascht von der Stärke des Zweitliga-Spitzenreiters. Der kämpft sich mit 2:1 in die nächste Runde. Borussia fährt fortan eingleisig.“

Thomas Häcki: „Wer auf einen leichten Sieg hofft, wird enttäuscht. Die Borussia tut sich schwer und muss in Elfmeterschießen, wo sich der Zweitligist letztlich durchsetzt und der guten Stimmung in Gladbach einen herben Dämpfer versetzt. 4:5“

Claus-Dieter Mayer: „Mit einem souveränen 5:1 im Elfmeterschießen fegt die Borussia den Möchtegern-Aufsteiger vom Platz!“