Darmstadt neu

Nun wird es ernst! Das Auftaktprogramm war zweifellos sehr anspruchsvoll, aber so manches in den gezeigten Leistungen gibt Anlass zu berechtigter Hoffnung. Tabellenstand und Punktekonto hingegen sehen zurzeit nicht so gut aus. Die Partie am frühen Sonntagabend gegen einen ebenfalls nicht gut gestarteten Gegner, der auch noch so manche Probleme hatte, wird somit zu einem Schlüsselspiel, ja fast schon zu einem Pflichtsieg, denn, wenn man gegen die nicht gewinnt, gegen wen dann?

Nach dieser Zusammenfassung der Stimmungslage beim SV Darmstadt 98, wenden wir uns jetzt der Borussia zu … Ok, ok, das war ein billiger Gag, der aber durchaus ernsten Hintergrund hat, denn so gut es ist, dass nach 3 Spielen mit nur einem Punkt längst noch nicht Panikstimmung in Gladbach herrscht, sondern man weiterhin einiger optimistisch in die Zukunft blickt, so wenig Anlass gibt es, Darmstadt und deren Situation zu unterschätzen. „Letztes Jahr haben wir die Großen besiegt und gegen die Kleinen verloren, wenn es dieses Jahr umgekehrt ist, ist doch alles gut“ scheint so das Motto vieler Gladbach-Fans zu sein, die dabei übersehen, dass der VFL bislang nur das „gegen die Großen verlieren“ gegen Leverkusen und Bayern unter Beweis gestellt hat, aber es bislang wenig Evidenz gibt, dass man gegen Gegner aus den unteren Liga-Gefilden besser als zuvor abschneiden wird. Zwar mag ein Unentschieden beim Angstgegner aus Augsburg manch einem wie ein Sieg erscheinen, aber die Art und Weise wie man dort eine 2-Tore-Führung verspielte, lässt vermuten, dass auch diese Spiele nicht unbedingt Selbstläufer in diesem Jahr sein werden.

Die Südhessen sehen auf dem Papier zunächst mal wie der perfekte Aufbaugegner aus: nach 3 Spieltagen ist man punktlos Tabellenletzter, hat in den letzten beiden Spieler 9 Gegentreffer hinnehmen müssen und ist als Aufsteiger mit dem zweitkleinstem Kaderwert (nach Mitaufsteiger Heidenheim) sowieso in fast jedem Spiel Außenseiter. Es ist auch gut möglich, dass die Darmstädter  letztendlich sang- und klanglos absteigen werden, aber noch ist es viel zu früh den Abgesang auf das Team von Thorsten Lieberknecht anzustimmen. Denn wie eingangs erwähnt, gab es auch bei den drei Auftaktniederlagen einiges Positives zu beobachten: Beim Auftaktspiel schaffte man es über weite Strecken gut Eintracht Frankfurt auf das eigene Niveau herunterzuziehen, gegen Union Berlin hätte man aufgrund des Spielverlaufes (11 gegen 10), Chancenverhältnis oder xGoals eigentlich gewinnen müssen, wurde aber von der Mega-Effizienz der Köpenicker bestraft und selbst in Leverkusen hielt man eine Halbzeit sehr gut mit (erheblich besser als die Borussia in der Vorwoche) und brach dann erst in den zweiten 45 Minuten ein. Das alles macht die Lilien natürlich zu keiner Übermannschaft, aber zumindest in dieser Saisonphase sollte man sie auch noch nicht als den Prügelknaben ansehen, den man einfach mal so weghaut. Die Stärken des SV 98 liegen – auch wenn die letzten beiden Spiele das nicht unterstreichen – in der Defensive. Die Zweitliga-Saison beschloss man mit der besten Abwehr der Liga (33 Gegentore), aber nur als 8. bester Sturm (mit 50 erzielten Treffern, so viel wie Absteiger Bielefeld auch erzielte).

Aus Gladbacher Sicht blickt man dem Spiel in Darmstadt sehr gespannt entgegen, denn nach einem leichten DFB-Pokal Spiel bei einem Fünfligisten, einem absurden Freak-Spiel am ersten Spieltag und zwei Heim-Abwehrschlachten gegen die derzeit wohl besten Mannschaften der Liga, scheint die Begegnung am Sonntagabend das erste „normale“ Spiel dieser Saison zu werden. Insofern weiß man auch noch nicht so recht, wo man steht. Z.B. hat man bislang in den 3 Liga-Spielen kaum mal einen regulär durch kombinierten Spielzug der Borussia gesehen. Die Tore entstanden bislang aus Standards oder langen Bällen nach vorn. Experten nennen das wohl „extremes Vertikalspiel“, einem Banausen wie mir kam es zuweilen aber eher wie traditionelles „Kick and Rush“ vor. Man kann davon ausgehen, dass Gerardo Seoane längerfristig wohl plant, mit etwas mehr Raffinesse zu attackieren, aber wie das genau aussehen wird ist unklar. Teil dieser Offensive wird mit großer Sicherheit am Sonntag wieder Franck Honorat sein, der gegen Bayern aus taktischen Gründen zunächst auf der Bank saß. Auch wenn die Boulevard-Presse über die Woche schon mal einen Doppelsturm Cvancara-Jordan herbei faseln wollte, wird man offensiv vermutlich so beginnen wie in den ersten beiden Ligaspielen. Im defensiven Mittelfeld klopfen inzwischen mit Kramer und Koné langsam zwei Alternativen wieder vorsichtig an (beide nehmen wieder am Training teil), aber für diese Woche kann man da wohl erneut Weigl und Neuhaus erwarten. In der Abwehr gibt es nach dem verpatzten Transfer von Nico Elvedi nach England jetzt eine pikante Situation. Auf der Pressekonferenz sagte Seoane, dass Elvedi zwar jetzt wieder dem Kader angehöre „aber nicht gleich-bewertet wird wie ein Spieler der sich für das Projekt committed hat“. Sprich: wenn Elvedi ernsthaft spielen will, muss er seinen Vertrag verlängern! Im Moment sollten auch rein sportlich Wöber und Itakura die Nase vor dem Schweizer haben, aber es wird interessant zu sehen sein, was Borussia tut, sollte es in der Innenverteidigung Ausfälle geben. Vorerst geklärt scheint die Torwartposition zu sein: nach seiner starken Leistung gegen die Bayern sollte Moritz Nicolas zunächst mal die erste Wahl als Omlin-Ersatz sein.

Historisch gesehen ist Darmstadt kein besonders gutes Pflaster für die Fohlen: bei 6 Auftritten (4 in der Liga, 2 im Pokal) am Böllenfalltor, konnte man nur einmal gewinnen und das bei einem nicht mehr bedeutsamen Spiel am 34. Spieltag der Saison 2015/16. Das letzte Spiel in Darmstadt, hat man in Gladbach nicht in guter Erinnerung. In der zweiten Pokalrunde des Vorjahres kauften die Lilien den Borussen komplett den Schneid ab und gewannen völlig verdient mit 2:1. Neun Spieler der damaligen Startelf befinden sich immer noch im Kader der Darmstädter, so dass man sich eine gewisse Vorstellung davonmachen kann, was die Borussia am Sonntag erwartet: eine fußballerisch limitierte aber eingespielte und verschworene Mannschaft, die äußerst unangenehm zu bespielen ist. Nach den bisherigen Eindrücken sollte Borussias diesjährige Vertretung bessere Voraussetzungen gegen solch einen Gegner haben als Farkes lethargische Schlafmützentruppe vom Vorjahr, aber wie oben bereits gesagt, ist es schwer, das so richtig zu beurteilen. Dass ein Sieg am Sonntag gerade vor dem Spiel gegen Leipzig enorm wichtig für die gesamte Stimmungslage wäre, muss man kaum erwähnen. Das heißt, aber leider lange noch nicht, dass dieser Sieg auch eintreten wird.

Seitenwahltipps:

Claus-Dieter Mayer: Borussia kämpft, Borussia beißt und zeigt die Leidenschaft, die wir alle so lange vermisst haben. Dass es trotzdem nur zu einem 1:1 beim Abstiegskandidaten Nr. 1 reicht, ist jedoch etwas besorgniserregend.

Michael Heinen: Zum Glück findet am Sonntag kein Pokalspiel statt, wo Borussias Bilanz am Böllenfalltor überschaubar gut ist. Die Darmstädter werden aber wie in einem Pokalspiel kämpfen, sodass es kein einfaches Spiel wird. Am Ende wird es zu einem mühsamen 2:1-Auswärtssieg reichen.

Thomas Häcki: Zwei Erkenntnisse nimmt die Borussia aus dem 3:0 Erfolg in Darmstadt mit. Die Lernkurve zeigt nach oben und es ist mehr Qualität in der Mannschaft als so mancher unkt.

Volkhard Patten: Das Warten auf den ersten Saisonsieg geht weiter. Borussia wird nach dem 1:1 in Darmstadt gewaltig unter Druck stehen.

Uwe Pirl: Borussia hat in der Länderspielpause an den Basics gefeilt. Das sieht man. Borussia gewinnt 2:0 und bleibt das erste Mal ohne Gegentor.

Christian Spoo: Alle erwarten den ersten Saisonsieg, aber Borussia wäre nicht Borussia, wenn… Nein. Alte Gewissheiten können uns mal: Borussia gewinnt in Darmstadt mit 3:1.

Michael Oehm: Borussia müht sich zu einem Unentschieden. Finde ich besser als zu verlieren. 1:1 [Anmerkung: der Autor des Artikels hatte Herrn Oehm aufgefordert auf Niederlage zu tippen, um die Diversität zu erhöhen. Wollte er aber nicht.]