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Die Serie von fünf Spielen ohne Niederlage gegen den FC Bayern ging am vergangenen Samstag zwar zu Ende. Trotzdem durften sich Borussia Mönchengladbach an diesem Wochenende auch als Gewinner fühlen. Das ebenso unglückliche wie verdiente 1:2 war ein Achtungserfolg, der Mut macht für die kommenden Wochen und Monate. Er ist aber nur dann etwas wert, wenn es der Mannschaft gelingt, dieselbe Leidenschaft in den bevorstehenden Spielen gegen Teams wie Darmstadt oder Bochum an den Tag zu legen. Daran waren ihre Vorgänger in den vergangenen Jahren regelmäßig gescheitert, die sich von ihren starken Leistungen gegen den Rekordmeister meist für längere Zeit erholen mussten.

Wenn der Siegtreffer des Gegners erst in der 87. Minute fällt, dann muss man sich über einen verlorenen Punkt ärgern. In der 1. Halbzeit hatte die Mannschaft von Gerardo Seoane stark dagegengehalten und nur wenig zugelassen, sodass die 1:0-Führung zwar etwas glücklich, aber nicht unverdient war. Dies drehte sich im zweiten Spielabschnitt ins Gegenteil, was primär dem zunehmenden Druck der Gäste zu verdanken war. Die traurige Realität des modernen Profifußballs macht es möglich, dass der FC Bayern eine Riege internationaler Topstars aufbietet, von denen einige mehr Geld gekostet haben als der gesamte Borussen-Kader. Von daher war eher die ausgeglichene erste Halbzeit eine für den Rekordmeister peinliche und für Borussia beachtliche Anomalie als die relativ einseitige zweite Hälfte. Um in dieser Konstellation zu punkten, müssen sehr viele Faktoren zusammenkommen. Der Faktor Glück tat es an diesem Samstagabend leider nicht.

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Der Faktor Mut dagegen war insbesondere in Person des neuen Borussen-Trainers zugegen. Rocco Reitz ausgerechnet gegen diesen Gegner ins kalte Wasser zu schmeißen, war ein gewagter Schritt, der für den Youngster auch nach hinten hätte losgehen können. Reitz blieb aber weitgehend unbeeindruckt vom Gegner und deutete an, zumindest in einigen Spielen eine ernsthafte Alternative für die Position neben Julian Weigl in der Mittelfeldzentrale darzustellen. Auch wenn eine Partie nicht überbewertet werden darf, hat er sich damit weitere Chancen verdient – selbst dann, wenn nach der Länderspielpause Koné und Kramer in den Kader zurückkehren werden.

Auch mit der relativ frühen Einwechselung von Lukas Ullrich setzte Seoane ein wichtiges Zeichen, dass er es mit der Jugendförderung tatsächlich erst meint. Etwas, was sein Vorgänger im vergangenen Jahr sträflich vernachlässigt hatte und ein wesentlicher Grund für sein Ende bei Borussia gewesen ist.

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Bei Moritz Nicolas wurde Seoane ein wenig zu seinem Glück gezwungen. Der 25jährige war in den letzten Jahren unterklassig – in der dritten deutschen sowie zweiten niederländischen Liga – unterwegs, sodass Zweifel erlaubt waren, ob er für höheres Niveau geeignet sein würde. Mit einigen starken Paraden räumte er einige dieser Zweifel aus dem Weg. Man sollte aber vorsichtig sein mit einer allzu voreiligen Bewertung, dass die Probleme auf der Torwartposition damit bereits erledigt seien, die durch den langfristigen Ausfall von Kapitän Omlin entstanden sind. Erinnert sei an die ebenso starke Partie von Jan Olschowsky gegen den BVB, die er nicht nachhaltig konservieren konnte. Auch die zuletzt schwächeren Auftritte des 21jährigen bei der U23 sollten aber nicht zu voreilig bewertet werden. In diesem Alter sind Leistungsschwankungen normal. Wichtig ist, daraus zu lernen und sich stetig zu verbessern. Deswegen ist es richtig, ihn vorläufig weiter bei der U23 einzusetzen, um dort seine Entwicklung voranzubringen. In der ersten Mannschaft wird jetzt erst einmal Nicolas gesetzt sein, der mit seinen immerhin bereits 25 Jahren zwar kein Talent mehr, aber weiterhin entwicklungsfähig ist.

Es lag nicht nur am erstaunlich souveränen Torwart, dass die Defensive erstmals in dieser Saison positiv von sich reden machte. Maximilian Wöber mutiert mit seinem unermüdlichen Kampfgeist zunehmend zum Publikumsliebling. Dass er Leroy Sané nicht vollständig aus dem Spiel nehmen konnte, ist weniger ihm als der Klasse des am Samstag besten Bayern-Spielers anzulasten.

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Die gegenüber den letzten Spielen verbesserte Stabilität lag aber nicht nur an den stärkeren Leistungen der Defensivspieler, sondern auch in der veränderten Grundausrichtung. Anstatt neben der Doppel-6 einen offensiven 10er aufzubieten, bildeten Weigl, Reitz und Neuhaus ein Dreigestirn in der Mittelfeldzentrale, das zwar noch optimierungsbedürftig agierte, aber eine interessante Variante insbesondere gegen stärkere Gegner darstellt. Seoane hatte bereits vor Saisonbeginn angekündigt, auf Flexibilität wert zu legen, um auf die Stärken und Schwächen der gegnerischen Teams reagieren zu können.

Selbst Nathan Ngoumou leistete einen wertvollen Beitrag zur neuen Kompaktheit mit seiner guten Defensivarbeit im Zusammenspiel mit Joe Scally, durch die Bayern nur wenig Gefahr über ihre linke Seite entwickeln konnte. Wie sich an diesem Wochenende nicht nur bei den beiden Toren zeigte, droht die Gefahr in Bayern überwiegend von rechts außen.

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In der Offensive konnte Ngoumou seine Schnelligkeit kaum zur Geltung bringen. Ebenso wie Tomas Cvancara machte er wie in der Vorwoche die Erfahrung, dass er gegen die Topverteidiger des Landes noch sehr viel von eben jener benötigt. Was aber bei beiden Spielern nicht als Makel verstanden werden sollte. Die positive Nachricht des bisherigen Saisonverlaufs ist nämlich, dass sich die Entwicklungsfähigkeit vieler Spieler gezeigt hat sowie die Bereitschaft des Trainers, diese gezielt zu fördern.

Aber Achtung: Ebenso darf nicht unterschlagen werden, dass nach drei Spieltagen nur ein Punkt und Platz 16 zu Buche stehen. Angesichts des bisherigen Programms kein Weltuntergang, aber es setzt die Mannschaft in den kommenden Wochen und insbesondere vor der Partie in Darmstadt schon ein wenig unter Druck. Selbst wenn diese Partie nicht gewonnen wird, sollte aber Ruhe bewahrt werden. Ein erstes ernsthaftes Zwischenfazit kann im Normalfall erst nach etwa 10 Spieltagen gezogen werden, was in dieser Saison etwas unfair ist, weil ausgerechnet an diesem 10. Spieltag das Auswärtsspiel in Freiburg ansteht. Davor warten aber mit Darmstadt, Bochum, Mainz, Köln und Heidenheim noch einige Mannschaften, die sich mit der neuen Borussia weit eher auf Augenhöhe befinden als es die ehemaligen Konkurrenten aus Leverkusen, Leipzig und München sind. In diesen fünf Partien wird sich die Richtung aufzeigen, in die sich die Mannschaft in den kommenden Monaten bewegen wird.

seitenwahl 202309021843 IMG 2075 Das Ziel muss es sein, sich so früh wie möglich von der Abstiegsregion ins gesicherte Mittelfeld abzusetzen. Dies ist Grundvoraussetzung dafür, dass Seoane mit der nötigen Ruhe die Perspektive seiner jungen Mannschaft entwickeln kann.

Nach sehr langer Zeit spüren die Zuschauer aktuell endlich wieder, dass eine Fohlenelf auf dem Platz steht, die alles gibt, was in ihr steckt – auch wenn dies durch die hochkarätigen Abgänge deutlich weniger ist als in den letzten Jahren möglich gewesen wäre. Diesen Eindruck wird die Mannschaft langfristig bestätigen müssen. Ob der Umbruch in diesem Sommer erfolgreich war, wird sich dann erst frühestens zum Ende dieser Saison seriös einschätzen lassen. Der Auftritt gegen den FC Bayern am Samstag war ein erster zarter Hinweis, dass dieses Urteil am Ende positiv ausfallen könnte. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

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