bayern neu

Fangen wir mit der einzig vermeintlich guten Nachricht der Woche an: Borussia hat einen zweiten Stoßstürmer verpflichtet. Wie schon erwartet, ist es Jordan Siebatcheu, der von Union Berlin nach Gladbach wechselt. Der frankophone US-Amerikaner kommt zunächst auf Leihbasis bis Saisonende. Borussia hat sich aber eine Kaufoption gesichert, dem Vernehmen nach würde der Nationalspieler der USA im nächsten Sommer zwischen fünf und sieben Millionen Euro kosten. Nachdem die Planstelle „Mittelstürmer“ in der vergangenen Saison nur notdürftig und fachfremd besetzt werden konnte, stehen jetzt gleich zwei im Kader. Jordan ist nominell das Backup für Thomas Cvancara, Gerardo Seoane hat allerdings gleich nach der Verpflichtung klargestellt, dass er sich auch eine Variante mit beiden gemeinsam vorstellen könnte, weil Cvancara gegebenenfalls auch weiter außen spielen könne. Jordan Siebacheu ist wie Cvancara auch ein schneller und wuchtiger Spieler mit gutem Kopfballspiel. Und wie Cvancara hat er die Technik nicht erfunden. Bei Union Berlin hatte Jordan vor einem Jahr einen optimalen Einstand mit drei Toren und zwei Assists in den ersten Spielen, danach sank sein Stern aber recht schnell wieder. Auch in der Ligue 1 bei Stade Rennes lief es nicht optimal für den Amerikaner, in der zweiten französischen und ersten Schweizer Liga dagegen konnte Jordan glänzen, unter anderem bei Young Boys Bern unter Gerardo Seoane, mehr aber noch unter seinem Nachfolger David Wagner, als er Torschützenkönig wurde. In Bern spielte Jordan auch Champions- und Europa League, verfügt also neben seinen Einsätzen für die US-Nationalmannschaft über weitere internationale Erfahrung. In Mönchengladbach dürfte er die vorerst allerdings nicht mehr ausbauen.

Nach dem mäßigen Saisonstart dürfte auch bei dem Teil der Anhängerschaft, der zu Optimismus oder gar Euphorie neigt, der Realismus Einzug gehalten haben. In dieser Saison kann es für Borussia nur darum gehen, nicht in den Abstiegskampf hineingezogen zu werden. Das Ergebnis der vergangenen Spielzeiten zu wiederholen, wäre unter den gegebenen Umständen ein respekatbler Erfolg.

Nun schließt am Freitagabend um 18 Uhr das sogenannte Transferfenster. Borussias Verantwortliche haben in den vergangenen Wochen zwar aufmerksam am offenen Fenster gestanden, ohne allerdings viel herauszuwerfen oder hineinzuziehen. Stand Donnerstag 16 Uhr sind Koné und Elvedi noch da, sind kein Rieder und kein Sonstwer gekommen. Und kurz vor Ablauf der Transferperiode hat sich im Tor eine weitere große und unerwartete Lücke aufgetan. So sich in den verbleibenden 26 Stunden nichts mehr tut, sieht der Kader für den Rest der Hinrunde dann doch anders aus, als viele das gerne gehabt hätten. Mit Nico Elvedi bleibt ein Spieler mit auslaufendem Vertrag gegen seinen ausdrücklichen eigenen Wunsch an Bord, die Existenz einer wie auch immer gearteten Klausel, wegen der sich sein Vertrag noch bis 2025 verlängern würde, lässt sich nicht verifizieren. Manu Koné dagegen hat einen Vertrag bis 2025, sein Bleiben darf angesichts ausbleibender andere Aktivitäten auf dem Transfermarkt als positiv gewertet werden.

Nach den Spielen in Augsburg und gegen Leverkusen ist die Erkenntnis aus der Vorbereitung gewachsen: Borussia hat weiterhin ein Defensivproblem. Die Hintermannschaft ist von Stabilität so weit entfernt wie die Deutsche Nationalmannschaft von Weltklasse. Auf „Wir müssen hinten noch was machen“ konnten sich quasi alle einigen, die die beiden ersten Saisonspiele gesehen haben. In der Innenverteidigung wirkt Marvin Friedrich nicht sattelfest und ein echter Abwehrchef ist auch Ko Itakura nicht. Max Wöber erfüllt bisher zumindest die Erwartungen. Erstaunlich war gegen Leverkusen, dass die quasi „offizielle“ Schwachstelle, die defensiven Außen, nicht noch mehr als Einfallstor genutzt wurden – es mag daran gelegen haben, dass die Mitte so offen war, dass man es gar nicht zu probieren brauchte. Dennoch: Joe Scally auf links war ein fehlgeschlagenes Experiment, Franck Honorat auf rechts bei aller Liebe auch nur eine Notlösung. Durch das mögliche Bleiben von Elvedi eröffnen sich in der Zentrale neue Möglichkeiten, die zu nutzen Gerardo Seoane nicht zögern wird. Zum „Borussia-Weg“, nur mit Spielern zu arbeiten, die sich zum Verein bekennen, passt das zwar nicht, wenn aber kein zusätzliches Personal für die Abwehr kommt, muss der Trainer mit dem arbeiten, was da ist. Und da gehört Elvedi zu.

Auch im defensiven Mittelfeld war ein Zugang eigentlich noch gewünscht. Die neuerdings „Holding Six“ genannte Position eines kampfstarken Ausputzers vor der Abwehr ist unbesetzt. Julian Weigl spielt aus Mangel an Alternativen den defensiveren Part der Doppelsechs, Florian Neuhaus ist weder ein defensiver noch ein offensiver Sechser, Manu Koné, falls genesen und noch da, auch nicht der richtige. Allenfalls auf Christoph Kramer passt die Beschreibung, wann und in welcher Verfassung der zurückkommt, ist derzeit aber ungeklärt. Womöglich versucht Seoane es also im Falle der Elvedi-Reaktivierung wieder mit Ko Itakura als Sechser. Dass er das kann, hat er bei Schalke 04 gezeigt. In Gladbach war er zunächst auch auf dieser Position eingeplant, machte sich dann aber in der Innenverteidigung unersetzlich. Was zum Ende der Transferperiode deutlich wurde: Borussia hat offenbar wirklich kein Geld bzw. nicht die Bereitschaft, welches auszugeben. Trotz sehr offensichtlicher Lücken im Kader scheint es nicht möglich sein, auszubessern ohne vorher Einnahmen generiert zu haben. Das solide Wirtschaften ist in der Regel nichts, was Seitenwahl kritisiert. In der aktuellen Lage müssen wir uns aber aufs Beten verlegen, dass die Solidität (oder Knauserigkeit) nicht dazu führt, dass die Lage im Lauf der Saison prekär wird.

Wie schnell prekäre Situationen entstehen, haben wir am Mittwochabend gelernt. Da gerüchtelte eine schwere Verletzung von Torwart und Kapitän Jonas Omlin durch die Medien, vom Verein allerdings bisher nicht offiziell kommuniziert. Auch vor dem Bayern-Spiel gibt es keine definitive Aussage, was allerdings daran liegen mag, dass gar nicht so klar ist, wie lange Omlin ausfällt. Spezialisten schauen sich seine schon seit mehreren Wochen lädierte Schulter an. Gerardo Seoane hat offenbar noch Hoffnung, dass Omlin konservativ behandelt wird und somit wenigstens gelegentlich auf dem Platz stehen kann. Im Falle einer Operation wäre ein längerer Ausfall allerdings unvermeidlich. Die Schulter ist kein Körperteil, an dem man mal so eben ein bisschen rumsägt. Dass Borussia bei Omlin auf das Urteil der Spezialisten warten will, schließt aus, kurzfristig noch einen Ersatzmann holen zu können, sollte Omlin länger fehlen. Kaum war die Nachricht von Omlins Schulter aufgekommen, kursierten die Namen von Torhütern, die angeblich auf einer ominösen Liste in der Schublade des Roland Virkus stünden: Fährmann, Ulreich, Steffen, ja gar Gianluigi Buffon würden jetzt von Virkus durchtelefoniert. Aber vermutlich liegt die Liste in der Schublade von Virkus‘ Bruder. Auf jeden Fall bekannte sich Gerardo Seoane zu den Torhütern, die ihm schon jetzt zur Verfügung stehen – wollte sich aber selbst für das Spiel gegen Bayern nicht festlegen, wer nun Omlin ersetzen wird. Sollte es schieflaufen – Buffon könnte man auch nach Freitag 18 Uhr noch anrufen.

Nach der Überforderung gegen Bayer folgt am Samstag nun die Überforderung gegen Bayern. Trotz der zuletzt immer mindestens achtbaren Resultate gegen den Dauermeister ist Borussia im eigenen Stadion nur Außenseiter, umso mehr angesichts der zahlreichen eben dargestellten Probleme in nahezu allen Mannschaftsteilen.

Ob das Team in der Vierer- besser aufgestellt war, als in der Dreierkette, ist angesichts der zurückhaltenden Herangehensweise von Bayer Leverkusen nach dem 3:0 kaum zu sagen. Sollte Gerardo Seoane in Ermangelung vernünftiger Alternativen erneut auf die Doppelsechs aus Julian Weigl und Florian Neuhaus setzen, könnte es erneut was setzen. Den löchrigen Defensivverbund irgendwie dicht zu bekommen, sollte die vornehmste Aufgabe gegen Bayern sein. Nach vorne könnte etwas mehr gehen, falls Franck Honorat von seinen Defensivaufgaben zumindest ein wenig entbunden wird. Luca Netz scheint noch auszufallen, Lukas Ullrich ist vermutlich noch zu grün, das Experiment mit Joe Scally dürfte sich erledigt haben, so wird sich Gerardo Seoane etwas anderes überlegen müssen, um die Hütte hinten dicht zu bekommen. Ob Nico Elvedi schon in den Planungen für Samstag eine Rolle spielt, wissen wir nicht. Eine Viererkette mit Max Wöber links scheint uns die wahrscheinlichste Variante.

Die Bayern sind mit den erwarteten sechs Punkten in die Saison gestartet, Harry Kane wird dem absurden Hype um seine Person bis dato durchaus gerecht – mit drei Treffen in zwei Spielen ist der Engländer mehr als im Soll. Dem schwachen Auftritt seiner Mannschaft im Supercup folgten zwei Pflichtsiege. Das Spiel der Bayern wirkte dabei zu keiner Zeit so atemberaubend, wie das von Bayer Leverkusen vergangene Woche in Gladbach. Der Meister tat aber, was er musste, um Werder Bremen und den FC Augsburg standesgemäß zu besiegen. Auch bei den Münchnern hat sich vor dem Ende der Transferperiode noch einiges getan, so ist Benjamin Pavard nicht mehr da, als nächsten Platzhalter für Manuel den Unantastbaren hat man Daniel Peretz aus Israel geholt. Ob der neue Mann im Borussia-Park direkt imTor steht oder der eigentlich stets tadellos haltende Sven Ulreich, ist eine der offenen Fragen, eine weitere ist ,ob und wie man Thomas Müller und Leon Goretzka die Enttäuschung darüber anmerken wird, dass ihr Ex-Trainer Hansi Flick die nächsten Länderspiele lieber ohne sie angehen möchte. Ansonsten werden die Außenspieler Borussias mit Kingsley Coman und Leroy Sané ähnlich viel Spaß haben, wie vor Wochenfrist mit Jeremie Frimpong und Alejandro Grimaldo.

Mögliche Aufstellung

Borussia: Nicolas – Scally, Friedrich, Itakura (Elvedi), Wöber – Weigl, Neuhaus (Itakura) – Honorat, Plea, Ngoumou – Cvancara

Bayern: Ulreich – Mazrauoi, Upamecano, Kim, Davies – Kimmich, Goretzka – Sané, Musiala, Coman – Kane

SEITENWAHL-Prognose

Thomas Häcki: Der Start in die neue Saison verläuft nach dem 1:3 gegen die Bayern äußerst unglücklich.

Michael Heinen: Jedes Jahr aufs Neue gelingt es Borussia, ihren Fans eindringlich zu suggerieren, sie sei gegen den großen FC Bayern chancenlos. Sobald die Partie aber angepfiffen wird wirken die Spieler des Rekordmeisters auf einmal so, als hätten sie in guter landestypischer Tradition ihre Brüder für sich arbeiten lassen und aufs Feld geschickt. 4 der letzten 5 Heimspiele konnte Borussia so für sich entscheiden. Nichtsdestotrotz lasse ich mich wie in jedem Jahr einlullen, tippe auf einen klaren 4:0-Sieg der Bayern und freue mich dann am Samstag, dass es mal wieder anders kommt.

Claus-Dieter Mayer: Die Statistiken nach dem Spiel lesen sich nicht viel besser als in der Vorwoche, aber gegen eine aufopferungsvoll kämpfende Borussia wirken die Münchener bei weitem nicht so dominant wie Bayer Leverkusen am letzten Spieltag. Und hinter vorgehaltener Hand sagen einige Gladbacher danach sogar, dass vielleicht mehr als ein 2:2 drin gewesen wäre.

Michael Oehm: Der Gegner kauft Torgarantie für mehr als 100 Millionen Euro, die eigene Defensive schwächelt und dazu noch Ausfälle, das löst auch bei mir Pessimismus aus. Nur ein 1:1 zuhause ist die erste richtige Enttäuschung der noch jungen Saison.

Volkhard Patten: Harry Kane trifft auf einen ihn unbekannten Abwehrspieler namens Nico Elvedi und wundert sich nach dem Spiel, warum so ein begnadeter Innenverteidiger nicht schon lange in England spielt. Am Ende siegen die Bayern mit 3:1, scheitern aber mehrmals an Moritz Nicolas, der eine höhere Niederlage verhindert.

Uwe Pirl: Die Defensive bleibt die Achillesferse beider Mannschaften, die am Samstag aufeinandertreffen. Für Borussia wird es ohne Omlin nicht einfacher, vorne ein Tor mehr zu schießen, als man sich hinten einfängt. Das klappt dann auch nicht. 3:6 für Bayern.

Christian Spoo: Borussia hatte eine Mannschaft, die nur gegen Mannschaften wie Bayern Lust auf Fußball hatte und an solchen Tagen dann auch in der Lage war, das Spiel zu gewinnen. Jetzt hat Borussia eine Mannschaft, die zuhause gegen Bayern mit 0:4 verliert. Aber nicht, weil sie keine Lust auf Fußball hat, sondern weil sie es nicht besser kann.