Wohin mit dem Kopf? Diese Frage hat so manchen Anhänger von Borussia nach dem Unentschieden in Mailand zum Auftakt der Champions-Legaue-Gruppenphase womöglich überfordert. Klar, ein Punkt beim italienischen Vizemeister ist aller Ehren wert. Andererseits ist es immer bitter, den Ausgleich in der 90. Minute zu kassieren. Nicht wenige Kommentare nach dem Tor von Romelo Lukaku beinhalteten Worte wie "borussisch" oder "typisch". Sollte man als Borusse den Kopf nun also hängen lassen oder hoch tragen? Schauen wir jenseits der Tatsache, eine Führung noch aus der Hand gegeben zu haben, auf das Spiel im leeren San Siro.

Wobei man eigentlich schon da anfangen kann. In der Hand hatte Borussia nüchtern betrachtet die ganze Zeit nicht viel. Ohne die teils engagierte Leistung schmälern zu wollen, muss man konstatieren, dass Inter Mailand über die komplette Spielzeit das dominierende Team war. Borussia wirkte zu keinem Zeitpunkt so, als hätte sie Spiel oder Gegner im Griff. "Griffig" ist vermutlich der Begriff, der das Auftreten der Gladbacher am schlechtesten beschreiben würde. Zugriff auf Ball und Gegner hatte man allenfalls im hintersten Drittel des Spielfeldes. Dazu kommt, dass der Treffer zum 2:2 de facto gar nicht "in letzter Minute" fiel, auch wenn "Lukaku, 90." in der Statistik steht. Mit sechs Minuten Nachspielzeit war Borussia noch gut bedient, hatte es doch in der zweiten Halbzeit diverse Unterbrechungen, vor allem durch das Eingreifen des Videoassistenten, gegeben. Im Grunde konnte man froh sein, nicht auch noch das dritte Tor bekommen zu haben.

Positiv hervozuheben ist die Effizienz, bisher nicht gerade ein Charakteristikum des Borussenspiels. Zwei Tore aus fast nichts zu machen, ist aller Ehren wert. Der Elfmeter zum 1:1 war völlig korrekt, Thuram war im Strafraum von Vidal eindeutig gefoult worden, eine Torchance hatte der selbsternannte Krieger mit dem aus der Zeit gefallenen Haarschnitt dabei allerdings gar nicht verhindert. Darüber hinaus gab es eine große Kopfballchance von Thuram kurz vor dem Führungstor und eben dieses Tor, eingeleitet von einem mit sensationell noch unzureichend beschriebenen Pass von Florian Neuhaus und untypisch cool vollendet von Jonas Hofmann. Darüber hinaus fand Borussia offensiv nicht statt.

Vier Spieler waren nominell für die Offensive eingeplant, neben Torschütze Hofmann noch Thuram, Embolo und Plea. Und sie alle hatten keinen schönen Abend. Wenn sie sich nicht defensiv einbrachten, waren alle vier quasi nicht im Spiel. Das Umschalten funktionierte fast durchweg nicht. Immer wieder versuchte sich Borussia am vertikalen Spiel, immer wieder landeten die Bälle in den Füßen bzw. auf den Köpfen der Mailänder. Die antizipierten fraglos gut, was der Gegner vorhatte, umgekehrt war das Aufbauspiel der Gladbacher leicht auszurechnen und den Pässen mangelte es immer wieder an der nötigen Präzision. Ob es "nötige Ballverluste" gibt, kann man munter diskutieren, beim 20. unnötigen jedenfalls hat SEITENWAHL das Zählen eingestellt. In den Mailänder Druckphasen, von denen es dankenswerterweise nicht allzu viele gab, zeigte sich dieses Phänomen schon am Gladbacher Strafraum, wurden Fehlpässe in Reihe in der eigenen Hälfte gespielt.

Dennoch ist die Leistung der Gladbacher Defensive kaum genug zu loben, zumindest was das Verteidigen anging war das mehr als ordentlich. Inter Mailand konnte seine Feldüberlegenheit eher selten in Torchancen ummünzen. Am Ende hatten die Italiener zwar deutlich mehr Abschlüsse als Borussia, gemessen an den Spielanteilen war ihre Anzahl aber überschaubar. Beim Verteidigen halfen auch die Stürmer: Marcus Thuram und Breel Embolo brachten ihre beträchtlichen Körper gelegentlich ein, wenn es darum ging, Mailänder Angriffe zu unterbinden. Christoph Kramer und Florian Neuhaus liefen Pässe ab und stellten Wege zu. Die Viererkette stand und bewegte sich überwiegend richtig. Stefan Lainer zeigte hier und da ein Tempodefizit und zeigte sich an der einen oder anderen Stelle ungewohnterweise als Anhänger der Wendt-Schule des begleitschützenden Abwehrverhaltens. Ramy Bensebaini auf der anderen Seite machte es gut, nahm das teilweise nickelige Spiel des Gegners gut an und steckte ein, wie er austeilte. Die Innenverteidiger waren über weite Strecken die besten Spieler auf dem Platz. Nico Elvedi machte seine Sache gegen Romelu Lukaku ausgezeichnet, hätte Lukaku nicht zweimal getroffen, wäre er mit Sicherheit ein Kandidat für den "Man of the Match" gewesen. Bei beiden Toren trifft den Schweizer allerdings maximal eine Teilschuld. Beim 1:0 ist Ginter derjenige, der schon den Kopfball von Martinez verhindern muss. Nach diesem und der folgenden Hereingabe von d'Ambrosio herrscht ausnahmsweise Verwirrung in der Hintermannschaft, was Lukaku zu nutzen weiß. Bei der scharfen Hereingabe vor dem 2:2 hat Elvedi allenfalls die Chance, Lukaku umzureißen, was er schlauerweise unterlässt. Matthias Ginter hätte Borussia ganz am Ende des Spiels fast noch um die Früchte ihrer Arbeit gebracht. Das Foul direkt an der Strafraumgrenze war so nicht nötig, dass der Freistoß von Kolarov nur am Außennetz landete, ist unter Glück zu verbuchen - und das leitet das Fazit doch recht geschmeidig ein:

Borussia hatte das Glück des Tüchtigen. Allein die Dramaturgie des Spiels, also die Tatsache dass man unvermittelt und nicht vollends verdient ein paar Minuten am Sieg schnuppern konnte, beeinträchtigt die Freude über den einen Punkt. Den hat sich die Mannschaft durch ihr großes Engagement zwar durchaus verdient, gemessen an dem, was man über 90 Minuten auf den Platz gebracht hat, hätte sie sich über eine Niederlage aber nicht beschweren dürfen. Der Kopf gehört also nach oben. Mit gehobenem Kopf und breiterer Brust als zuletzt, vor allem aber auch konzentrierter als gegen Wolfsburg und Mailand sollte Borussia die zahlreichen Spiele der kommenden Tage und Wochen angehen.