dortmund neu

Heute Abend eröffnen die beiden Borussias die Bundesligasaison. Heute Abend? Dachte man vor einigen Wochen für eine kurze Phase, ehe es sich der FC Bayern doch noch anders überlegte und damit offenbar wurde, wie Entscheidungsprozesse beim DFB bzw. der DFL wohl ablaufen, wenn sie den selbsternannten Branchenführer betreffen. Fast schon ein Wunder, dass Uli Hoeneß angesichts der Entscheidung, wegen der Corona-Lage nun doch keine Zuschauer zum Eröffnungsspiel zuzulassen, noch nicht verbal Amok gelaufen ist und mindestens bei Söder interveniert hat. Zyniker und Pessimisten in den Reihen der Gladbacher waren über die Rückverlegung des Spiels auf Samstag allerdings nicht unglücklich, sei es doch besser, wenn nicht die übliche (hohe) Niederlage der Gladbacher in Dortmund im Free-TV gezeigt werde, sondern wie nach Verl und Uerdingen nun auch Bayern München den Schalkern eine hohe Anzahl von Toren einschenken darf.

Orientiert man sich an den Ergebnissen der letzten Jahre, müsste Dortmund in der Tat klarer Favorit sein. Kein Vorbericht kommt ohne die Feststellung aus, dass Borussia Mönchengladbach die letzten 12 Spiele gegen den BVB allesamt verloren hat. Und auch ein Blick auf die Kadersituation macht keinen Mut: Während Lucien Favre im Grunde aus dem Vollen schöpfen kann und auf der Ausfallliste in der Vorschau des Kicker der häufigste Grund „nicht berücksichtigt“ ist, fallen bei Borussia Mönchengladbach mit Benes, Embolo, Lazaro und Zakaria gleich vier ernstzunehmende Alternativen in Mittelfeld und Offensive aus, dazu kommen mit Plea und Thuram zwei Rekonvaleszenten, die zwar im Kader stehen, mutmaßlich aber nicht Luft für 90 Minuten intensives Spiel in Dortmund haben werden.

Und dennoch darf man sicher sein, dass in den Dortmunder Vorbesprechungen mindestens einmal der Satz „Es wird serr schwär!“ gefallen sein wird. Nicht nur, weil das bei Lucien Favre – wie wir wissen – zu Folkore gehört und auch im Pokal gegen Oberligisten fällt. Nein, auch deshalb, weil sich die Wahrnehmung von Borussia Mönchengladbach in der Branche mittlerweile Schritt für Schritt gewandelt hat. Das gilt nicht nur für die SEITENWAHL-Redaktion, in deren Borussen-Check selbst die notorischen Pessimisten schlimmstenfalls Platz 6, wahrscheinlicher aber eine neuerliche Qualifikation für die Champions League prognostizieren, sondern auch für die Konkurrenz. Zwar werden wir noch nicht zwingend als Meisterschaftskandidat gesehen. Wenn jedoch beispielsweise Rummenigge auf die Frage nach potentieller Konkurrenz die Bemerkung fallen lässt Mönchengladbach dürfe man ebenfalls nicht unterschätzen, spricht das für eine veränderte Grundhaltung (die bei Bayern ja auch nachvollziehbar ist, denn wie wir wissen haben die ein gewisses Gladbachtrauma, so wie Dortmund ein Bayerntrauma und Gladbach ein Dortmundtrauma hat). Und auch die letzten Spiele gegen Dortmund machen Mut. Hatte man in den früheren Jahren in der Regel die Hosen voll, was sich in klaren Niederlagen ausdrückte, lief es in der Saison 2019/20 auf dem Spielfeld eigentlich ganz flüssig, auch wenn am Ende drei knappe Niederlagen standen. Spielerisch jedenfalls – so die allgemeine Einschätzung – ist man auf Augenhöhe angekommen.

Nun beginnt eine neue Saison natürlich mit erheblichen Unsicherheiten. Da die Pokalspiele auf beiden Seiten nicht als Referenz taugen, weiß keiner so ganz genau, wo er steht. Auf Dortmunder Seite ist da insbesondere die Frage, wie weit die Integration der beiden Youngster Reyna und Bellingham und des ungleich erfahreneren Meunier schon fortgeschritten ist und ob die beiden sehr jungen Spieler, die in der Startelf erwartet werden, tatsächlich schon so weit sind … Auf Gladbacher Seite ist es – siehe oben – eher die Liste der Ausfälle und Angeschlagenen, die Sorge bereitet. Insofern ist eine Prognose, wie das am Samstagabend ausgeht, schwierig, insbesondere, weil es ja die Zukunft betrifft.

Deshalb bleibt eigentlich nur, der neuen Saison und deren erstem Spiel auch unter den besonderen Bedingungen mit Spannung und Vorfreude entgegenzusehen. Vorhang auf!

Der Seitenwahl-Tipp

Christian Spoo: Reus und Hazard treffen mindestens einmal pro Nase. Dann gibt’s da noch Bellingham, Sancho und den Trump-Fanboy. Das ergibt eine deftige 0:5-Auftaktschlappe aus Sicht der wahren Borussia. Egal. Danach rollen wir das Feld quasi von hinten auf.

Michael Heinen: Wenn es je etwas in Dortmund zu holen geben sollte, wäre ein 1. Spieltag nicht die schlechteste Wahl. Borussia hat im letzten Jahr auch im Signal-Iduna-Park bewiesen, dass sie sich vor keinem Gegner in der Bundesliga (bzw. außerhalb Österreichs) verstecken muss. Von daher sollte sie die Auftaktpartie selbstbewusst angehen. Am langen Ende siegt aber leider meistens das Böse, weshalb es einen 1:0-Heimsieg geben wird.

Mike Lukanz: Im Saisoncheck spürte ich einen leichten Wind von Optimismus in der sonst so tiefgründig pessimistischen Redaktion. Kaum steht ein halbwegs ernstzunehmendes Pflichtspiel an, zittern die Kollegen wie Espenlaub. Den 3:1-Auswärtssieg werden sie dann umso euphorischer bejubeln.

Claus-Dieter Mayer: Mein Tipp: Die Borussia macht Fortschritte: Unter Marco Rose wird man in Dortmund nicht mehr vom Platz gefegt, sondern verliert ganz normal. Auch nach der 3:1-Niederlage gibt es wieder Lob für die Fohlen, die sich aber nichts dafür kaufen können. Immerhin: Die Meisterschaft hat man trotzdem noch in eigener Hand!

Thomas Häcki: "Sollten wir es trotzdem schaffen, verspreche ich, das erste Spiel in der neuen Saison auf Sieg zu tippen. Egal, wie es lautet." war mein Versprechen aus der vergangenen Saison. Jetzt könnte ich mich natürlich mit Oberneuland rausreden, aber das wäre nicht fair. Insofern löse ich mein Versprechen hiermit ein und tippe auf einen 2:1 Auswärtssieg für die echte Borussia.

Uwe Pirl: Ohne Tore geht es nicht ab. Insofern gehe ich mit dem Kollegen Spoo mit, dass erneute Treffer von Reus und/oder Hazard nicht unwahrscheinlich sind. Allerdings denke ich, dass Gladbach wieder einen Schritt nach vorn gemacht hat und zwar so, dass sich das – anders als Kollege Mayer das sieht – auch in Punkten ausdrückt. So optimistisch wie die Kollegen Lukanz und Häcki bin ich aber nicht – 2:2 lautet mein Tipp.