Welches Spiel sollte Borussia tunlichst nicht verlieren? Das Derby gegen Köln. In welchem Spiel gilt es, 100 Prozent zu geben? Im Derby gegen Köln. In welchem Spiel sollte man besser nicht mit der B-Elf auflaufen? Im Derby gegen Köln. Will sagen: Borussia hat an diesem Samstag ganz offenkundig falsch gemacht, was falsch zu machen war. Ein- und Aufstellung stimmten vom Start weg nicht. Mit der Mega-Rotation auf gleich sieben Positionen gegenüber dem letzten Spiel signalisierte Trainer Marco Rose dem Gegner, dass er ihn nicht übermäßig ernst nimmt. Gibt es eine bessere Methode, ein nominell deutlich schwächeres Team bei der Ehre zu packen? Zu allem Überfluss wussten die ins Team rotierten Spieler in Weiß nichts aus der Chance zu machen, die der Trainer ihnen einräumte. Bis auf Tony Jantschke, der gewohnt zuverlässig und unaufgeregt seinen Job in der Innenverteidigung machte, zeigen alle Ergänzungsspieler, warum sie diese Rolle zu Recht spielen. Vor allem von den drei Offensiven Hannes Wolf, Patrick Herrmann und Breel Embolo war nichts zu sehen - und wenn, dann war es nichts Gutes. Mit Jonas Hofmann blieb ein Strukturspieler auf der Bank, so dass das Spiel der Borussia in keiner Phase einem Plan zu folgen schien. Nach dem durch den Katastrophenball von Stefan Lainer verusachten Wirkungstreffer zum 2:1 für den 1.FC Köln wusste Borussia sich nicht mehr zu helfen, auch die dann doch noch eingesetzten Spieler aus der ersten Reihe waren nicht in der Lage, das Spiel zum positiven zu wenden - im Gegenteil. Weder Marcus Thuram noch Alassane Plea, nicht einmal der nach einer Stunde gekommene Hofmannn, brachten Borussia wieder in die Spur. Im Grunde blieb die Mannschaft fast über 90 Minuten alles schuldig. Zwingende Torgelegenheiten gab es nach dem 2:1 eher auf Kölner denn auf Gladbacher Seite. Ohnehin gilt es, den Kölnern für eine engagierte und konzentrierte Leistung Respekt zu zollen. Sie haben sich die drei Punkte redlich verdient.

Was nun hat Rose geritten, das zumindest für die eigene Anhängerschaft so wichtige Spiel anzugehen wie einen Testkick gegen den FC Wegberg-Beeck? Die wahrscheinlichste Erklärung: Hybris. Gegen die in dieser Saison tatsächlich bisher selten furchteinflößenden Kölner würde es schon reichen, mit den bisher formschwachen Wolf und Herrmann und mit dem vermutlich von der Badewannen-Affäre noch nicht final erholten Embolo ins Spiel zu gehen, und mit Thuram und Plea gleich zwei abschlussstarke Stürmer draußen zu lassen. Einen anderen Gedankengang mag man hinter dem Wagnis der Totalrotation nicht erkennen. Zwar hat das Team erst am Mittwoch im Pokal gespielt, bis zur nächsten Partie aber sind es acht Tage, genug Zeit zum Regenerieren und sogar zum Trainieren. Ein "Haltungsproblem" erkannte Marco Rose nach dem Spiel bei Teilen seiner Mannschaft, was weitere Fragen aufwirft. Wenn Spieler, die eine Chance bekommen, nicht die nötige Haltung für ein Derby an den Tag legen, woher mag das kommen? Und sollte ein Trainer, der nah an seiner Mannschaft ist, solche Probleme nicht vorher erahnen? Zudem ist die Erfahrung, dass der zweite Anzug nicht passt, keine wirklich neue. Immer, wenn Rose in dieser Saison Ähnliches versucht hat, ging es schief. Die Heimspiele gegen Augsburg und Hoffenheim sind noch nicht so lange her.

Rose und Borussia haben an diesem Samstag einen großen Schaden angerichtet. Der Trainer hat, da genügt ein Blick in die Sozialen Medien, viel Kredit verspielt. Sicher ist nicht jede Äußerung, die dort oft unter dem unmittelbaren Eindruck eines frustrierenden Ereignisses getätigt wird, von Substanz. Dennoch sollte Borussia sich hüten, das Stimmungsbild, das dort gezeichnet wird, achselzuckend zur Seite zu schieben. Es sind keine Fans im Stadion, von daher sollte man die Seismographen, die noch vorhanden sind, nicht ignorieren, auch wenn pandemiebedingt niemand den Spielern und dem Trainer ins Gesicht pfeift. Ob Borussia im vollen Stadion eine solche Nicht-Leistung überhaupt gebracht hätte, ist eine müßige Diskussion. Hätte sie ein Derby auf diese Weise vor Zuschauern verloren, es hätte Pfiffe gehagelt und der Trainer hätte aus erster Hand erfahren, wie wenig glücklich viele der Anhänger sind, die er in seinem ersten Gladbacher Jahr nie als "Wahnsinn" zu loben versäumte, die er mittlerweile aber nicht mal mehr routinemäßig erwähnt, wenn er sich mal mehr mal weniger wortkarg um ein Bekenntnis zum Fußballstandort Mönchengladbach herumdrückt. Wir sind an einem Punkt, an dem das immer lautere Schweigen des Marco Rose zu seiner persönlichen Zukunft zum Problem zu werden scheint. Nicht wenige Anhänger von Borussia beginnen, eine Verbindung zu ziehen zwischen Roses sehr bewusst offen gelassener Zukunft und den Dingen, die man auf dem Rasen sieht bzw. nicht sieht. Die Theorien, die kursieren - Rose vernachlässigt die Liga, um sich mit einem Pokalsieg aus Gladbach zu verabschieden; Rose vernachlässigt die Liga zu Gunsten seines künftigen Arbeitgebers, Rose ist ohnehin längst egal, wie das Kapitel Gladbach endet -  sind vermutlich allesamt höchstens in Nuancen zutreffend, wenn überhaupt. Dass sie aber kursieren und immer lauter kursieren, haben Trainer und Verein mit zu verantworten, indem sie sich winden und in Floskeln ergehen, sobald sie über die Zukunft befragt werden. Dass sie mit jeder dieser Nicht-Antworten die nächste Frage provozieren, die sie dann augenrollend abtun, sollte ihnen klar sein.

Mit seinem fehlenden Bekenntnis liefert der Trainer außerdem den Spielern ein Alibi. Einige tragen sich mit ähnlichen Gedanken und werden die Wurschtigkeit, mit der ihr Trainer das angeblich doch für alle so wichtige Spiel gegen Köln angeht, durchaus zur Kenntnis nehmen. Macht der Trainer nicht den Eindruck, für seine Aufgabe zu brennen - und diesen Eindruck macht Marco Rose beim besten Willen zurzeit nicht - wie soll er der Mehrzahl der Vertragsspieler, die per definitionem noch mehr "Passanten" sind, als der Trainer und sein Team es sein sollten, vermitteln, dass sie ihrem Job auch in Spielen, bei denen sie weniger im Schaufenster stehen als in der Champions League oder gegen eines der deutschen Top-Teams, mit allem Ernst, aller Leidenschaft und aller Kraft, die sie aufzubringen imstande sind, nachzugehen haben?

Was ist de facto passiert? Borussia entfernt sich von den Champions-League-Rängen, die erneute Qualifikation wäre nur mit einem fast schon beispielllosen Kraftakt noch zu retten. In der Champions League ist man noch dabei, wenn auch aller Wahrscheinlichkeit nach nur noch für zwei Spiele. Im Pokal hat man - Losglück vorausgesetzt - eine reelle Chance, weit zu kommen. Keine Katastrophe, aber weniger als möglich gewesen wäre. Und je nachdem, wie es in den drei Wettbewerben weitergeht, steht man schlimmstenfalls schon Ende Februar mit nahezu leeren Händen da. Dieses Szenario wäre zu verhindern gewesen, wäre man die Aufgabe Köln ernsthaft angegangen. Und wenn man in Gladbach eine Aufgabe ganz unabhängig von Wettbewerb oder Tabellenstand ernsthaft angehen sollte dann ist es: Das Derby gegen Köln.