Bonhof

Per Handstreich tauscht Borussia Mönchengladbach urplötzlich sein Präsidium aus. Rolf Königs nimmt nach 20 Jahren an der Vereinsspitze seinen Hut und reicht den Stab an den bisherigen Vizepräsidenten Rainer Bonhof weiter. Mit Trainer-Urgestein Hans Meyer hört ein zweites Präsidiumsmitglied auf. Ex-NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft übernimmt und wird neben Stefan Stegemann, der als einziges Mitglied seinen Posten behält, Borussia-Vizepräsident. Ebenfalls ganz neu im Gremium ist Roger Brandts, Gründer und Inhaber der Modemarke Fynch-Hatton, als einfaches Präsidiumsmitglied.

Dass der Aufsichtsrat - als einziges Gremium mit Entscheidungsgewalt im Hinblick auf die Präsidiumsbesetzung - ausgerechnet einen Monat vor der Mitgliederversammlung eine so weitreichende Entscheidung trifft, ist bemerkenswert. Dass Borussia einen so weitreichenden Schritt tätigt, ohne eine Pressekonferenz einzuberufen oder anderweitig zumindest moderaten Wirbel zu erzeugen, ist es auch. Im Handumdrehen wird das vierköpfige Präsidium um 43 Jahre verjüngt und Bonhof vom mit Abstand zweitjüngsten zum mit Abstand ältesten Mitglied der Vereinsspitze.

Dieser Text soll aber explizit keine Bewertung der neuen Präsidiumsmitglieder darstellen, sondern auf ein grundsätzliches Problem zu sprechen kommen: Borussia Mönchengladbach, der Verein, der stolz mit der 100.000-Mitglieder-Marke hausieren geht, ist bezogen auf das Mitspracherecht an der Besetzung der wichtigsten Vereinsgremien allenfalls eine Demokratie auf Sparflamme.

Einzig der Aufsichtsrat hat direkten Einfluss auf die Besetzung des Präsidiums. Die sieben Mitglieder des Aufsichtsrats wählen für drei Jahre das Präsidium, welches gemäß Satzung aus einem Präsidenten und mindestens zwei Vizepräsidenten bestehen muss.

Der Aufsichtsrat wiederum wird von der Mitgliederversammlung gewählt, die einmal im Jahr zusammentritt. Allerdings können Borussias Vereinsangehörige hier nur bedingt Einfluss nehmen. Mächtigster Einflussfaktor für die Besetzung des Aufsichtsrats ist nämlich der Ehrenrat, der ebenfalls von der MV gewählt wird.

Der Ehrenrat muss laut Satzung aus neun bis elf Mitgliedern bestehen, derzeit sind es zehn. Drei Positionen sind aber gar nicht wählbar – das FPMG hat ein direktes nicht abwählbares Ticket in den Ehrenrat, die Abteilungsleiter von Tischtennis und Handball sind ebenfalls gesetzt. Alle anderen derzeit sieben Mitglieder müssen sich alle drei Jahre einer Wiederwahl stellen. Einzig der Ehrenrat entscheidet, welche Aufsichtsrats-Kandidaten der MV zur Wahl gestellt werden.

Heißt im Klartext: Der Ehrenrat ist die einzige Option bzw. der einzige Weg, um über die Besetzung des Aufsichtsrats und Präsidiums mitzuentscheiden oder gegebenenfalls selbst einen Posten zu bekommen. Eine geschlossene Opposition bräuchte allerdings mehrere Mitgliederversammlungen, um eine Mehrheit im Ehrenrat zu erreichen, da nie alle Personen zur Wahl stehen, sondern gemäß Satzung mindestens drei pro Jahr (auch dieses Jahr sind es drei).

In den Aufsichtsrat zu gelangen, ist noch ungleich schwieriger, weil die Mitgliederversammlung hierauf nur noch wenig Einfluss hat. Bis zum 31. Dezember des Vorjahres kann jedes Mitglied zwar einen Vorschlag machen, wer in den Aufsichtsrat soll. Der Ehrenrat muss sich dann auch damit beschäftigen, braucht aber nicht alle Kandidaten zur Wahl vorzuschlagen. 

Das bedeutet, der Ehrenrat stellt der Mitgliederversammlung von vornherein nur die Mitglieder zur Wahl, die er in das Gremium wählen lassen will. Dies führt dazu, dass unliebsame Kandidaten von vornherein ausgeschlossen werden, was in Extremfällen verständlich ist, aber auch objektiv eigentlich fähige Kandidaten von vornherein ausschließen kann, nur weil sie für einen etwas anderen Weg und andere Ideen stehen. 

Immerhin: In diesem Jahr hat der Ehrenrat zumindest einen Kandidaten mehr zugelassen als nötig. Sieben Kandidatinnen und Kandidaten stehen der MV zur Wahl, darunter vier amtierende Aufsichtsratsmitglieder: Michael Hollmann, Dr. Jürgen Kämpfer, Dr. Dirk W. Rosenbaum und Stefan Krebs, der als Abteilungsleiter aber gemäß Satzung ein direktes Ticket in den Aufsichtsrat hat. Außerdem wurden Stefan Brandmann, Clemens Dreimann und Dr. Dilek Gürsoy zur Wahl zugelassen. Sechs Plätze sind zu besetzen, weil die Amtszeit von Norbert Bocks erst nächstes Jahr endet. Heißt: Einer der Kandidaten wird definitiv nicht gewählt. Mehrere weitere vorgeschlagene Kandidaten für den Aufsichtsrat wurden jedoch gar nicht erst zugelassen. 

Der Ablauf bei der MV ist so: Der Kandidat mit den wenigsten Stimmen schaut in die Röhre, allerdings braucht jeder Kandidat zur Wahl die einfache Mehrheit. Kann einer der freien Aufsichtsratsplätze nicht mit einfacher Mehrheit besetzt werden, wird es spannend: In dem Szenario muss der Ehrenrat gemäß Satzung noch während der laufenden Mitgliederversammlung einen neuen Vorschlag für die Besetzung des Aufsichtsrates machen. Kommt der Ehrenrat dieser Aufgabe nicht nach oder wird der neue Vorschlag von der MV ebenfalls abgelehnt, erfolgt der Abbruch der Veranstaltung und es müsste eine neue MV einberufen werden. Werden die vom Ehrenrat vorgeschlagenen Kandidaten erneut abgelehnt, darf jedes stimmberechtigte Vereinsmitglied einen Vorschlag zur Wahl stellen, ohne dass der Ehrenrat diesen ablehnen kann.

Fazit: Direkte Einflussnahme auf die Besetzung der wichtigsten Vereinsgremien haben die Mitglieder von Borussia Mönchengladbach kaum. Nur die Besetzung des Ehrenrats erfolgt zumindest teilweise durch die Mitglieder, ohne dass ein vorgeschaltetes Gremium Wahlvorschläge abservieren kann. Einfluss auf die Besetzung des Aufsichtsrats ohne Vorauswahl durch den Ehrenrat haben die Mitglieder nur im gerade beschriebenen theoretischen Szenario. Wer Präsident wird, entscheidet der Aufsichtsrat ganz alleine.

Die Vorteile dieser Mini-Demokratie an der Hennes-Weisweiler-Allee sind dabei gewiss auch nicht zu unterschätzen: Einflussnahme von außen auf den e.V. ist äußerst schwierig, vereinsinterne Machtkämpfe um Spitzenposten, die den Verein lähmen können, werden deutlich erschwert.

Die derzeitige Satzung macht es jedoch unwahrscheinlich bis unmöglich, dass sich innerhalb der Gremienstrukturen von Borussia etwas anderes als eine Ja-Sager- und Abnick-Kultur entwickeln kann. Die Satzung ist ausgerichtet auf den Machterhalt des Präsidiums. Eine von der Vereinsführung unabhängige Opposition innerhalb der Gremien aufzubauen, ist unwahrscheinlich. Die Satzung macht es auch möglich, dass die Wahl des Präsidiums nicht unmittelbar auf die Wahl des Aufsichtsrats folgen muss. So ist es in dieser Woche geschehen.

"Mehr Demokratie wagen" könnte daher in Zukunft ein lohnenswertes Motto für Borussia Mönchengladbach sein. Bei elf aktuellen Bundesligisten (Bayern, Stuttgart, Dortmund, Frankfurt, Hoffenheim, Freiburg, Bremen, Bochum, Mainz, Köln, Darmstadt) wird der Präsident bzw. Vereinsvorstand direkt durch die Mitgliederversammlung gewählt, bei drei Klubs (Augsburg, Heidenheim, Union) können die Mitglieder immerhin ohne Umwege den Aufsichtsrat wählen. Abgesehen von den Sonderfällen Leverkusen, Leipzig und Wolfsburg ist Borussia Mönchengladbach der Bundesligist mit der wenigsten direkten Einflussnahme für die Mitglieder auf die Gremienbesetzung.

Und da haben wir über die grundsätzliche Problematik einer Mitgliederversammlung an einem Montag um 18 Uhr noch gar nicht gesprochen.

 *In der ersten Version des Textes hieß es, es stünden nur so viele Kandidaten für den Aufsichtsrat zur Wahl, wie es freie Plätze gibt. Richtig ist: Zur Wahl hat der Ehrenrat einen Kandidaten mehr vorgeschlagen, als es freie Plätze gibt. Wir bitten, diesen Fehler zu entschuldigen.