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Wie Kai aus der Kiste kam in dieser Woche das neue Vereinspräsidium von Borussia Mönchengladbach über uns. Klandestin vorbereitet haute der Verein am Dienstagnachmittag die Meldung raus: Königs weg, Meyer weg. Dafür wird der honorige Altinternationale Rainer Bonhof zum Präsidenten, assistiert von Stefan Stegemann, dem Gladbacher Unternehmer Roger Brandts und der früheren NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Nicht wenige hielten diese Meldung zunächst für ein Fake, so unerwartet kam das Ganze. Ein neuer Präsident, zwei neue Vizepräsident:innen, das sieht auf den ersten Blick nach Veränderung aus. Aber auf den zweiten? 

Dass Rolf Königs amtsmüde war, war freilich kein Geheimnis. Schon nach dem unrühmlichen Ende der Ära Rose soll der damals 80-Jährige mit Rückzugsgedanken gespielt haben. Das Chaos vor, während und nach der Eberl-Demission war dem Vernehmen nach der Grund dafür, dass der Unternehmer im Amt blieb. Ein unbestelltes Feld wollte er seinem Nachfolger nicht übergeben. Nun räumt Königs mit 82 Jahren das Feld, eine Würdigung seines über 25-jährigen Schaffens wird es bei SEITENWAHL noch geben, das gilt auch für Hans Meyer, der seine Präsidiumstätigkeit ebenfalls beendet hat – auch er in einem Alter, in dem man ihm ein Kürzertreten nicht verübeln kann.

Hat sich Kevin Schulte in seinen Überlegungen zur demokratischen Verfasstheit Borussias explizit nicht über die Personalien ausgelassen, wollen wir an dieser Stelle kurz unsere Einschätzung kundtun, wie wir die Personalrochade an der Vereinsspitze einordnen.

Zuletzt hatten viele – SEITENWAHL eingeschlossen – einen Kulturwandel bei Borussia angemahnt. Die sportliche Entwicklung, so die These, kommt nicht von ungefähr. Das Klima im Verein ist womöglich nicht leistungsfördernd, die Strukturen möglicherweise verkrustet. Der Einfachheit halber zitieren wir uns an dieser Stelle selbst:

Bei Borussia sind offenbar grundlegende Dinge zu klären: Wie lässt sich die Kultur verändern, ohne die Identität aufzugeben? Ist das mit den aktuell handelnden Personen überhaupt möglich? Sitzen die richtigen Leute auf den richtigen Posten? Haben die Führungskräfte die Autorität, Dinge auch gegen Widerstände durchzusetzen, wenn Probleme erkannt werden? Ist man überhaupt bereit, Probleme anzuerkennen? Ist man bereit und in der Lage Mitarbeitenden, Spielern wie Funktionsträgern, Härten zuzumuten, wenn es nötig ist? Wie groß ist die Bereitschaft, Neuerungen zuzulassen? Braucht es neues Personal, das nicht schon im eigenen Saft weichgeköchelt ist? Braucht es für die Business-Seite des Ganzen auch mal Köpfe, die nicht aus dem Gladbacher Establishment stammen?

Nun sind die Führungskräfte teilweise neu. Einige wenige der hier gestellten Fragen lassen sich vorsichtig beantworten: Wirklich von außen kommen die Neuen im Vorstand nicht. Mehr „Gladbacher Establishment“ als Roger Brandts geht nicht. Der Unternehmer entstammt einer der alten Gladbacher Textildynastien, er ersetzt Rolf Königs quasi 1:1. Brandts selbst ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, an Wirtschaftskompetenz mangelt es dem neuen Präsidium nicht, mit Sonepar-Chef Stegemann sitzt ein weiterer Fachmann im Gremium. Daran gibt es nichts auszusetzen, im Gegenteil. Dass Borussia vernünftig und mit Augenmaß wirtschaftet, ist ein Charakteristikum, das den Verein positiv auszeichnet. Wer mit geliehenem Geld aus obskuren Quellen arbeiten will oder mit Investitionen, die in Wahrheit Wetten auf die Zukunft sind, sollte sich einen anderen Klub suchen. Die Personalie Brandts steht nicht nur für Wirtschaftskompetenz sondern eben auch für die weiterhin starke Verankerung Borussias in der Stadtgesellschaft.

Hannelore Kraft ist Borussia-Fan. Im Gegensatz zu vielen anderen Politikerinnen und Politikern – zum  Beispiel einem ihrer Vorgänger in der Düsseldorfer Staatskanzlei – meint sie das ernst. Kraft ist keine, die schon jeden Fanschal im Bundesland getragen hat, um sich bei potenziellen Wählerinnen und Wählern anzubiedern. Sie ist auch niemand, der das Stadion vor allem als Ort zur Netzwerkpflege begreift. Kraft hat eine Dauerkarte auf Ost, steht bisher in der Schlange vor dem Einlass wie wir alle. Das dürfte sich mit dem neuen Posten ändern – und womöglich den positiven Nebeneffekt haben, dass zwei Dauerkarten frei werden. Was die frühere SPD-Politikerin im Verein beitragen kann, ist schlechterdings nicht zu sagen. Kraft dürfte im ganzen Land hervorragend vernetzt sein, kann vielleicht hier und da neue Türen öffnen. Sie hat auch Führungserfahrung und womöglich einen etwas anderen Blick auf Strukturen und Abläufe im Verein, als die Menschen, die dort seit Jahrzehnten arbeiten oder mit denen sehr eng sind, die dort seit Jahrzehnten arbeiten. Dieser Satz steht allerdings ausdrücklich im Konjunktiv. Genau genommen ist bisher unklar, was genau Hannelore Kraft wird einbringen können. Dass erstmals in der Geschichte von Borussia eine Frau einen Führungsposten bekleidet, beurteilen wir unabhängig davon aber als ausgesprochen positiv.

Einen Hinweis darauf, dass die Neuformation des Präsidiums auch nur ansatzweise einen Kulturwandel herbeiführen könnte, sehen wir nicht. Eher im Gegenteil. Die Personalien bedeuten eine Manifestation der Verhältnisse. Mit Rainer Bonhof rückt ein Mann in die erste Reihe, der das Präsidium von Borussia ohnehin schon seit langem in der Öffentlichkeit repräsentiert. Es ist gut, jemanden zu haben, der für die erfolgreiche Geschichte des Vereins steht, der sympathisch rüberkommt und geradeaus reden kann. Dass jemand, der gefühlt schon immer da war, Grundlegendes verändert, ist freilich nicht zu erwarten.

Bonhof und Hans Meyer waren einst ins Präsidium geholt worden, um sportliche Kompetenz ins das Gremium zu bringen. Nun ist Bonhof aufgerückt, Meyer ist weg und für den Bereich „Sport“ rückt niemand nach. Das ist vor allem eine gute Nachricht für diejenigen, die bei Borussia festangestellt für das Sportliche verantwortlich sind. Roland Virkus, Steffen Korell und ihren Teams redet niemand rein, solange die schwarze Null steht. Wie SEITENWAHL das beurteilt, wird sich jeder zusammenreimen können, der die Texte der vergangenen Tage und Wochen zu lesen versteht.

Der Gewinner der Neuaufstellung ist der Geschäftsführer Finanzen. Stephan Schippers hat seine Macht zementiert. Die Positionierung Borussias als solides mittelständisches Unternehmen manifestiert sich durch die Personalie Brandts und auch Hannelore Kraft dürfte kaum für einen anderen wirtschaftlichen Kurs einstehen. Dass Borussia nicht zu Schalke oder dem HSV wird, ist damit klar und das finden wir gut und richtig. Aber, wie schon zuletzt bemerkt, ist es unter solchen Rahmenbedingungen umso wichtiger, dass im sportlichen Bereich plan- und phantasievoll gearbeitet wird. Das Scouting muss überdurchschnittliche Arbeit leisten, um die Spieler zu finden, die sich ein Verein wie Borussia leisten kann und die die Mannschaft verstärken und weiterbringen. Die Ergebnisse dieser Arbeit müssen sich im tatsächlichen Transfergebaren wiederfinden und nicht – Hannes Wolf lässt grüßen – zugunsten von Marotten eines Trainers oder anderen Funktionsträgers in der Schublade verschwinden. Es muss klare Anforderungsprofile und Bedarfsanalysen geben. Es dürfen keine Spieler gekauft werden, nur weil sie gerade mal auf dem Markt sind, solange sie nicht in diese Profile passen. Spieler sollen sich bei Borussia wertgeschätzt fühlen, aber die gern zitierte Wohlfühloase darf der Verein nur so weit sein, dass es die Leistungsfähigkeit und den Leistungswillen des Teams nicht beeinträchtigt.

Ob die Neuaufstellung des Präsidiums an dieser Stelle irgend etwas bewirkt, sehen wir aktuell nicht. Wirtschaftliche Solidität ist gut und wichtig, aber Borussia ist keine Bank. Am Ende ist wichtig eben doch aufm Platz. Beides unter einen Hut zu bekommen, ist die große Kunst. Um die zu kreieren, ist mehr nötig als Königs und Meyer durch Brandts und Kraft zu ersetzen.