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Es ist kein allzu neues Phänomen, dass gewisse Sachverhalte in den Medien vereinfacht und verzerrt dargestellt werden. So werden dieser Tage die Erfolge der Gladbacher Borussia von diversen Journalisten allein auf einen Mann zurückgeführt. Borussias Verantwortliche können sich noch so sehr bemühen, die beachtlichen Leistungen von Spielern wie Herrmann, Neustädter, Arango oder Hanke herauszustreichen. Marco Reus ist der Mann der Stunde. Und bei aller berechtigten Klarstellung der Mannschaftsleistung – ein Stück Wahrheit steckt in dieser Darstellung schon.


Denn mit seiner derzeitigen Form, die seit einigen Spielen sogar noch mit einer beeindruckenden Treffsicherheit einhergeht, sticht der Ex-Ahlener noch einmal aus dem ohnehin schon herausragenden Kollektiv hervor. So ist es kein Wunder, dass Reus für viele Spitzenklubs des Kontinents höchst interessant ist. Angesichts der offensichtlich bestehenden Ausstiegsklausel kommt der gemeine Gladbach-Fan nicht umhin, sich insgeheim mit dem Szenario zu beschäftigen, dass der neue Star der Erfolgself demnächst ein anderes Trikot überstreifen könnte. So klar, wie es von einigen Medien dargestellt wird, ist die Sachlage allerdings noch lange nicht.

 

Gerade die Verantwortlichen des FC Bayern suggerieren stets, welch wesentlichen Karrieresprung ein Wechsel für Reus bedeuten könnte. Nahezu jeder Fußball-Fachmann oder wer von den Medien dafür gehalten wird (seit neuestem offensichtlich sogar Kai Pflaume und Frank Elstner) darf dieser Tage Ratschläge an den Spieler verteilen, obwohl dieser wohl selbst ganz gut wird einschätzen können, welche Argumente für und welche gegen einen solchen Wechsel sprechen. Die Möglichkeit, mit einem Durchbruch bei den Bayern zum absoluten Superstar und National(stamm)spieler aufzusteigen, ist für einen Jungspieler ohne Frage verlockend. Die Gefahr, im Schatten von Ribery, Müller und Co. eher eine Nebenrolle zu spielen und zum Edeljoker zu verkommen, wird er ebenfalls nicht übersehen.

 

Es ist keine einfache Entscheidung, die Reus demnächst für sich wird treffen müssen. Es ist aber eine Entscheidung, die schon zahlreiche Spieler vor ihm getroffen haben. Allzu oft fiel diese gegen Borussia aus. In den allermeisten Fällen wirkte sich dies aber nicht wirklich positiv auf die weitere Karriere des betroffenen Akteurs aus. Nimmt man alle Spieler, die in den vergangenen 20 Jahren aufgrund starker Leistungen in den Fokus größerer Vereine gerieten und sich dann zu einem Wechsel entschlossen, so bietet sich jedenfalls ein interessantes Bild.

 

Den Anfang machte Stefan Effenberg, bei dem auf dem ersten Blick noch am ehesten zu vermuten wäre, dass er durch seinen Wechsel zu den Bayern seine Karriere befördert hat. Dies ist aber eher Legende als Wirklichkeit – zumindest wenn man den ersten Wechsel aus dem Jahr 1990 zurate zieht. Damals war der spätere Tiger nach 2 ½ erfolgreichen Jahren bei Borussia im Alter von 21 zum Rekordmeister gewechselt, wo er zumindest verbal eine Führungsrolle einnahm und die Konkurrenz aus der Pfalz gleich mal als „zu dumm für den Titel“ diffamierte. Zu dumm, dass aber selbst die einfältigsten Bauern ab und an dicke Kartoffeln finden. Kaiserslautern wurde Meister und Effe in seinem ersten Bayern-Jahr nur Vize. Ein Jahr später rutschte er sogar auf Platz 10 ab und verließ München in Richtung Florenz. Es folgte ein sensationeller Abstieg in die Serie B und die bekannte Stinkefinger-Affäre. 1994 lag Effes Karriere in Scherben, ehe erst die Rückkehr zur Borussia die Wende einläutete. Nach 4 sehr erfolgreichen Jahren für Borussia wagte er 1998 mit 29 Jahren als inzwischen gereifter Führungsspieler den Schritt zurück zum FC Bayern, was nunmehr von größerem Erfolg geprägt war. Erst jetzt wurde aus dem vorherigen Enfant terrible der Star, als der er heute in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.

 

Gemeinsam mit Effenberg feierte Heiko Herrlich 1995 sein größtes Jahr bei Borussia. Er wurde Torschützenkönig, Pokalsieger und fühlte sich nach einer guten Saison bereits in der Lage, im Alter von 23 Jahren zum Meister nach Dortmund zu wechseln. Das Wechseltheater, für das Borussia mit ca. 11 Mio. DM entschädigt wurde, war die Aufregung kaum wert. Herrlich konnte im Revier nie an seine überragenden Leistungen bei der Borussia anknüpfen. Seine Nationalmannschaftskarriere, die im Dress mit der Raute bei 3 Länderspielen gut begonnen hatte, endete bereits im Oktober 1995, also wenige Monate nach dem Wechsel.

 

Die tragischste Entscheidung traf 1999 Sebastian Deisler, der nach einem herausragenden Halbjahr, in dem er den ersten Abstieg von Borussia trotzdem nicht verhindern konnte, zu Hertha BSC Berlin wechselte. Mit seinen 19 Jahren war Deisler dem psychischen Druck in der Hauptstadt und erst recht später beim FC Bayern nicht gewachsen. Sein überragendes Talent ließ ihn zwar sportlich nicht enttäuschen. Seine Karriere wurde aber letztlich durch die bekannten Depressionen beendet.

 

Auch Robert Enke gehörte 1999 zu den wenig positiven Erscheinungen in Borussias Abstiegsjahr. Und auch er wechselte daraufhin mit 21 Jahren zu Benfica Lissabon, wo er sich immerhin als Stammspieler behaupten konnte. Der ganz große Schritt zum FC Barcelona gelang ihm dann aber nicht – ganz im Gegenteil: Enkes Karriere bekam einen gewaltigen Knick. Kurzzeitengagements in Istanbul und Teneriffa scheiterten kläglich und schienen die so hoffnungsvoll gestartete Karriere des Youngsters zu beenden. Erst als er sich 2004 im Alter von 27 zum Wechsel nach Hannover entschied, wurde Enke zu dem Top-Keeper und Nationaltorhüter, der er bis zu seinem Tode blieb.

 

Borussias Abstieg von 1999 war für Marcel Ketelaer in gewisser Weise ein Segen. In Liga 2 avancierte er zum neuen Fanliebling und weckte damit das Interesse der großen deutschen Vereine. Dem HSV gab er 2000 im Alter von 22 Jahren den Zuschlag – ein Schritt, den er schon bald bitter bereuen sollte. Anstelle einer glorreichen Karriere, auf die seine Leistungen im Borussen-Trikot hindeuteten, wurde er schnell zum Bankdrücker, dessen Karriere mehr und mehr versandete.

 

Einige Ähnlichkeiten weist das Bild bei Kettes Fast-Namensvetter Marcell Jansen auf. Auch dieser hatte insgesamt 2 ½ Jahre als Stammspieler bei Borussia auf dem Buckel ehe er sich dann mit 21 Jahren von den Bayern locken ließ. Immerhin war das Gladbacher Urgestein als Linksverteidiger bis in die Nationalmannschaft durchgestartet und schien gewappnet für höhere Weihen. Bei den Bayern wurde er aber trotz ordentlicher Leistungen nicht allzu sehr gewürdigt, so dass er bereits nach einem Jahr zum HSV flüchtete. Dort spielt er seitdem, kämpft immer wieder mit Verletzungen und stagniert letztlich auf einem Niveau, das sogar noch leicht unter dem zu sein scheint, was er einst für Borussia abzurufen in der Lage war. In der Nationalelf war er zwar immer wieder mal Thema, konnte aber auch hier gegenüber seiner Zeit als Borusse keine nennenswerten Fortschritte erzielen.

 

Alexander Baumjohann galt bereits als ewiges Talent, der von 2006 – 2008 kaum nennenswerte Einsätze in Borussias Profielf vorwies. Erst 2009 wurde er zum bestimmenden Akteur und belebte gemeinsam mit Marko Marin das Gladbacher Kreativspiel. Wieder einmal warfen die Bayern ein Auge auf einen Borussen-Spieler und auch Baumjohann konnte nicht widerstehen. Mit 22 Jahren wagte er den großen Schritt, sah aber bald ein, sich damit überfordert zu haben. Auch der Wechsel zurück zum FC Schalke war nur zeitweise erfolgreich, so dass Baumjohann zum jetzigen Zeitpunkt auf lediglich ein wirklich gutes Jahr in seiner Bundesliga-Karriere zurückblicken kann – nämlich jenes als Borusse.

 

Sein damaliger Partner Marko Marin, der ebenfalls 2009 mit 20 Jahren zu Werder Bremen wechselte, um dort international spielen zu können, enttäuschte zwar nicht ganz so stark. Von der großen Karriere, die sich in seinen 2 starken Borussen-Jahren andeutete, ist er heute aber relativ weit entfernt. In der Nationalmannschaft spielt er aktuell keine Rolle, da die Konkurrenz – u. a. in Person eines gewissen Marco Reus – groß ist und er zunächst einmal seinen Stammplatz bei Thomas Schaaf zurückerobern muss.

 

Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob auch ein Michael Bradley noch zu benennen sei, der zuletzt mit 23 Jahren glaubte, zu Höherem berufen zu sein, dann aber bei Aston Villa und Chievo Verona eines Besseren belehrt wurde. Ebenso ist Mikael Forssell ein Spezialfall, da dieser nur ein halbes Jahr für Borussia spielte – wenngleich damals mit überragendem Erfolg. Er kämpfte nicht allzu verbissen um seinen Verbleib, da er von Chelsea nur ausgeliehen war. Mit 22 Jahren wurde er nach Birmingham verliehen, wo er ein gutes Jahr hatte, danach aber nie den ganz großen internationalen Durchbruch feierte. Last but not least könnte Benjamin Auer genannt werden, der in seinen 2 Jahren als Borussen-Joker zwar nicht die ganz große Leistung brachte, der damals aber insbesondere von diversen Medien als verkanntes Toptalent hervorgehoben wurde, dem Hans Meyer seinen verdienten Stammplatz verweigerte. Das vermeintliche „Jahrhunderttalent“ flüchtete nach Mainz, doch anstatt in die Fußstapfen von Gerd Müller zu treten, wurde aus ihm ein brauchbarer Zweitligaspieler.

 

Wie auch immer man es dreht oder wendet. Fakt ist, dass kein einziger Spieler in den letzten zwei Jahrzehnten, der in relativ jungen Jahren (unter 25) glaubte, für Borussia „zu gut“ zu sein, anschließend den großen Durchbruch schaffte. Ihnen allen tat dieser vermeintliche Karrieresprung nicht allzu gut. Einige versandeten völlig, andere stagnierten. Eine große Karriere in der deutschen Nationalelf blieb allen verwehrt.

 

Kurioserweise feierten eher die Spieler anderswo große Erfolge, die bei Borussia mehr oder minder enttäuscht hatten - namentlich Oliver Bierhoff (1991 nach Salzburg), Martin Max (1995 nach Schalke), Andrej Juskowiak (1998 nach Wolfsburg), Andrej Voronin (2000 nach Mainz), Jan Schlaudraff (2005 nach Aachen), Marvin Compper (2007 nach Hoffenheim) sowie Eugen Polanski (2008 nach Getafe).

 

Nur wenige Spieler entschieden sich in den letzten beiden Jahrzehnten trotz herausragender Leistungen, zunächst noch bei Borussia zu reifen. Patrik Andersson blieb von 1993 – 1999 in Mönchengladbach, um erst mit 27 Jahren dem Ruf des FC Bayern zu folgen. Es ist müßig zu spekulieren, ob sein herausragendes Talent oder seine bei Borussia gefestigte Persönlichkeit zu seinen späteren Erfolgen führten. Fakt ist, dass der Schwede seinen Karriereweg im Nachhinein kaum bereut haben wird.

 

Geht man noch ein paar Jahre weiter zurück, dann fällt der Blick auf Michael Frontzeck, der von 1982 bis 1989 7 Jahre für Borussia verteidigte und dann mit 25 Jahren höchst erfolgreich den nächsten Schritt zum VfB Stuttgart einging.

 

Es ist zu hoffen, dass sich Marco Reus gerade diese durchaus vorbildlichen Karrierewege von Andersson und Frontzeck vor Augen führt. Sicher: Ein Vergleich zu anderen Spielern, die zu anderen Zeiten in anderen Situationen ihre Entscheidung getroffen haben, muss ganz automatisch ein wenig hinken. Die obige Auflistung sollte einem jeden Beobachter aber zu denken geben ob der öffentlich so weit verbreiteten Auffassung, dass ein Wechsel zum FC Bayern für einen jeden Spieler zu bejahen sein sollte. Ob Effenberg, Jansen oder Baumjohann – einem Fohlen hat ein solcher Wechsel jedenfalls in den letzten 20 Jahren nie gut getan. Erst für gereifte Führungshengste (Effenberg, Andersson) zahlte sich der Sprung zum Rekordmeister aus.

 

Zweifelsohne: Marco Reus hat es in seinen bislang 2 ½ Jahren als Borusse auf erstaunliche Weise geschafft, seine Top-Leistungen immer noch weiter zu steigern. In der Form der letzten Wochen ist er sogar noch überragender als alle in diesem Artikel aufgeführten Ex-Borussen und sollte für jeden Verein auf der Welt eine Bereicherung darstellen können. Von daher muss man auch als Borussen-Fan so ehrlich sein, dass die Chancen gut stehen, dass sich Reus auch jetzt schon bei einem Topverein durchsetzen könnte. Eine Gewähr hierfür gibt es aber nicht – wie einst ähnlich ambitionierte Spieler wie Marin, Jansen oder Herrlich leidvoll erfahren mussten.

 

Sofern es Borussia tatsächlich gelingt, die Saison auf den internationalen Rängen abzuschließen, gibt es gute Argumente, Reus noch zumindest ein bis zwei weitere Jahre an den Verein zu binden. So schön es sein mag, mit den Bayern mehr oder weniger garantierte Titel zu gewinnen. Auf Erfolge mit der Borussia könnte Reus ganz persönlich stolz sein. Landet er am Ende mit Borussia tatsächlich unter den ersten 6, dann ist dies etwas, das er ganz entscheidend mitgeprägt hat und mit dem er in der Fußball-Historie direkt identifiziert werden wird. Dies ist seine Mannschaft, die um ihn herum gewachsen ist zu einer verschworenen Gemeinschaft, in der er das Herz ist, in der er gewachsen ist zum Starspieler. Es dürfte Marco Reus schwer fallen, dies alles so einfach aufzugeben – zumal er weiß, dass er bei gleichbleibenden Leistungen auch in den kommenden Jahren noch problemlos zu einem Verein der Kategorie Bayern oder Arsenal wird gehen können. Von daher muss man kein Borussen-Fan sein, um ihm zu raten, die aktuelle Lage so gut wie irgend möglich und durchaus noch etwas länger als ein weiteres halbes Jahr zu genießen und auszukosten.