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1fckoeln In der 51. Minute des Spiels ist die Kamera kurz auf das Gesicht von Tim Wiese gerichtet. Er sucht die Blicke seiner Mitspieler, er ruft etwas etwas über den Rasen, was im Jubel von den Rängen und in der branchenüblich dröhnenden Toransage keiner versteht. Aber man kann es ihm problemlos von den Lippen ablesen, "was ist los?" schreit er. Zwei Minuten später will er nicht mehr wissen was los ist und ruft auch nichts mehr. Er lässt die Arme hängen und zuckt  mit den Schultern, der fleischgewordene Ausdruck der Ratlosigkeit seiner Vorderleute. Gerade hat Arango den Ball wunderschön zum 5:0 in den Winkel geschmettert. Die Gladbacher sind los.

Wie will man den Sieg des Fastabsteigers vom Niederrhein über den vermeintlichen Bayernjäger richtig einordnen? Auch wenn die Gladbacher kollektiv von der 40 Punkte Grenze sprechen und davon, dass man wisse, wo man herkommt, so werden sie doch von immer mehr Beobachtern verdächtigt, dass sie auch wissen, wo sie hinwollen. Zu glanzvoll war der Sieg gegen Bremen, zu atemberaubend schnell die Spielzüge, zu klar der Sieg, der nur deswegen nicht höher ausfiel, weil die Borussen den Arbeitstag nach 65 Minuten gnädig beschlossen. Als es 5:0 gegen Bremen stand.  Nachher wurde darauf verwiesen, dass den Bremern Naldo fehlte. Es wurde nicht darauf verwiesen, dass ein 21facher österreichischer Nationalspieler im Team stand, der noch viel schneller hätte sein müssen um von Reus überhaupt nur die Rückennummer zu erkennen. Oder dass der langjährige Nürnberger Kapitän Wolf aussah, als wäre er gerade aus der B-Jugend hochgezogen worden. Auch mit Naldo hätte Bremen nicht hoch gewonnen.


Bei der Beurteilung der Gladbacher Mannschaftsleistung fielen endlich auch einmal andere Namen als der von Reus. Besonders der quirlige, nie zu bremsende Herrmann gab den Bremern Rätsel auf. Der U20 Nationalspieler hattte schon in den Spielen zuvor ansteigende Form gezeigt, die fast widerstandslosen Bremer luden ihn zu einer Glanzleistung ein. Das schmale Leichtgewicht scheint verstanden zu haben, woraus es ankommt und zieht seine Zweikämpfe viel energischer durch als früher. Wenn er die Rasanz seiner Aktionen beibehält, werden alle noch viel Freude haben. Auch Arangos Pässe und Hankes Spielwitz wurden berechtigterweise gelobt, und trotzdem ging es am Ende doch wieder um Marco Reus.  Was allerdings nach 3 Toren (und 7 in 3 Spielen) auch nur schwer zu vermeiden ist, zudem sah das Solo zum 2:0 nach internationaler Klasse aus. Und bei allem Wert der Mannschaftsleistung und der konzentrierten Defensive ist es ja auch einfach so, dass Reus´ Schnelligkeit und Dribbelstärke, sein Zug zum Tor und seine nie erlahmende Spielfreude der Faktor sind, der die Borussen über Mittelklasse hinausheben kann.



Nun kehrt der langsam gesundende de Camargo ins Team zurück, dessen Fehlen Reus überhaupt erst in die vorderste Spitze brachte. Und schon  gehen die Spekulationen los, ob de Camargo zurück in den Sturm geht, Reus nach rechts und Herrmann nach draussen. Die meisten Fans werden sich wohl eine unveränderte Mannschaft gegen Köln wünschen; dafür würde sprechen, dass de Camargo nach seiner Pause und einem ersten Training am Dienstag wohl mit einer Einwechslung besser gedient ist. Nach der Spitzenleistung vom Samstag könnte man jeden dieser Mannschaft loben, zwei Namen heben wir noch einmal kurz heraus. Zum einen gestatteten die Bremer Roman Neustädter, seine Vorstellung eines spielerisch starken Sechsers konsequent durchzuziehen. Neustädter versucht sich immer an fußballerisch anspruchsvollen Lösungen; da wird der Ball nicht einfach profan weggeknallt. Dafür nimmt er es sogar in Kauf, dass ihm nach dem Stoppen eines hohen Balles dieser dann nicht mehr hohe Ball im eigenen Strafraum abgenommen wird. Dafür dürfte Favre klare Worte gefunden haben.



Zum anderen wollen wir Tony Jantschke ein paar warme Worte spenden. Er hat das Debakel von Hoffenheim gut überstanden und spielt seine Stärken im Zweikampf und im Tackling voll aus. Auch der "kicker" würdigte ihn nach einem U21 Spiel als "lästigen Gegenspieler" , der auf seiner Abwehrseite der gegnerischen Offensive ein schweres Spiel bereitet. Jantschke wirkt manchmal wie eine Art Levels 2.0 - ein klassischer Verteidiger mit wenig Akzenten in der Offensive, aber mit großer Entschlossenheit und feinem Timing, wenn er seine Tacklings ansetzt.




Der Gegner aus Köln


Wenn es um den 1.FC Köln geht, ist selten Langeweile im Spiel. Sobald ein wenig Ruhe droht, wird über einen Podolski-Wechsel spekuliert oder tritt der Vorstand zurück. Jeder im Verein und im Umfeld müht sich nach Kräften, den Klischees von Skandalnudel und Karnevalsverein nach besten Kräften zu entsprechen. Am besten gelingt das gemeinsam auf der Jahreshauptversammlung, die der Club dieses Mal weise vor das Heimspiel gegen die Borussia gelegt hat; trotzdem ist mehr Durcheinander schwer vorstellbar.



Auch sportlich gibt es immer etwas zu loben oder zu lästern und kaum Anlass zu Langeweile. Der Saisonbeginn wurde gründlich verpatzt, die Presse nahm so langsam Maß um sich auf Trainer Solbakken einzuschießen, da kam das Auswärtsspiel bei den starken Leverkusenern so ungelegen wie selten. Am Ende des Tages hatten die Kölner 4:1 gewonnen. Seitdem legten die Geissböcke auch drei Heimsiege in Folge nach,  unterbrochen aber von den drei Auswärtsniederlagen. Um nur einen kleinen Ausschnitt der Achterbahnfahrt zu bieten, auf die der FC seine Fans führt: 0:3 Debakel in Berlin, glatter 2:0 Sieg gegen Hannover, in der Höhe noch gnädige 5:0 Klatsche in Dortmund, ungefährdetes 3:0 gegen Augsburg, knappestmögliches 2:3 in Bremen nach 2:0 Führung und der festen Kölner Überzeugung, "wieder einmal" verpfiffen worden zu sein.



Aus der Flut an Statistiken, mit der wir besonders seit dieser Saison überhäuft werden, reichen relativ wenige sinnvolle, unter anderem jene der herausgespielten Chancen, womit man ein gewisses Maß hat, die Spielstärke einer Mannschaft zu ermitteln. In der Lesart des "kicker" kommt der 1.FC Köln (mit einem Spiel weniger) auf die wenigsten Chancen der Liga. Das ist zwar auch durch die ersten Spiele der Saison bedingt, als die Spieler des FC Solbakkens vieldiskutiertes System individuell interpretierten, und zwar jeder für sich anders. Dennoch ist der FC keine Mannschaft, die des Gegners Tor belagert oder Bundesligisten nach Belieben auseinandernimmt. Die Tore fallen oft durch Konter, zum Beispiel hatten die Kölner bei jenem Spiel in Leverkusen fünf Chancen im ganzen Spiel für die vier Tore. Es waren schon recht klare Chancen. Dadurch erklärt sich auch ein anderer Aspekt der Statistiken, die Kölner haben nämlich mit Abstand die beste Chancenverwertung der Liga.



Und das, obwohl Milivoje Novakovic, die Verkörperung des Begriffs "Strafraumstürmer", bereits seit Wochen ausfällt. Dafür legt der Gladbacher Lieblingsfeind Podolski eine gute Hinrunde hin mit neun Toren in 11 Spielen und öfters auch mit starken Partien. Seine Leistungen sind zum Teil auch dem Umstand zu verdanken, dass der Nationalspieler seit der Verpflichtung von Slawomir Peszko nicht mehr der einzige beachtenswerte Fußballer des Teams ist. Der trickreiche und agile Pole kann auf der linken Außenbahn für richtigen Alarm sorgen und harmoniert spielerisch gut mit Podolski. Der Kontrast mit Jantschke dürfte am Freitag für rassige Duelle sorgen, beide Spieler sind in der öffentlichen Wahrnehmung unterbewertet.



Im Gegensatz zur Kölner Abwehr, die nicht so leicht unterzubewerten ist. Neben dem guten Verteidiger Geromel hat der portugiesische Neueinkauf Sereno noch kein gleichwertiges Können gezeigt. Insofern trifft es die Kölner nicht mal übermäßig schlimm, dass er zusammen mit Martin Lanig die Rotsperre absitzen muss, die eigentlich für Mainz gedacht war. Allerdings ist der Kölner Kader auch nicht reich mit Klasseverteidigern bestückt, und die Wahl zwischen Pezzoni und McKenna für die Innenverteidigung gegen Reus lässt den Geissböcken jetzt schon den Blutdruck steigen. Möglicherweise schafft es Jemal noch, bis Freitag fit zu werden. Bei den Außenverteidigern sind die Optionen auch limitiert. Angefangen bei Eichner, der das hohe Niveau der letzten Rückrunde nicht halten konnte über Brecko, der keineswegs den Aufschwung hatte, den die Kölner Anfangs der Saison erkennen wollten, bis zu Andrezinho, der nicht mehr werden wird als einer der zahlreichen Fehleinkäufe aus der Meier-Ära.



Auch wenn die Fans der Borussia sich ansonsten ausgesprochen wohl fühlen auf den Höhenzügen der Tabelle, so fühlt sich eine Reise nach Köln aus dieser Perspektive doch irgendwie ungewohnt an. Das hängt auch damit zusammen, dass die Gladbacher in den vergangenen zwei Jahrzehnten noch auf den schlechtesten Tabellenplätzen mit dem  beruhigenden Wissen nach Köln fahren konnten, dass es dort sicher drei Punkte gegen den Abstieg geben würde. 22 Auswärtssiege, mehr als die Hälfte der Spiele in Köln, sind schon eine Hausnummer und in der Bundesliga nur von eh langweiligen Bayernstatistiken zu toppen. Im aktuellen Tabellen- und Formvergleich treten die Borussen dieses Mal aber als Favorit an, was bei so manchem Borussen die Frage hervorruft, ob man ein Spiel selbst dann gewinnen kann, wenn man das stärkere Team stellt. Die Antwort darauf erhalten wir am Freitag abend und sie könnte gut lauten: Dann erst recht.




Aufstellungen:

Borussia: ter Stegen; Jantschke, Dante, Brouwers, Daems; Herrmann, Nordtveit, Neustädter, Arango; Hanke, Reus


Köln: Rensing; Brecko, Geromel, McKenna, Eichner; Riether, Matuschyk, Clemens, Jajalo; Peszko, Podolski




SEITENWAHL-Tipps


Christian Spoo
: Die Legende geht: Borussia und Köln sind zwei Teams, die - egal ob in Liga eins oder zwei - stets mehr oder weniger auf Augenhöhe agieren. Spielen sie aber gegeneinander, zumal in Köln-Müngersdorf, wächst Borussia über sich hinaus und gewinnt.
Die Wirklichkeit in diesem Jahr sieht anders aus: Borussia hat sich mit tollem Fußball in die Spitzengruppe gespielt. Der FC steckt dank stark schwankender Leistungen im Mittelfeld. Borussia fährt in der öffentlichen Wahrnehmung als haushoher Favorit nach Köln, kommt dort aber nicht über ein 1:1 hinaus.

Christoph Clausen
: Die Phantasien schlagen Salti in Kantersieghöhen. Aktion Bodenhaftung verlangt nach einem antizyklischen Tipp. Sagen wir also 1:1.

Michael Heinen
: Selbst wenn die letzten Auftritte der Borussia überragend waren, so sollte man nicht übersehen, dass es auswärts auch schon einige schwächere Spiele zu sehen gab. Aber dies ist kein Auswärtsspiel, sondern das Derby. Von daher ist mit einer weiteren Borussen-Gala zu rechnen. Mit 3:1 lässt man den Sieg dieses Jahr gnädig ausfallen.

Christian Heimanns:
Das Spiel ist nicht die reine Formsache, als die der Borussenanhang es mit steigender Laune betrachtet. Die Ausfälle oder gerade wiedergenesenen im Kölner Kader kommen den Gladbachern allerdings entgegen und das reicht zu einem 2:1 Sieg.