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1. FC NürnbergEin Lächeln strich über Dieter Heckings Gesicht. Anders als manche Nürnberger Spieler hatte er in seiner Spielanalyse kein Wort über Babak Rafati verloren, was eine sofortige Nachfrage durch kicker-Redakteur Frank Linkesch zur Folge hatte. Nachdem Hecking eine Weile stumm in sich hinein gelächelt und die Worte sorgfältig abgewogen hatte, war die gewünschte diplomatische Antwort gefunden. Nürnbergs Trainer verwies auf eine öffentliche Diskussionsrunde unter der Woche, in der er sich gemeinsam mit Hans Meyer auf die Suche nach dem perfekten Spiel begeben hatte. Dazu, resümierte Hecking, „gehören zwei Mannschaften und gehört ein Schiedsrichtergespann. Heute war es kein perfektes Spiel“. Lächelte wieder und hatte alles gesagt.

 

Solche Feinsinnigkeit ist selten auf Bundesliga-Pressekonferenzen, und jener Teil der Medienschaffenden, der Sinn dafür hatte, quittierte Heckings Antwort mit spontanem Applaus. Ein besseres Fazit kann man sich kaum denken. Das Spiel in Nürnberg war von Perfektion weit entfernt, das beider Mannschaften ebenso wie das des Schiedsrichtergespanns.

 

Natürlich hätte Hecking Anlass gehabt, sich über Rafati zu beschweren. Man mag aus Gladbacher Sicht relativieren: Man mag bezweifeln, ob Idrissou im Strafraum Wollscheid überhaupt getroffen hatte, als die Nürnberger zum zweiten Mal vehement Elfmeter forderten.  Man mag auf mancherlei fragwürdige Freistöße für Nürnberg hinweisen, vor allem in der zweiten Hälfte, als die Hausherren offensichtlich auf Konzessionsentscheidungen spekulierten. Man mag argumentieren, dass der kurz vor Schluss tatsächlich verhängte Strafstoß genau in diese Kategorie gehört. Letztlich aber lässt sich kaum ernsthaft bestreiten, dass Rafati die Gastgeber in wenigstens zwei entscheidenden Situationen benachteiligte: Nach Stranzls Halten gegen Wollscheid wären Strafstoß und eine gelb-rote Karte zwingend geboten gewesen. Und der Nürnberger Ausgleichstreffer hätte natürlich anerkannt werden müssen.

 

Die Gladbacher nahmen das mit der üblichen Mischung aus Verschämtheit und Trotz zur Kenntnis. Man kann sie verstehen. Der Spieler, der sich für falsche Schiedsrichterentscheidungen zu eigenen Gunsten entschuldigt, muss noch geboren werden. Auch die Wüteriche unter den Nürnberger Spielern hätten das in umgekehrter Situation nicht getan. Auch sie hätten an Fehlentscheidungen zu eigenen Lasten in anderen Spielen erinnert. Das ist in der Bundesliga so üblich, und so verfuhren jetzt natürlich auch die Gladbacher.

 

Schließlich wollte man sich Freude und Erleichterung über die so wichtigen drei Punkte nicht schmälern lassen. Sechs Niederlagen in Folge, Tabellenletzter, eine Hinrundenausbeute, nach der bislang noch kein Bundesligateam die Klasse hielt, 47 Gegentore – da fragt man nicht allzu genau nach dem Wie, wenn man zum Rückrundenstart auswärts siegt, und das sogar zu Null.

 

Ohnehin hatten die Borussen das Ihrige zum Sieg beigetragen. Zumindest fünfzig, sechzig Minuten lang hatten sie sicher kein perfektes, mindestens aber ein ordentliches, vielleicht sogar ein gutes Spiel absolviert. Das neu formierte Innenverteidigerduo Stranzl und Nordtveit agierte aufmerksam und oft abgeklärt. Die Offensivspieler, insbesondere Idrissou, arbeiteten sehr engagiert in der Defensive mit. Vor der Abwehr konnte Roman Neustädter an seine gute Leistung aus dem Spiel gegen den HSV anknüpfen. So ließ man die Nürnberger, denen man freilich auch das Fehlen von Spielgestalter Gündogan anmerkte, kaum zu gefährlichen Offensivaktionen kommen. Auch die Anfälligkeit bei hohen Bällen hatte man dank eines in der Strafraumbeherrschung verbesserten Heimeroth und einer höheren Zahl kopfballstarker Spieler erheblich reduziert.

 

Vorne erzielte man früh ein wunderbar herausgespieltes Tor und hätte, wiederum nach starker Kombination, mit etwas Glück kurz darauf erhöhen können. An beiden Szenen war Mike Hanke maßgeblich beteiligt, wie der Neuzugang überhaupt gefallen konnte. Fleißig in der Defensivarbeit, überlegt im Passspiel, variabel in seinem Ausweichen auf die Flügel: Dass Hanke in der 71. Minute das Feld verließ, hatte nichts mit seiner Leistung, sondern allein mit schwindenden Kräften zu tun. Tatsächlich hing es wohl auch mit dem Fehlen ihrer Anspielstation in vorderster Front zusammen, dass die Borussen in den letzten zwanzig Minuten kaum noch zu Entlastungsangriffen kamen.

 

Das Spiel zeigte eben auch, wie wenig Wasser der Grenzfluss zwischen Jubel und Beschimpfung manchmal führt. Wäre Mendlers Treffer gegeben worden, wütende Diskussionen über Christofer Heimeroths Bundesligatauglichkeit wären nicht ausgeblieben. Zwischenstufen zwischen Held und Versager sind der gemeinen Fanseele ja fremd. Oder: Hätte Rafati in der 33. Minute auf den Punkt gezeigt und Stranzl vom Platz geschickt, das Spiel hätte sich so entwickeln können, wie so manches andere in der Hinrunde: Engagierter, sogar guter Beginn, die Führung, dann aber eine einzige unglückliche Situation, die alles wieder zunichte macht. Man kann das miesepeterisch deuten: Bis aufs Glück alles beim alten. Oder positiv: Das Spiel illustrierte rückwirkend die These, dass auch bei den vielen Niederlagen der Hinrunde der Sieg oft in Sichtweite war.

 

Wie Dieter Hecking wollte auch Michael Frontzeck sich nach dem Spiel nicht lange mit dem Schiedsrichter aufhalten. Wer wollte es ihm verdenken? Insgeheim aber weiß der Trainer natürlich, dass man sich nicht auf diese Art der Unterstützung wird verlassen dürfen. Es bleibt viel zu tun: Die Borussen dürfen es sich nicht zur Gewohnheit machen, spätestens ab Mitte der zweiten Halbzeit einzubrechen. Gerade in dieser Phase zogen sie sich in Nürnberg wieder viel zu weit zurück und ließen zudem viel zu viele Freistöße in Strafraumnähe zu, darunter auch viele berechtigte. Vorher waren Kontersituationen zu unkonzentriert zu Ende gespielt worden, wobei sich insbesondere de Camargo unglücklich präsentierte.

 

Gegen Leverkusen wird man sich das vielleicht nicht leisten können. Aber bis dahin ist ja noch eine Trainingswoche Zeit, um auf der Suche nach dem perfekten Spiel ein paar Tapser voranzukommen. Nobody’s perfect. Mit ausreichend wäre man schon zufrieden. In der Schule reicht das für die Versetzung.