Der ebenso erzwungene wie erwünschte Umbruch bei Borussia Mönchengladbach nimmt langsam Formen an. Nach den bereits feststehenden Zukäufen von Julian Weigl, Lukas Ullrich und Grant-Leon Ranos sind in dieser Woche vier weitere Personalentscheidungen getroffen worden: Co-Trainer Guido Streichsbier und Teammanager Rene Flägel komplettieren das Trainerteam. Mit Robin Hack und Fabio Chiarodia werden die Neuzugänge 4 und 5 in diesem Transferfenster verpflichtet.

Am beachtlichsten erscheint dabei der Transfer von Chiarodia, um den in den letzten Jahren zahlreiche Topklubs geworben haben. Ihm konnte Roland Virkus erfolgreich verdeutlichen, in Mönchengladbach eine bessere Perspektive als in Bremen, Dortmund, Leverkusen oder Italien vorzufinden. Dank einer Ausstiegsklausel kann der italienische Innenverteidiger Werder Bremen für zwei Mio. Euro verlassen. Für die Hanseaten, die das Talent behutsam an den Profifußball heranführen wollten, ein herber Verlust. 2022 wurde der damals 16jährige durch seine Einwechselung in der Nachspielzeit bei Jahn Regensburg zum jüngsten Spieler der Vereinsgeschichte. Ein Jahr später debütierte er nach Werders Aufstieg in der Bundesliga, wo er aber nur auf vier Kurzeinsätze kam – davon zwei Einwechselungen kurz vor Spielende. In der Bundesliga fand der einzig nennenswerte Einsatz im Borussia-Park statt. Dort stand Chiarodia überraschend in der Startelf und ermöglichte Lars Stindl durch einen Ballverlust nach 7 Minuten die erste Großchance. Davon abgesehen agierte er beim für Werder glücklichen 2:2 aber solide.

Obwohl er in Oldenburg geboren wurde, entschied sich Chiarodia für eine Karriere in der italienischen Nationalelf, mit der er 2022 an der U17-Europameisterschaft teilnahm und zuletzt in der U19 zum Einsatz kam. Mit gerade einmal 18 Jahren verfügt er über eine hervorragende Perspektive und könnte sich für Borussia langfristig zu einem Königstransfer entwickeln. Physisch muss er noch weiter zulegen und sich an das hohe Tempo in der Bundesliga gewöhnen. Wenn ihm dies gelingt, könnte er schon in der kommenden Saison eine Alternative für Borussias zuletzt schwächelnde Innenverteidigung darstellen, wo er als Linksfuß ein Nachfolger für Nico Elvedi sein könnte. Da es allerdings genügend Beispiele von Talenten gibt, denen trotz hoher Erwartungen der Durchbruch versagt geblieben ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr, aber auch nicht weniger sagen, als dass Borussia einen sehr talentierten Innenverteidiger verpflichtet hat, an dem Gerardo Seoane nicht ohne Grund schon in Leverkusen interessiert war.

Während der Transfer des Ex-Bremers positiv überrascht, fällt es etwas schwerer, Borussias Gedankengänge beim Kauf von Robin Hack nachzuvollziehen. Dass für ihn trotz des Bielefelder Abstiegs eine Ablöse von kolportierten 1,1 Mio. Euro fällig wird, ist dabei das geringste Problem. Um dies bewerten zu können, fehlt uns das Wissen um die genaue Vertrags- und Verhandlungssituation. Ohnehin werden Transfers viel zu oft nur an der vermeintlichen Ablösesumme gemessen. Die Summen, die per Handgeld (an Berater und/oder Spieler) bzw. über das Gehalt fließen, spielen eine ebenso große Rolle und werden meist nicht bekanntgegeben.

Besser beurteilen lässt sich aber die sportliche Leistung von Hack, der immerhin bereits 6 Jahre Profifußball auf dem Buckel hat und somit nicht mehr als Talent gelten kann. Insgesamt kann er in diesem Zeitraum auf 33 Bundesliga-Spiele, ein Tor und drei Vorlagen verweisen. In 88 Zweitliga-Spielen kam er auf 24 Treffer und 11 Vorbereitungen. Diese Zahlen verdeutlichen, dass er ein überdurchschnittlich guter Zweitligakicker ist, dem der Durchbruch in Liga 1 bislang versagt geblieben ist.

Hack gilt als dribbelstarker, technisch ordentlicher Linksaußen, der auch auf der rechten Angriffsseite sowie im offensiven Mittelfeld einsetzbar ist. Mit seinen 1,76 Metern tritt er logischerweise nicht gerade als Kopfballungeheuer auf. Auch in der Defensivarbeit zeigt er bisweilen Schwächen, die er sich in der Bundesliga nicht erlauben kann.

2017 stieg Hack mit 18 Jahren in die Profimannschaft der TSG Hoffenheim auf, wo er in zwei Jahren aber lediglich 193 Pflichtspielminuten absolvierte. In seinem zweiten Jahr wurde er von Julian Nagelsmann nicht mehr berücksichtigt – mit einer prominenten Ausnahme. Ausgerechnet beim Champions-League-Spiel gegen Manchester City absolvierte Hack seine einzigen 5 Pflichtspiel-Minuten der Saison 2018/19.

Um seine Karriere voranzubringen, wechselte er 2019 zum Bundesliga-Absteiger nach Nürnberg, wo er in Liga 2 besser zurechtkam. In seiner ersten Club-Saison war er mit 10 Treffern bei 31 Spielen relativ torgefährlich, ehe er 2020/21 durch eine Sprunggelenksverletzung zurückgeworfen wurde und daher nur noch auf 23 Einsätze (4 Tore, 5 Vorlagen) kam. Trotzdem erweckte er das Interesse des damaligen Erstligisten aus Bielefeld, der ihn im Sommer 2021 verpflichtete. In seiner ersten Saison auf der Alm kam er aber nur auf 13 Startelf-Einsätze und blieb dabei ohne Torerfolg (3 Vorlagen). Erst durch den Abstieg der Arminia und den damit verbundenen Abgang von Patrick Wimmer ergaben sich in Liga 2 neue Möglichkeiten, die er besser zu nutzen verstand. Mit immerhin erneut 10 Toren und 5 Vorlagen war ihm der Durchmarsch in die 3. Liga nicht wirklich anzulasten.

Hack hat alle Jugendmannschaften des DFB von der U16 bis zur U21 durchlaufen und galt daher vor einigen Jahren als vielversprechendes Talent. Diesen Hoffnungen konnte er in seiner bisherigen Karriere aber nicht gerecht werden. Mönchengladbach wird sein vierter Profiverein und sein dritter Anlauf, doch noch in Liga 1 Fuß zu fassen. Realistisch betrachtet dürfte er sich eher mit Hannes Wolf und Patrick Herrmann um vereinzelte Kurzeinsätze balgen.

Zu guter Letzt ist die sinnvolle Ergänzung des Trainerstabs zu begrüßen. Der 53jährige Guido Streichsbier wechselt aus der U19 des DFB als Co-Trainer an den Niederrhein. Durch seine langjährige Erfahrung im Jugendbereich ist er prädestiniert, sich um die seit Jahren vernachlässigte Talentförderung des Vereins zu kümmern. Mit Rene Flägel wurde zudem ein neuer Teammanager gefunden, der zuletzt drei Jahre beim VfL Osnabrück auf dieser Position agierte. Flägel hat selbst keine große Spielerkarriere hingelegt, sondern kam mit dem SC Rönnau nicht über die Verbandsliga hinaus. Er entschied sich aber schon früh für eine andere Karriere im Profifußball, sodass er zukünftig bei Borussia mit erst 28 Jahren das Bindeglied zwischen Management und Mannschaft darstellen wird.

Mit Christofer Heimeroth wurde einer der letzten Zöpfe aus der Eberl-Ära abgeschnitten, was bei aller Wertschätzung für den Ex-Schalker eine gute Nachricht ist. Anderthalb Jahre nach der tränenreichen Verabschiedung des einstigen Sportdirektors hat der Verein jetzt endgültig keine Ausreden mehr, sondern die Weichen dafür gestellt, um unter Roland Virkus eine eigene Erfolgsgeschichte zu schreiben. Nils Schmadtke kann sich durch die Verpflichtung Flägels zu 100 % auf den Kaderumbau konzentrieren. Eine Herkulesaufgabe, die noch sehr viel Arbeit und Finesse erfordern wird. Die bisherigen Neuzugänge sind – mit Ausnahme der festen Verpflichtung von Weigl – eher als Verstärkungen in der Breite bzw. für die langfristige Zukunft zu verstehen. Eine Weichenstellung, die ebenfalls sehr wichtig ist, da Borussia in der vergangenen Saison kaum adäquat auf personelle Ausfälle reagieren konnte.

Spätestens nach Beendigung der U21-EM am 8. Juli sollte aber die Zukunft von Manu Kone geklärt werden, für den sich Borussia bei einem Verkauf eine hohe Ablöse verspricht, durch die der Verein auf dem Transfermarkt endlich so richtig handlungsfähig würde. Ob sich nach seiner dürftigen Vorsaison tatsächlich ein Interessent findet, der bereit ist über 40 Mio. Euro zu zahlen, wird sich zeigen. Umso mehr seien Kone und der französischen Mannschaften die Daumen für eine erfolgreiche Europameisterschaft gedrückt.

Ebenfalls klären wird sich hoffentlich bald die Zukunft der Spieler, deren Vertrag 2024 ausläuft. Bei Herrmann, Wolf, Lainer, Jantschke, Sippel und Doucouré wäre notfalls auch ein ablösefreier Abgang im nächsten Jahr zu verschmerzen. Sofern aber Nico Elvedi und Florian Neuhaus ihre Verträge nicht verlängern wollen, sollten sie möglichst noch diesen Sommer den Verein verlassen – diese klare Ansage hat Borussia bereits öffentlich verlauten lassen.

Das Problem besteht leider darin, dass sich Spieler und Berater in der besseren Position befinden. Es kann noch so sehr bejammert werden, dass ein Marcus Thuram den Verein um eine zweistellige Millionensumme gebracht hat. Aber kann man es einem Menschen ernsthaft vorwerfen, lieber selbst ein Handgeld von rund 10 Mio. Euro einzustreichen? Wer von uns würde das in einer vergleichbaren Situation anders machen? Die Vorstellung, ein Spieler könnte in Borussia etwas anderes als einen Arbeitgeber sehen, ist eine allzu verträumte Fansicht, die mit der Realität des modernden Profifußballs leider nur noch sehr wenig zu tun hat.

Eine Lehre aus der aktuell vertrackten Situation könnte darin bestehen, sich noch früher um auslaufende Verträge zu kümmern. Statt erst im letzten Jahr vor Vertragsende händeringend nach potenziellen Abnehmern zu suchen, werden Verkaufsvereine wie Borussia bereits zwei Jahre vor Vertragsende auf eine Verlängerung oder einen Wechsel drängen müssen. Nur so wird sich das Gladbacher Erfolgsmodell des vergangenen Jahrzehnts, talentierte Spieler zu entwickeln und für sie entsprechende Ablösen zu kassieren, in die Neuzeit übertragen lassen.