Mannschaftsfoto 2023 24Nachdem Michael Heinen gestern im ersten Teil unseres alljährlichen Borussen-Checks die aufregende Sommerpause von Borussia Mönchengladbach noch einmal in aller Gründlichkeit anhand der objektiven Fakten aus verschiedenen Blickwinkeln aufbereitet hat, folgen nun die subjektiven Einschätzungen unserer Redaktionskollegen dazu, wohin der Weg unseres Vereins in der Saison 2023/24 führen wird. Umbruch ist dabei - wie man sich vorstellen kann - der meistgebrauchte Begriff. Hier sind sie, unsere Untergangsfantasien:

Michael Heinen

Wie gestern im Borussen-Check 2023/24 ausführlich dargestellt, halte ich in dieser Saison viele Szenarien für denkbar, die sich zwischen Platz 5 und 18 bewegen. Einen Totalabsturz möchte ich mir nicht vorstellen.

Dafür sehe ich den Trainer sowie trotz aller Qualitätsverluste auch den Kader als zu stark an, um nicht mindestens den 1. FC Köln und zwei andere Mannschaften hinter sich zu lassen. Am realistischsten erscheint mir eine wechselhafte Saison mit Höhen und Tiefen, in der sich Borussia in der Region zwischen Platz 8 und 14 einpendelt und am Ende hoffentlich im oberen Bereich dieser Tabellenregion eintrudelt. Eine Wiederholung von Platz 10 könnte bei entsprechendem Auftreten der Mannschaft, einer erkennbaren Handschrift des Trainers und einer gesunden Perspektive mit jungen, entwicklungsfähigen Talenten schon als Erfolg gewertet werden.

Uwe Pirl

Die veröffentlichten Meinungen über Borussia Mönchengladbach gehen auseinander in diesen Tagen. Kicker meets DAZN sieht uns in Europa, 11Freunde sehen uns in der Relegation oder gar als Absteiger. In etwa entspricht das auch der Bandbreite dessen, was Fans von der neuen Saison erwarten. Grenzen wir es also ein: Wird Borussia Meister? Mit Sicherheit nicht! Qualifiziert sich Borussia für die Champions League? Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, dazu ist zu viel Qualität verloren gegangen. Steigt Borussia direkt ab? Mit Sicherheit nicht! Muss Borussia in die Relegation? Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht, dazu ist noch zu viel Qualität vorhanden. Dazwischen scheint vieles möglich – sowohl ein Durchstarten in Richtung Europa League als auch eine zähe Saison in Tuchfühlung zum Tabellenkeller. Die Neuzugänge sind in der Bundesliga neu, der Trainer ist beim Verein neu, die neue Struktur auf und außerhalb des Platzes muss sich finden. Ungewissheiten gibt es also genug.

Ich tendiere trotzdem eher zu der optimistischen Annahme einer Saison im vorderen Mittelfeld, die irgendwo zwischen Platz 7 und 10 endet. Woraus speist sich dieser Optimismus? Zum einen aus dem eingeleiteten Umbruch. Die Spieler, die den Verein verlassen haben, hatten ganz offensichtlich nur noch in Highlightspielen Lust (deutliche Ausnahme: Stindl). Die Spieler, die gekommen sind, müssen sich in der Bundesliga beweisen und wollen noch etwas erreichen. Da mag weniger Qualität vorhanden sein, mit hoher Wahrscheinlichkeit aber mehr Wille, sich durchzubeißen. Zum anderen daraus, dass der Trainer einen Ansatz zu verfolgen scheint, der zum vorhandenen Personal besser passt, als dies Daniel Farke letztes Jahr gelang. Als Beispiel: Ngoumou und Ballbesitzfussball? Kann man vergessen. Ngoumou und schnelles Umschaltspiel? Aussichtsreich. Und ein bisschen spielt natürlich auch die Schwäche einiger anderer Bundesligisten eine Rolle bei dieser Einschätzung. Glaubt wirklich jemand, dass wir hinter Darmstadt, Heidenheim, Bochum landen? Ich nicht.

Wichtiger als die Endplatzierung ist ohnehin, dass man auf dem Platz wieder ein Kollektiv sieht, dass sich Mühe gibt, Potentiale auszuschöpfen. Das hat in den letzten Jahren gefehlt. Die Anhängerschaft wird Platz 9 wertschätzen, wenn glaubhaft wird, dass man alles dafür getan hat.

Michael Oehm

Da ist er nun endlich, der Umbruch! Und es wurde ja auch höchste Zeit, wie niemand bestreiten wird. Andererseits hat das Ausmaß dann doch viele verunsichert. Besonders sticht der Abgang Hofmanns zur Ligakonkurrenz hervor. Dabei wird deutlich, wie weit Vereine, mit denen man sich fast auf Augenhöhe wähnte (was in dem Fall leider aber auch nie wirklich stimmte), nun wieder enteilt sind. Auf den zweiten Blick liegt jedoch hier eine Chance. Jonas Hofmann war eine wichtige Rolle in Borussias neu formierter Mannschaft zugedacht. Dass er diese Rolle auf diese Weise ablehnte, zeigt, dass er nie der Richtige für sie war. Ein Spieler, der Borussia Mönchengladbach vorangehen und prägen soll und das auch kann, der geht nicht zu Bayer Leverkusen und reiht sich dort ins zweite Glied. Vielleicht ist Borussia also ein bisschen zum Glück gezwungen worden. 

Jedenfalls scheinen die wesentlichen Hierarchien der Mannschaft aufgebrochen. Wöber und Honorat könnte dadurch vielleicht ein anderes Standing und eine echte Chance auf die Prägung einer Mannschaft eingeräumt worden sein, was wiederum eine echte Veränderung erlaubt. Es ist zweifellos eine sehr radikale Transformation, die die Borussia gerade durchmacht, aber vermutlich hat sie sie auch gebraucht wie kein zweiter Verein der Bundesliga.  

Da ist viel Konjunktiv im Spiel, aber der Blick auf die Vorbereitung macht Mut. Gerardo Seoane hat zusammen mit den Neuzugängen bis hierhin eine seriöse Arbeit abgeliefert, die etwas Optimismus rechtfertigt. Die Größe des Umbruchs macht eine ruckelfreie Saison natürlich absolut utopisch. Aber wenn man die Schwächephasen in Grenzen halten könnte, dann ist Seoane und seiner neuformierten Truppe eine Platzierung ein bis zwei Stellen oberhalb der letzten Saison zuzutrauen. Was ein echter Erfolg und auch ein Gewinn für den Verein wäre: Man hätte zumindest etwas an verlorenem Boden in der Liga wieder gutgemacht, und das wäre sehr wichtig im Hinblick auf weitere potentielle Neuzugänge. Denn der Umbruch wird nach dieser Saison keinesfalls abgeschlossen sein.  

Christian Spoo

Ein Umbruch sollte es sein – ein Umbruch wurde es. Mangelnde Konsequenz beim Umbrechen ist wirklich das Letzte, das man Virkus, Schmadtke und Konsorten vorwerfen kann. Spielern, mit denen man nicht weiterarbeiten möchte, wurde recht deutlich die Tür gewiesen und so ist es vermutlich nur noch eine Frage von Tagen, bis wir auch Hannes Wolf und den comittmentunfreudigen Nico Elvedi in neuen, andersfarbigen Trikots sehen werden. Dass ausgerechnet Manu Koné unter den Stammspielern sein würde, die bleiben, hätte vor einigen Wochen noch niemand gedacht, aber kurz vor dem ersten Spieltag sieht es tatsächlich so aus, als würde der junge Franzose noch eine weitere Saison im Borussia-Park wirken. Und warum auch nicht. Borussia hat genügend Leistungsträger (oder solche, die es hätten sein können) abgegeben. Ein Mann mit den Stärken von Koné steht dem Kader gut zu Gesicht.

Den größten Aderlass gab es in der Offensive, gleichzeitig wurden hier die Neuen geholt, auf denen die größten Hoffnungen ruhen. Auch wenn Borussia auf dem Papier dort jetzt schwächer aufgestellt ist als in der Vorsaison, so könnte es mit neuen Spielern und neuer Spielidee besser funktionieren, Honorat, Hack und Ngoumou haben das Tempo, das vorher oft gefehlt hat. Alassane Plea könnte in neuer klarer Rolle segensreich wirken. Zudem sind ein oder je nach Verlauf der restlichen Transferphase sogar zwei „echte“ Mittelstürmer da. So etwas hat es in Gladbach recht lange nicht mehr gegeben.

Die meisten Sorgen macht die Abwehr. Das zeigten Test- und Pokalspiele deutlich. Vor allem die Außenpositionen sind dünn besetzt. Auf rechts hatte Joe Scally seinen Stammplatz zuletzt an Stefan Lainer verloren. Dessen Erkrankung führt dazu, dass Scally sich seines Platzes fürs Erste sehr sicher sein kann. Auf links ist Luca Netz jetzt „dran“, er war schon lange als Nachfolger für Ramy Bensebaini ausersehen. Seine Schwächen in der Defensive sind allerdings in der Vorbereitung regelmäßig zu Tage getreten. Auch die mögliche Alternative Lucas Ullrich hat ihre Stärken eher im Spiel nach vorne. Muss also Maximilian Wöber künftig links verteidigen? Und was passiert dann in der Mitte? Marvin Friedrich hat auch in den Testspielen nie den Eindruck erweckt, er könnte Teil der Lösung sein. Ergo: Hier müsste bei möglichen Last-Minute-Aktivitäten auf dem Transfermarkt das größte Augenmerk liegen. Passiert nichts, sollte sich Gerardo Seoane überlegen, ob Tony Jantschke wirklich zwangsläufig nur noch ein Backup sein muss.

Kurzum: Es gibt einiges, das Lust auf die neue Saison macht. Euphorie allerdings ist nicht angebracht. Realistisch ist ein weniger langweiliger und stellenweise vielleicht sogar begeisternder Fußball. Realistisch sind aber auch deftige Niederlagen, wenn es nach vorne mal nicht so gut läuft. Das reicht hoffentlich trotzdem für eine Saison, in der Borussia sich nie ernsthaft mit dem Abstieg beschäftigen muss. Wenn die Mannschaft das hinkriegt und am Ende zwischen Platz 9 und 13 einläuft, ist alles okay.

Christian Grünewald

Alle machen sich offenbar Sorgen um Borussia Mönchengladbach. Und nach dem Exodus der meisten großen Namen sind solche Schlagzeilen natürlich einfach. Beim Boulevard sowieso, auch wenn der nach einem Kantersieg über einen Oberligisten auch schnell und gern wieder ins Gegenteil umschlägt. Beim ZDF, wo Moderator Breyer nach eben diesem Pokalspiel die kritischen Aussichten der Fohlen erwähnt. Und sogar die 11Freunde, bei denen Borussia kürzlich noch das „spannendste Projekt der Bundesliga“ und wenig später Objekt eines interessanten Investigativberichts war, tippen den glorreichen Verein vom Niederrhein im Rahmen eines untypisch dahingerotzten Abgesangs auf Platz 16.

Roland Virkus wird das sicher nicht gefallen, hatte er doch vor über einem Jahr bezüglich des „Sorgenmachens“ das genaue Gegenteil versprochen. Doch irgendwie hat der ein oder andere vielleicht damals schon gespürt, dass die bewusste Verneinung eines solchen Umstands möglicherweise sein Eintreten nicht weniger wahrscheinlich machen könnte.

Aber Fans, auch die auf der Tribüne, wollen erstmal das Positive sehen. Wir wollen daran glauben, dass man auf die schwierige Ausgangslage, deren Entstehen und Verursacher nunmehr ausreichend belegt und besprochen sind, die richtigen Antworten findet oder schon gefunden hat. Und da muss man mit Blick auf die Transfer- und Kaderaktivitäten sagen: Das sieht schon nach einem Plan aus. Da sind Spieler hinzugekommen, die einen gewissen „Hunger“ verkörpern, der die letzten Jahre eindeutig gefehlt hat. Die auch helfen, eine neue Hierarchie im Team zu etablieren. Auch der ein oder andere bereits unter Vertrag stehende Spieler scheint unter dem neuen Trainer seine Stärken besser einbringen zu können. Und es wird sogar an eine brauchbare zweite Reihe gedacht, die Lücken füllen und vielleicht überraschen kann. Das alles mit einem überschaubaren Budget und dem Mut, neben interessanten Nachwuchsspielern auch mal auf eine Leihe als Zwischenlösung zu setzen.

Das Wichtigste ist hier: Borussia antwortet auf die Fragestellungen, die in den letzten beiden Jahren aufgeworfen wurden. Wie wollen wir Fußball spielen? Wer will dafür auch voll mitziehen? Was erwarte ich von der Mannschaft? Nach drei Jahren gefühlter Schockstarre wurde (auch zwangläufig) wieder eine aktive, gestaltende Rolle eingenommen, weg von der Passivität und partiellen Hilflosigkeit der letzten Jahre. Man scheint dafür einen Trainer gefunden zu haben, der anstelle endloser Laberei echte Lust zu haben scheint, mit den vorhandenen Realitäten kreativ zu arbeiten. Das sind die zweifellos die richtigen Ansätze, an die Virkus, Schmadtke, Seoane und Co. nun konsequent anknüpfen sollten.

Aber reicht das schon, um die Sorgen zu vergessen und endlich wieder nach oben zu schauen? Das bleibt die eine, große Frage – und es ist noch zu früh, diese mit einem selbstbewussten „JA!“ zu beantworten. Denn natürlich ist der reine Qualitätsverlust erheblich, zumindest vom Papier her. Und es bleiben für alle Mannschaftsteile offene Fragen, die potenziell schwerwiegen können. Was passiert im Tor, wenn Omlin erneut ausfällt und keiner der drei Vertreter überzeugt? Ist die Abwehr in dieser Form erfahren und stabil genug, um auch mal ein 1:0 über die Zeit zu bringen? Sind die Rollen im Mittelfeld mit den richtigen Spielertypen besetzt? Und wird die talentierte Angriffsreihe die notwendige Durchschlagskraft in der Bundesliga erreichen?

Was heißt das für Borussias Aussichten in der neuen Saison? Es sollte trotz, oder gerade wegen des Umbruchs genug Qualität vorhanden sein, in dieser Bundesliga nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben. Für weniger müssten sich nahezu alle (nachvollziehbaren) Planspiele der sportlichen Leitung als falsch erweisen, was auch mit Blick auf die Konkurrenz schwer vorstellbar, aber nicht völlig ausgeschlossen ist. Gleichzeitig muss auch sehr viel sehr schnell sehr gut ineinandergreifen, um sich wieder an das obere Tabellendrittel heranzupirschen. Dementsprechend breit ist dann auch das mögliche Spektrum bei der Endplatzierung: 6 – 14, aber wahrscheinlich irgendwo dazwischen.

Thomas Häcki

Keine Frage, die Veränderungen sind gewaltig. Nimmt man mal die beiden Abstiegsjahre heraus, dürfte der Umbruch wohl der größte seit 1979 sein, als ein in die Jahre gekommenes Team seinen endgültigen Ausklang fand. Wenn am Samstag die Bundesliga wieder startet, wird Gerardo Seone auf fünf Profis nicht mehr zurückgreifen können, die noch vor Jahresfrist in der Startformation standen – und hierbei sind Jordan Beyer und Lars Stindl noch gar nicht eingerechnet. Bei einem solchen Qualitätsverlust sind die Unkenrufe natürlich nicht weit entfernt. Erhebliche Zweifel wurden laut, ob man überhaupt eine Mannschaft zusammenbekommt. Und wenn, ist es eh nur ein Abstieg auf Raten, ganz gleich welche Probleme in Bremen, Darmstadt, Bochum, Augsburg oder sonst wo vorherrschen. Bekanntlich ist das Gras beim Nachbarn ja immer grüner. Natürlich ist es ärgerlich, dass diesem Qualitätsabgang nur unzureichende Transfererlöse gegenüberstehen. Und der Abgang von Jonas Hoffmann, der das Gesicht des Umbruchs werden sollte, war für viele ein Schock. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass diese „Qualität“ nur noch selten die Leistung abzurufen bereit war, die sie auf dem Papier zu haben schien. Und nicht erst seit der vergangenen Saison. Die Rufe nach einem Umbruch waren bereits seit dem Winter laut. Voilà, hier ist er!

Viel spannender ist also die Frage, wie viel Leistungsvermögen die Mannschaft eingebüßt hat, denn zur Leistung gehört eben nicht nur die Qualität, sondern auch der Einsatzwille und seinen wir bitte ehrlich – genau hier entzündete sich der Frust der Fans in den vergangenen 3 Jahren. Und da diese Frage im Vorfeld nicht so einfach zu beantworten ist, ist die Borussia das wohl derzeit spannendste Projekt der Bundesliga. Man muss dem Team um Roland Virkus zu Gute halten, dass es selbst bei dem überraschenden Abgang von Jonas Hoffmann und der Verletzung von Kouadio Koné nicht in Schockstarre verfiel, sondern auf alle Abgänge zumindest eine interessante Idee präsentieren konnte. In dem Wissen, dass man aufgrund beschränkter finanzieller Mittel, die abhanden gekommene Qualität nicht eins zu eins ersetzen kann, wurde das Auge eben wieder mehr als in den letzten Jahren auf die Mentalität gelegt. Franck Honorat soll solch ein Mentalitätsspieler sein, der sicherlich nicht über die feine Klinge eines Hoffmann verfügt, aber bereits in Brest durch seine Führungsqualitäten auffiel. Maximilian Wöber stellt einen Gegenentwurf zum hochveranlagten, aber manchmal passiv wirkenden Nico Elvedi dar. Tomas Cvancara soll Marcus Thuram beerben, bei dem zuletzt Anspruch und Realität doch weit auseinanderklafften. Daneben gab es mit Ullrich, Chiarodia und Ranos viel Talent, von denen man sicherlich mehr Einsatzzeiten sehen wird, als es noch unter Farke üblich gewesen wäre. Dem neuen Coach eilt der Ruf des Talenteschmieds voraus. Natürlich muss schon vieles passen, aber bereits die letzte Saison hat gezeigt, dass mit den Abgängen großer Namen wie Sommer und Ginter nicht unbedingt ein Qualitätsverlust einhergehen muss – im Gegenteil.

Vieles wird natürlich davon abhängen, ob der neue Mann an der Seitenlinie es schafft, dass wiederzubringen, was die sächsische Ich-AG einst zerstörte und was auch seine beiden Nachfolger nicht wieder reparieren konnten: Einen Teamspirit, aus dem der verlorengegangene Wille und Hunger nach mehr hervorgeht. Hierfür wird eine neue Hierarchie notwendig sein und auch wenn der Abgang von Lars Stindl menschlich hier sehr schmerzt, stellt sich doch die Frage, ob der totale Umbruch jetzt nicht vielmehr Chance als Risiko darstellt. Bekanntlich hat die Medaille immer zwei Seiten. Offensiv sind die Eindrücke aus der Vorbereitung zumindest schon jetzt positiv. Die Borussia präsentierte sich mit ihren Neuen deutlich spielfreudiger, als in der Vergangenheit und ist auch schwerer ausrechenbar, als dies noch unter Farke der Fall war. Geblieben ist hingegen eine gewisse Behäbigkeit in der Defensive, die wohl die größte Baustelle bei den Fohlen darstellen dürfte. Nicht zuletzt aus diesem Grund probierte Seoane auch immer wieder sowohl die Vierer- als auch die Dreierkette aus. Es ist also vieles im Umbruch. Gut ist, dass die Erwartungshaltung deutlich niedriger ist als noch in den Vorjahren, denn diese Veränderungen werden Zeit brauchen. Demzufolge ist auch Europa (noch) kein Thema, auch wenn sich natürlich niemand beschweren würde, wenn man möglichst lange auf Tuchfühlung bleibt. Wenn die Borussia ihre Defensivanfälligkeiten in den Griff bekommt und es schafft eine neue Hierarchie zu etablieren, reicht die Qualität im Kader für einen einstelligen Tabellenplatz. Europa wird dankend genommen, ist aber kein Muss.

Volkhard Patten

Übergangssaison. Wundertüte. Neuanfang. Der Boulevard hat keinen Superlativ ausgelassen, um die Transfersituation rund um Borussia Mönchengladbach vor dieser Saison plakativ darzustellen. Wenn man sich die Details anschaut, bleibt festzuhalten, dass der Umbruch enorm groß ausfällt. Und das nicht nur in Bezug auf die Mannschaft, sondern auch auf das Team hinter der Mannschaft. So wird mit Nils Schmadtke ein gerade einmal 34-jähriger „Sportdirektor Lizenz“ bei Borussia. Ihm zugute zu halten bleibt allerdings, dass er trotz seiner jungen Jahre schon reichlich Erfahrung im Bundesligageschäft gemacht hat. Auf der Trainerbank sitzt mit Gerardo Seoane ebenfalls ein neues Gesicht, der allerdings schon Bundesligaluft geschnuppert hat. Ihm bricht aber mehr oder weniger die komplette Achse des Spiels weg. Mit Markus Thuram, Jonas Hofmann, Lars Stindl, Rami Bensebaini und – falls er denn wechselt – Nico Elvedi verlassen die fünf besten Torschützen der abgelaufenen Saison den Verein. Drei der genannten – Hofmann, Thuram und Stindl – waren unter den Top-Fünf der Vorbereiter. Die drei genannten sind auch, was die Einsatzminuten der letzten Saison angeht, vorne mit dabei. Vieles wird davon abhängen, ob die Neuzugänge und die noch zu verpflichtenden Spieler schnell zusammenfinden. Sollte dieses gelingen, müsste Borussia zwischen Platz acht und Platz zwölf landen.

Claus-Dieter Mayer

Es soll ja Menschen geben, für die die Sommerpause der beste Teil des Fußballjahres ist. Im Minutentakt kann man auf den Twitter-Accounts solcher Gestalten wie Fabrizio Romano oder Florian Plettenberg neueste Transfergerüchte lesen, sich der Illusion hingeben, das eigene Team würde mit dem Sturmduo Weghorst/Füllkrug mit dem Alpen-Maradona Rieder dahinter in die neue Saison gehen, jegliche störende Realitäten (Formkrisen, Verletzungen, Gegner die auch Fußball spielen können) ausblenden und sich der süßen Illusion hingeben, dass Geraldo Seoane der neue Hennes Weisweiler ist, der gerade ein goldenes Zeitalter für die Borussia einleitet. Ich gehöre eindeutig nicht zu diesen Menschen, mich nervt das ganze Spielerwechsel-Trara gewaltig und ich bin jedesmal heilfroh, wenn das Transferfenster Ende August schließt, ich endlich weiß, wer jetzt für die nächsten 9 Monate meine neuen Götter in schwarz-weiss-grün sind und sich alles auf die Ereignisse auf dem Platz fokussiert.

Allerdings muss auch ich zugeben, dass nach endlosen, öden, leidenschaftslosen Fussball-Monaten seitens der Borussia, die zudem vom Cheftrainer noch in PKs und Interviews mit absurd-pathetischen „Alles gegeben“-Soundbites begleitet wurden, diese Sommerpause eine faszinierende emotionale Achterbahnfahrt für jeden Gladbach-Fan war. Von der Erleichterung über die Entlassung Farkes, zur Hoffnung angesichts der Seoane-Verpflichtung, hin zur Angst und Unsicherheit nach der Kone-Verletzung, dann der Schock des Hofmann-Abgangs, gefolgt vom vorsichtigen Optimismus nach einer Reihe von neuen Spielerkäufen und deren ersten Einsätze im Gladbach-Trikot … da war alles dabei, was die Gefühlspalette so hergibt (leider auch das Bangen um die Gesundheit Stefan Lainers, dem wir von hier aus allerbeste Besserung wünschen).

Insgesamt muss man den Hut vor der Gladbacher Leitung ziehen die den seit 2 Jahren überfälligen Umbruch endlich engagiert angegangen ist und dabei – Stand jetzt! – viele gute Entscheidungen getroffen hat. Dem Optimismus mancher Fans und Fanmedien in den letzten Tagen kann ich mich allerdings (noch) nicht so recht anschließen. Der Abgang von Thuram, Bensebaini, Stindl und Hofmann bedeutet schon einen brutalen Qualitätsverlust. Selbst wenn sie zum Teil lustlos rumkickten, geht ein Großteil der Gladbacher Tore in der Vorsaison auf diese Spieler und es waren sie die Siege gegen Bayern, Dortmund oder Leipzig ermöglichten und damit die Grundlage schafften, bei aller Enttäuschung zumindest eine Saison ohne Abstiegssorgen gespielt zu haben. Bei aller Hoffnung in die Neuverpflichtungen, wäre es unfair vor allem von den jüngeren Spielern zu erwarten, dass sie auf Anhieb das Niveau ihrer Vorgänger erreichen. Auch wenn man eine andere Mentalität der Mannschaft nach den lethargischen Vorjahren erwarten kann, wird es daher eine schwierige Situation für die Borussia, in der der Blick erstmal nach unten gehen sollte. Vor der letzten Saison war Platz 10 am unteren Ende dessen, was ich mir so vorstellen konnte. Dieses Mal fände ich das schon ein sehr gutes Abschneiden: Borussia landet irgendwo zwischen Platz 10-14.