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Bildquelle: pixabay

Das dramatischste an der bevorstehenden Saison in der Champions League ist, was wir nicht erleben werden. Hatten wir uns vor einem Jahr noch ausgemalt, wohin wohl die Reisen führen könnten, wenn Borussia Mönchengladbach sich wieder für die Königsklasse des europäischen Fußballs qualifiziert, sieht die Realität trister aus: Ein Auswärtsspiel in Mailand, ein Auswärtsspiel in Madrid - und keiner darf hin. Dass die auch für einen Nicht-Auswärtsfahrer beeindruckenden Bilder Gladbacher Fans in Europa in diesem Jahr fehlen werden, drückt aufs Gemüt. Ungeachtet dessen ist es schön, sich wieder mit den großen Namen des europäischen Fußballs messen zu dürfen.   

Was also fällt einem zu Inter Mailand ein? Als Gladbach-Fan natürlich – der Büchsenwurf 1971 und Roberto Boninsegnas anschließende legendäre Schauspieleinlage, die zur Annullierung des 7:1-Sieges führte. Oder war das etwa gar keine Schauspieleinlage?  Wer sich ein wenig mit dem Konzept der „alternative facts“ oder besser gesagt der unterschiedlichen kollektiven Erinnerung an denselben Vorgang beschäftigen möchte, mache sich die Mühe, sowohl die deutsche als auch die italienische Version auf Wikipedia nachzulesen. Danach steht fest: Es muss zwei Spiele gegeben haben …  Über den Büchsenwurf hinaus kramte ich in meiner Erinnerung vergeblich nach Berührungspunkten zwischen Gladbach und Inter – tatsächlich gab es nur noch ein weiteres Aufeinandertreffen 1979 im damaligen Uefa-Cup, das Borussia in der Verlängerung des Rückspiels 3:2 gewann, nachdem in der regulären Spielzeit beide Spiele 1:1 ausgegangen waren (hier noch das Tor des Jahres 1979 von Harald Nickel). Das illustriert, wie selten früher solche Spiele gegen große Mannschaften aus anderen Ländern waren und warum diese Spiele damals (anders als heute das gefühlt 18. Aufeinandertreffen zwischen Bayern München und Real Madrid in den letzten 9 Jahren Champions League) Pflichtfernsehtermine weit über die Fanbase der jeweiligen Vereine hinaus waren. 

Weitere Assoziationen sind natürlich Catenaccio, Matthäus-Brehme-Klinsmann, Trappatoni, ein Triple-Gewinn 2010 mit dem Finalsieg in der Champions League gegen Bayern München sowie in jüngerer Vergangenheit mehrfach kurz aufeinanderfolgende Wechsel in der Anteilseignerstruktur, wobei diverse asiatische Investoren als Mehrheitsaktionäre fungierten. Sportlich machte Inter in den letzten Jahren eher wenig Schlagzeilen, in Erinnerung ist geblieben ist zuletzt eine verdiente Niederlage gegen den FC Sevilla im Finale der Europa League.

Anders als Borussia Mönchengladbach ist Inter aber zunächst gut in die laufende Saison gestartet, nämlich mit 2 Siegen gegen Florenz und Benevento, ehe zuletzt allerdings ein Untentschieden gegen Lazio und eine Derbyniederlage gegen Milan am letzten Samstag folgte.

Ein Blick auf den Kader zeigt die für heutige europäische Spitzenvereine typische beliebige Mischung aus bekannten Namen aus aller Herren Länder vor allem im Mittelfeld und Angriff, die alle auch schon an vielen anderen Orten aktiv waren:  Namen wie Christian Eriksen, Radja Nainggolan, Arturo Vidal, Ashley Young, Ivan Perisic, Alexis Sanchez oder Romelu Lukaku kennt man in Europa. Das sind alles sehr gute Spieler, die aber mit Ausnahme von Lukaku und Eriksen zum Teil deutlich über 30 Jahre alt sind und möglicherweise die beste Phase in ihrer Karriere hinter sich haben (was natürlich nicht ausschließt, dass sie trotzdem noch zu großen Leistungen fähig sein können). Im Mailänder Derby am letzten Samstag (in der zweiten Halbzeit ein grauenvolles Spiel) jedenfalls ging es phasenweise durchaus gemächlich zu und einige der Inter-Spieler hatten auffällige Geschwindigkeitsdefizite, wenn es Milan gelang, in Kontersituationen zu kommen. Prominent ist auch der Trainer, Antonio Conte, der seine Mannschaft in einem 3-5-2-System auflaufen lässt, bei dem um eine Achse aus Handanovic im Tor, Kolarov, de Vrij, Vidal und Lukaku munter rotiert wird. Zuletzt gegen Milan kamen Eriksen und Alexis Sanchez von der Bank, das muss aber für Mittwoch nichts heißen.

Bei Borussia Mönchengladbach kursiert nach dem enttäuschenden 1:1 gegen Wolfsburg schon das Wort „Fehlstart“, was nach 4 Spielen natürlich eindeutig zu früh ist. Richtig ist aber, dass die Mannschaft zuletzt nicht wirklich zu einer stringenten Leistung über 90 Minuten fähig war und dass dem Team die Konsequenz und Effizienz der Vorsaison derzeit ein bisschen abgeht. Dafür gibt es natürlich Erklärungen, so z.B. der Fakt, dass mit Embolo, Plea und Thuram die drei wichtigsten Stürmer allesamt mit Trainingsrückstand in die Saison gegangen sind und erst allmählich fitter werden. Von den Neuzugängen ist einer verletzt und der andere ohne Spielpraxis. Auch das Fehlen von Zakaria wirkt sich natürlich aus. So macht vieles im Moment den Eindruck von Stückwerk und dass das Team erst noch so richtig in die Saison hineinfinden muss. Das alles zählt aber nicht und interessiert auch niemanden mehr, wenn am Mittwoch der Anpfiff ertönt.

In welcher personellen Besetzung man das Abenteuer Mailand angehen wird? Viel spricht dafür, Bensebaini und Plea in die Startelf zu rotieren, deren Ballsicherheit am Samstag gegen Wolfsburg spürbar gefehlt hat. Für ersteren müsste zweifelsfrei Wendt weichen, für letzteren entweder Stindl oder Embolo.    

Ganz klar: Inter Mailand in der Verfassung, wie es sich am letzten Samstag gegen Milan präsentiert hat, ist auch für Borussia alles andere als unschlagbar. Notwendige Voraussetzung dafür ist eine konzentrierte Defensivleistung, bei der es vor allem darauf ankommen wird, den robusten und stets gefährlichen Lukaku in den Griff zu bekommen, ohne dabei dessen Nebenleute zu vernachlässigen. Nach vorne empfiehlt sich schnelles Spiel, um der Ü30 von Inter ordentlich Beine zu machen. Der wichtigste Punkt aber ist – vielleicht am schwersten zu realisieren – dass man mit einem gesundem Selbstbewusstsein in die Partie geht und an sich glaubt. Deshalb ist es absolut zu begrüßen, wenn Marco Rose vor den prominenten Gruppengegnern nicht in Ehrfurcht erstarrt, sondern stattdessen klar formuliert, dass Borussia Mönchengladbach an der Champions League 2020/21 nicht nur teilnimmt, sondern teilnimmt um weiterzukommen.

 

Der SEITENWAHL-Tipp 

Uwe Pirl: Borussia gelingt es nicht, Lukaku in den Griff zu bekommen. Inter hat Schwierigkeiten, wenn Gladbach schnell angreift. Das ergibt ein 1:1. 

Michael Heinen: Borussia schlägt Inter mit 7:1. Leider muss das Spiel aber wiederholt werden, nachdem ich aufgewacht bin. Anschließend kommt die Fohlenelf zu einem hart umkämpften 0:0.

Mike Lukanz: Inter ist in der jetzigen Phase eine Nummer zu groß. Borussia verliert verdient mit 0:3 und sollte sich danach schnell auf Mainz konzentrieren.

Christian Spoo: Borussia hat in der jetzigen Konstitution in der Champions League nichts verloren. Diesen Satz relativiert die Mannschaft durch einen überraschenden Punkt in Mailand. 1:1.

Thomas Häcki: Die Borussia bleibt vorne ineffektiv und hinten anfällig. Inter nutzt dies für einen nie gefährdeten 2:0 Erfolg.