In der Nachspielzeit, kurz vor dem Abpfiff, da holte die Nordkurve das nach, was sie vor zwei Jahren aus verschiedenen Gründen nicht getan hatte: Sie forderte laut und einvernehmlich den Rauswurf des Trainers. Der war zwar mittlerweile gar nicht mehr Trainer der eigenen Mannschaft, nicht einmal mehr der Trainer eines Vereins, aber man fühlte eine seltsame Genugtuung dabei, nach all dieser Zeit und quasi posthum noch einmal zu verdeutlichen, was für ein Fehler damals begangen wurde. Es war der Schlusspunkt eines Abends, der auf zwei Ebenen bemerkenswert war. 

Beginnen wir mit der sportlichen. Personell gab es zwar eigentlich nur wenige Änderungen, aber diese wurden auf dem Platz äußerst schnell sichtbar. Aus bekannten Gründen stand Florian Neuhaus nicht zur Verfügung, für ihn kehrte Elvedi in die Startelf zurück. Er nahm Kramers Position in der Innenverteidigung ein. Dafür konnte Kramer auf die Neuhaus-Position rücken, also, zumindest nominell auf der 10 agieren. Allerdings wurde schon in den Anfangsminuten deutlich, dass Kramer diese Rolle eher unorthodox interpretierte: Kramer war plötzlich überall auf dem Platz zu finden. 12,7 gelaufene Kilometer sollte die Statistik am Ende für ihn ausweisen, und das wird niemanden überraschen, der dieses Spiel gesehen hat. Die „beste Pressing-Mannschaft der Bundesliga“ sah sich einem Pressing ausgesetzt, mit dem sie offensichtlich nicht zurecht kam. Wann immer und wo immer die Mannschaft aus Leipzig versuchte, das Spiel aufzubauen, kam ein fuchtelnder Christoph Kramer mit seinen Kollegen auf sie zugerannt. Das zeigte Wirkung, und in der Folge verarbeitete die Borussia die Ballgewinne schnell zu Chancen: In der 9. Minute war es fast schon soweit, aber Elvedis Kopfball nach einer Ecke kam etwas zu mittig, so dass Gulacsi den Ball noch über die Latte lenken konnte. Die anschließende Ecke jedoch war sinnbildlich für den Fußballabend: Die Gäste vermochten nicht zu wirklich zu klären, immer wieder kam der Ball postwendend zurück in den Strafraum, schließlich setzte sich Scally stark gegen den zögerliche agierenden Raum durch, flankte in die Mitte auf Thuram, dessen Kopfball Gulacsi noch zur Seite abwehren konnte. Aber weil Raum das Verteidigen trotzig ganz eingestellt hatte, stand da nur Jonas Hofmann, der den Ball humorlos unter das Tordach drosch (10.). 

In der Folge zog sich die Borussia etwas zurück und es folgte die einzige längere Passage des Abends, in der die Gäste wirklich Zugriff auf das Spiel hatten. Richtig gefährlich wurden sie aber nur einmal, als Silva frei vor Sommer auftauchen konnte, aber überhastet und deutlich über den Kasten abschloss (25.). In der 34. Minute deutete sich Gefahr an, als der schnelle Nkunku einmal Scally fast abschütteln konnte, aber sein Querpass wurde stark von Elvedi ins Toraus gegrätscht. Bei der nachfolgenden Ecke war es wieder Raum, der eine eindrückliche Bewerbung für eine 6 im Fachmagazin abgab, indem er den Ball gegen Thuram verstümperte. Es lagen diese Mainz-Vibes in der Luft, als Thuram und Hofmann auf das Tor zustürmten und nur noch Kampl in der Nähe war und eingreifen konnte. Diesmal jedoch entschied sich Thuram für den rechtzeitigen Querpass und Hofmann legte den Ball cool am heraustürmenden Gulacsi vorbei zum 2-0 ins Netz (35.). 

 Nach der Pause gab es ein letztes Aufflackern von Gegenwehr durch die Gäste zu bestaunen, als Szoboszlai (den schreibt man so, ich hab nachgeguckt) zum Abschluss kam, Sommer sich aber im bedrohten Eck groß machte (sic!, 48.). Aber das war es auch an ernsthafter Gefahr für das Gladbacher Tor an diesem Abend. Stattdessen wechselte Kramer in den Fummeltrinenmodus, narrte auf der Torlinie 5 Gästespieler auf einmal und passte rüber zu Bensebaini, dessen versuchter Volley-Kunstschuss leider nicht aufs Tor kam. Auch durfte Hofmann noch zweimal seinen Move aus der ersten Halbzeit nachspielen und auf Gulacsi zulaufen, aber bei diesen beiden Versuchen behielt der Ungar leider die Oberhand (52. und 88.). 

Ramy Bensebaini ist ein Spieler, bei dessen Bewertung man sich schon bewusst ist, dass sie deutlich anders ausfiele, spielte er bei einer anderen Mannschaft als der eigenen. „Abgewichst“ ist so ein Adjektiv, das durchaus ambivalenten Charakter hat. Aber wie er in der 53. Minute nach einer Ecke zentral im Strafraum ein butterweiches Zuspiel von Stindl erst an der Brust abtropfen ließ und dann quasi in Zeitlupe über Gulacsi hinweg ins Tor hob, dem wohnte in all seiner Demütigung des Gegners ein Zauber inne. 

Damit war das Spiel natürlich schon zu einem frühen Zeitpunkt durch. Borussia hätte bei einer konsequenteren Chancenverwertung sicher noch höher gewinnen können - auch Thuram hatte noch gute Gelegenheiten - aber das Ergebnis spiegelt auch so Spielverlauf und Kräfteverhältnisse recht akkurat wider. Borussia zeigte eine begeisternde Leistung, die Gäste zeigten Rose-Fußball, wie Borussia das unter den Projekttrainern Rose und Hütter nie hinbekam – und gleichzeitig zeigte die Farke-Borussia diesem Fußballstil deutlich seine Grenzen auf. Auch wenn die Spieler in Rot ständig mit vier bis fünf Mann am Gladbacher Strafraum zu pressen versuchten, verlor die Viererkette nie die Ruhe. Eine Hintermannschaft ohne jeden Anflug von Hühnerhaufigkeit, das hat man bei Borussia seit den Tagen eines Lucien Favre nicht mehr gesehen. 

Bei einer derart geschlossenen Mannschaftsleistung erscheint es immer unfair, Spieler besonders hervorzuheben. Borussia spielte erwachsen, aber leidenschaftlich, wusste in den richtigen Momenten das Tempo herauszunehmen. Besonders eindrucksvoll zu sehen, als Manu Koné gegen Ende der ersten Halbzeit seine Mitspieler, als das Spiel gerade etwas wild zu werden versprach, gestenreich anwies, ein-zwei Gänge runterzuschalten. Was umgehend geschah. Christoph Kramers Leistung wurde schon verschiedentlich angesprochen. Seit Wochen in bestechender Form, egal auf welcher Position, gab er nun für viele unerwartet den Spielmacher, und das in einer Weise, die man lange nicht gesehen hat.

Das war noch einmal der Kramer, der vor seinem halberzwungenen Wechsel nach Leverkusen in Gladbach zum Nationalspieler geworden war. Und wo wir gerade bei Nationalspielern sind: Jonas Hofmann zeigte sich nach einer leichten Formdelle wieder in der Verfassung, die ihn in der vergangenen Saison so unverzichtbar hatte werden lassen. Und so könnte man jeden Einzelnen nennen: Scally lieferte eines seiner besten Spieler für die Borussia. Friedrich endlich mit einem durchweg konzentrierten Vortrag ohne Schnörkel. Weigl mit einem Spiel, als wäre er schon seit Jahren im Borussia-Park tätig. Thuram blieb ohne Torerfolg, dafür nicht ohne Torbeteiligung. Zweimal kam der Ball von ihm, und beim dritten Tor duckte er sich unter Stindls Ball hindurch und ermöglichte Bensebaini so den ungestörten Abschluss. Darüber hinaus war er an fast allen gefährlichen Situationen beteiligt. 

Kurzum: Man konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine Mannschaft dem ehemaligen Trainer zeigte, dass man nicht hätte nach Dortmund oder Leipzig wechseln müssen, um richtig guten Fußball spielen zu lassen. Es war sportlich ein rundum gelungener Abend.