seitenwahl 202305291509 AJ7X5611Phlegmatismus führte bei Borussia in den vorangegangenen Auswärtsspielen jeweils zu einer verschlafenen Halbzeit und unnötig verspielten Siegen bei qualitativ deutlich unterlegenen Gegnern. Sinnbild hierfür war besonders Alassane Plea gewesen, dessen Nominierung für die Startelf in Bochum daher überraschte. Doch ausgerechnet der Franzose wurde an diesem Samstag zum Synonym für den überragenden Auftritt der Fohlenelf, der einen hochverdienten 3:1-Sieg im Bochumer Ruhrstadion ermöglichte. Nicht nur wegen seiner Leistungssteigerung konnte Gerardo Seoane am Samstagabend durchatmen.

Erleichterung dürfte er darüber verspürt haben, dass sich Borussia nicht erneut wie in Darmstadt von einem limitierten, aber kampfstarken Gegner das Spiel aufzwingen ließ. Der VfL aus Bochum agierte zwar gerade in der ersten Halbzeit auf sehr überschaubarem Niveau, das eher an seinen ebenso blauen Reviernachbarn im Westen erinnerte. Jede Mannschaft ist aber stets nur so gut wie es der Gegner zulässt. Und der VfL vom Niederrhein ließ im Ruhrstadion von der ersten Minute an sehr wenig zu, sondern stellte direkt klar, wer Herr im Haus des größten Vereinstriumphs des vergangenen Jahrzehnts ist.

Freude herrscht darüber, dass der Trainer relativ früh in der Saison das System gefunden zu haben scheint, mit dem die Mannschaft am besten zurechtkommt. Die jungen Außenverteidiger waren in der Viererkette mit ihrer defensiven Aufgabe überfordert und brauchen ganz offensichtlich eine zusätzliche Absicherung, die ihnen im System der Dreier- oder Fünferkette geboten wird. Diese Kette funktioniert in der aktuellen Besetzung mit Itakura, Elvedi und Wöber ganz hervorragend. Dies sogar so sehr, dass inzwischen der Japaner noch als schwächstes – bzw. wenig stärkstes – Glied gelten muss.seitenwahl 202305271620 IMG 0844

Entwarnung wird es aber erst vollständig geben können, wenn einer der Stammspieler einmal längerfristig ausfallen sollte und die neu entdeckte Stabilität auch danach weiter Bestand haben wird. Marvin Friedrich und Joe Scally wären in so einer Situation logische Alternativen, gehörten zu Saisonbeginn aber zu den größten Schwachstellen. Möglich wäre es in diesem Fall, z. B. Julian Weigl in die Dreierkette zurückzuziehen, da auf der 6er-Position die Optionen vielversprechender sind. Es bleibt zu hoffen, dass die Auswechselung Elvedis noch nicht dazu führen wird, solcherlei Varianten austesten zu müssen. Früher oder später werden Trainer und Mannschaft diesen Belastungstest aber aushalten müssen.

Respekt muss der erneut souveränen Vorstellung von Borussias Aushilfstorwart gezollt werden, der so auftritt als wäre er schon ewig die unumstrittene Nr. 1. Innerhalb kürzester Zeit hat Nicolas das vor einigen Wochen noch gefürchtete Torwartproblem pulverisiert. Wir erinnern uns, wie wenig Sicherheit Tobias Sippel in der vergangenen Saison ausstrahlte. Wir bedenken die erheblichen Defizite, die Jan Olschowsky selbst in der U23 offenbarte, sodass er offensichtlich noch Zeit benötigt, um eine dauerhafte Alternative zu werden. Und wir realisieren, dass Moritz Nicolas zuvor nur in der sportlichen Drittklassigkeit unterwegs war. Vor diesem Hintergrund ist es umso beachtlicher, wie souverän er den Sprung in die erste Bundesliga gemeistert hat und in der aktuellen Form sogar nächstes Jahr ein ernsthafter Konkurrent für Jonas Omlin werden könnte.

Beruhigung verspüren wir darüber, dass die neu gewonnene Stabilität in der Defensive nicht zu Lasten der Offensivstärke ging, wie es in der Vorwoche gegen einen deutlich stärkeren Gegner der Fall war. Jordan Siebatcheu, der in der Vorwoche noch wie ein Fremdkörper wirkte, war in Bochum spielfreudig und bewährte sich insbesondere in der Rolle des Wegbereiters guter Torchancen. Zusammen mit Plea, Neuhaus, Honorat und Netz nahm er die Bochumer Defensive zeitweise auseinander und sorgte für einen Klassenunterschied, der nach 60 Minuten gut und gern eine 5:0-Führung gerechtfertigt hätte.

Analysen werden dennoch nötig sein bezüglich der letzten halben Stunde, in der die Gastgeber absurderweise fast noch zurück in die Partie gekommen wären. Fällt ein nicht allzu spätes 2:3 wäre es im Hexenkessel Ruhrstadion sehr schwer geworden. Der Treffer fiel aber nicht, da Borussias Defensive dem erhöhten Druck Stand hielt und nicht mehr allzu viele gefährliche Situationen zuließ. Durch die Auswechselungen der besten Offensivspieler gab es allerdings zu wenig Entlastung.

seitenwahl 202308051553 IMG 2725Signalwirkung geht von diesem ersten Saisonsieg aus, der den Weg zum Saisonziel ebnen könnte, sich möglichst schnell von der Abstiegszone abzusetzen und eine aussichtsreiche Perspektive für die Zukunft zu erarbeiten. Die ersten Saisonspiele hatten gezeigt, dass es für Borussia – anders als in den Vorjahren – aktuell nicht mehr reicht, um qualitativ mit den Topklubs mitzuhalten. Dafür scheint die neue Borussen-Elf aber – anders als in den Vorjahren – gegen die schwächeren Teams der Liga ihre Überlegenheit besser ausspielen zu können. Gerade in diesen Partien muss es das nächste Ziel sein, endlich einmal über 90 Minuten vollständig zu überzeugen.

Bewährung hierzu wird es in den kommenden Wochen geben, wenn nacheinander die beiden derzeit schwächsten Vereine der Liga warten, gegen die bei gleichbleibender Leistung weitere Siege zu erwarten sind. Nächsten Freitag kommt der FSV Mainz 05 in den Borussia Park, der in den letzten Monaten regelmäßig (mindestens) drei Gegentore kassiert hat – in den letzten elf Ligaspielen passierte dies der Elf von Bo Svensson ganze achtmal. Danach kommt es für viele zum wichtigsten Spiel der Saison in Müngersdorf, wo nach zuletzt zwei sieglosen Auftritten endlich mal wieder ein Derbysieg angesagt wäre. Spätestens wenn dies gelingt, wird aus dem vermeintlichen Fehlstart der Fohlenelf ein gelungener Saisonbeginn geworden sein.